Historisches Experiment:Den Helden auf der Spur

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Die Europäischen Wochen Passau setzen ihr Nibelungenlied-Projekt fort und suchen nach Freiwilligen.

Von Sabine Reithmaier, Passau

Zeit braucht man schon, um sich die ersten zehn Abenteuer des neu eingelesenen Nibelungenlieds anzuhören: Exakt dreieinhalb Stunden dauert die Geschichte von Treue und Verrat, Verführung und Verschwörung, Liebeshochzeit und Brudermord, Festen und Zweikämpfen. Bis jetzt jedenfalls. Denn es werden noch etliche Stunden dazukommen. Die Europäischen Wochen (EW) Passau hatten im April 2020 das Experiment "Held Ene Pos" gestartet, um zu zeigen, dass es auch in Pandemie-Zeiten möglich ist, Projekte gemeinsam zu gestalten. Ihr Aufruf, die rund 10 000 Verse des Nibelungenliedes als Webvideos einzulesen, stieß auf große Resonanz. Bislang haben mehr als 100 Freiwillige bereits Verse eingelesen.

Wer sich durch die inzwischen aus vielen eingesendeten Handy- und Webvideos zusammengeschnittenen "Âventiures" klickt ( https://ew-passau.de/heldenepos/), wandert durch Wohnzimmer, Bibliotheken, Gärten und manchmal sogar übers freie Feld. Er sieht Kuckucksuhren, Lichterketten, Skulpturen, Ölgemälde, Zimmerpflanzen und davor immer einen Menschen, der aus der Nibelungenlied-Übersetzung von Karl Joseph Simrock liest. Die schätzte schon Goethe sehr, aber der Text ist gar nicht so leicht zu lesen. Manche Teilnehmer inszenieren sich richtig, haben sich mittelalterlich gewandet, deklamieren mit viel Theatralik vor Kaminfeuer und gekreuzten Lanzen. Andere versuchen gegen das Vogelgezwitscher im eigenen Garten anzukommen. Die einen begnügen sich mit wenigen Zeilen, andere lesen mehrere Strophen und tauchen in mehreren Kapiteln auf. Es ist ein buntes, vielfältiges Bild, das auf diese Weise entsteht.

Das Werk entstand mutmaßlich vor 800 Jahren in Passau

Unterbrochen werden die Lesungen durch kurze "Bildstörungen", Zitaten aus Zeitungen und anderen Medien zum Themenkomplex "Held - Demokratie - Corona". Manchmal arg intellektuell, dann wieder einfach lustig, ergänzen oder kommentieren sie den historischen Text. Unterlegt sind die Abenteuer mit den reduzierten, aber sehr stimmigen Soundtracks des jungen Komponisten Felix Stachelhaus.

Dass sich die EW für das Nibelungenlied zuständig fühlen, ist verständlich. Schließlich entstand das Werk mutmaßlich vor 800 Jahren in Passau. Das nicht mehr erhaltene Originalmanuskript, das in 36 mittelalterlichen Abschriften überdauerte, wurde wahrscheinlich im bairischen Dialekt des Mittelhochdeutschen verfasst. Auch kennt sich der unbekannte Autor im Donauraum gut aus, beschreibt landschaftliche Details, während er bei Worms im Ungefähren bleibt. Und er erwähnt die Stadt Passau und deren Bischof Pilgrim (971 - 991) auffallend häufig und immer positiv.

Geplant ist nun, bei der "Langen Nacht der Nibelungen" am 9. Juli mit Freiwilligen die Abenteuer 24 bis 27 einzulesen. Die EW suchen noch Teilnehmer, die sich an diesem Tag online an dem Projekt beteiligen. Live lesen in dieser Nacht auch Ottfried Fischer, Bruno Jonas und Barbara Dorsch. Wer Lust hat, online mitzulesen, schreibt eine Nachricht an nibelungen@ew-passau.de. Der Text wird zugeschickt. Notwendig sind ein Computer und eine stabile Internetverbindung, die Lesung läuft über Zoom. Aber das sollte im 21. Jahrhundert keine größere Schwierigkeit sein. Oder vielleicht doch.

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