Literatur:Beschwörung der Toten

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NoViolet Bulawayo floh im Alter von 18 Jahren aus Simbabwe zu ihrer Tante nach Detroit. (Foto: NyeLynTho/imago images/Avalon/Photoshot)

Mit ihrem neuen Roman "Glory" erschafft NoViolet Bulawayo ein Panorama der Geschichte Simbabwes - als Tierfabel. Die Schriftstellerin stellt ihn im Literaturhaus München vor.

Von Christian Jooß-Bernau

Auftritt der Macht auf dem Jidada Square: "Kühe muhten, Katzen miauten, Schafe blökten, Bullen brüllten, Enten quakten, Esel iahten, Ziegen meckerten, Pferde wieherten, Schweine grunzten, Hühner gackerten, Pfauen schrien und Gänse schnatterten (...)" Unglaublich ist dieser Jubel, und dann trottet es zum Rednerpult, auf seinen Hufen, das alte Pferd, Seine Exzellenz, der Vater der Nation. An seiner Seite die Eselin Dr. Sweet Mother, die sich einst bei der Universität von Jidada ihren Doktortitel bestellt hatte. Das Volk tut gut daran zu jubeln, denn gestützt wird diese Macht von der Truppe Hunde, Defender, von deren reißender Wut noch zu reden sein wird.

Mit "Glory" (Suhrkamp) hat NoViolet Bulawayo einen fabelhaften Roman geschrieben, dessen Widmung lautet "Für alle Jidadas, überall". Aber natürlich erkennt man in Jidada, wie es sich hier ausbreitet, das Land ihrer Kindheit und Jugend, Simbabwe. Und hinter dem alten Pferd, wie es hier in selbstgefälliger Güte zu seinen Kindern spricht, erscheint Robert Mugabe, der aus den kriegerischen Wirren um das Ende der britischen Kolonialregierung als Premierminister hervorging.

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Ihren Nachnamen hat sich NoViolet Bulawayo, geboren 1981 als Elizabeth Zandile Tshele, nach dem Ort gegeben, an dem sie aufwuchs, bis sie mit 18 Jahren zu ihrer Tante nach Detroit floh. "Glory" ist ihr zweiter Roman, ein mehr als 400 Seiten wuchtiger Gesang, der über das Land ihrer Herkunft hinausreichend erzählt vom Ringen vieler afrikanischer Länder um Selbstbestimmung, von der korrupten Riege ihrer Führer, vom Terror und den zarten Hoffnungen.

Mithilfe der Defender wird das alte Pferd gestürzt, ein junger Rivale, Tuvy, verspricht die #freiefaireglaubwürdige Wahl, schielt dabei doch nur auf ein Ende der westlichen Sanktionen. Und dann beginnt der Irrsinn der Heldenverehrung und Kleptokratie auf einer nächsten Stufe. Es gibt ein Kapitel im Beat von Twitter-Posts, es gibt die Stimmensammlung wütender Jidadier, die ihre Tage mit Schlangestehen verbringen. Bulawayo lässt im Spiegel ihrer Tiergeschichte Wirklichkeit mit ungeheurem Detailreichtum neu erstehen.

Der Münchner Übersetzer Jan Schönherr hat den Text ins Deutsche übersetzt und dafür im vergangenen Jahr ein Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern erhalten. Er hat einen zwingend swingenden Sound nachgeschöpft, wie sich bei einer Lesung im Literaturhaus sicher nachvollziehen lassen wird. Bulawayo baut Sätze wie lange Gesangslinien, rhythmisiert mit Konjunktionen, arbeitet mit Wiederholungen und Leitmotiven. "Tholukuthi" ist die wichtigste Wortfanfare. Nicht wirklich übersetzbar, wird es eher gebraucht wie eine Interjektion, als Bestärkung bestimmter Aussagen, ein Leuchtmarker im Text.

Die Sprache pulsiert wie das Blut durch diese Geschichte

Diese Sprache pulsiert wie das Blut durch diese Geschichte, die keine Geschichtsstunde ist, sondern etwas sehr Persönliches. Als hätten sie auf sie gewartet, beobachten die Jidadier den Auftritt der schmächtigen Ziege mit dem lila Hartschalenkoffer. Eine verschwundene Tochter, Destiny, kehrt nach Hause zurück, zu ihrer Mutter, die über ein Jahrzehnt nichts von ihr gehört hat und darüber fast den Verstand verlor.

Diese Rückkehr ist eine zur eigenen Geschichte. Die alte Ziege wird der jungen Ziege erzählen vom 18. April 1983 in ihrer Heimatstadt Bulawayo. Als die Defender die Einwohner zusammentrieben und die Knüppel niedergingen auf die Leiber, dass es spritzte. Es werden Dinge passieren an jenem 18. April, die so furchtbar sind, dass man sie sogar in Tiergestalt kaum erzählen kann: "Dafür gibt es einfach keine Worte - die gab es nie, und die wird es niemals geben", sagt die alte Ziege. Als "Gukurahundi", ein hässlicher Euphemismus vom Regen, der die Spreu vor dem Frühlingsregen weg wäscht, sind die Massaker von Mugabes Schergen in Simbabwe bekannt.

Die junge Ziege Destiny wird in das verlassene Dorf Bulawayo fahren und mit den Toten sprechen. Und sie wird beginnen zu schreiben. "Glory" ist ein Roman von schamanischer Kraft. Der Rhythmus seiner Sätze ist Neugewinnung von Sprache, um die Dinge benennen zu können. Es geht nicht um Erinnerung im neurologischen Sinne, sondern um Beschwörung durch die Magie der Worte. Am Ende öffnet sich der Text zur Vision. Die Macht der ewig Herrschenden versickert wie Wasser. Und die Auferstehung der Toten ist Auferstehung einer Gemeinschaft. Eines neuen Jidada.

NoViolet Bulawayo: Glory, Lesung: Mi., 28. Juni, 19 Uhr, Literaturhaus, mit Stefan Wilkening, Moderation Günter Keil, www.literaturhaus-muenchen.de

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