Münchner Künstlerhaus:Nicholas Ofczarek liest ein Antikriegsgedicht

Lesezeit: 3 min

Große Schauspielkunst: Nicholas Ofczarek als Hermann Kafka mit Joel Basman als Franz, Marie-Lou Sellem als Julie Kafka und Maresi Riegner als Ottla Kafka. (Foto: NDR/Superfilm)

Eben noch war er ein Ereignis als Kafkas grimmiger Papa in der Fernsehserie, nun liest der Ausnahmeschauspieler gemeinsam mit seiner Frau Tamara Metelka im Künstlerhaus Rilkes "Cornet"- "zutiefst pazifistische Literatur", wie er sagt.

Von Jutta Czeguhn

Wie macht er das nur? Da schaffen und tun und verkünsteln sich alle anderen; ein Weltautor wie Daniel Kehlmann, der Biograf Reiner Stach, den man wahrscheinlich jedes beliebige Datum zurufen kann, und er weiß aus dem Stegreif, was Franz Kafka an diesem oder jenem Tag getrieben hat, und natürlich David Schalko, der als Regisseur von so etwas Genialem wie "Braunschlag" eh schon von der Unfehlbarkeit gestreift wurde. Dann aber erscheint Nicholaus Ofczarek, schmatzt, schlingt, ja frisst, und sagt als Vater Herrmann Kafka mit angewidertem Seitenblick auf den Nüsse mümmelnden Filius: "I kan's net mitansehen - wia a Has!!!" Die Darstellung verzweifelter, und doch nuancierter Komik ist auch eine kleine Schubumkehr in der Kafka-Legende, denn man empfindet Mitleid mit dem Alten. Und denkt sich, ja, das ist er wohl, der Moment, der bleiben wird von dieser Super-Serie über das Leben Franz Kafkas. Die 100 handschriftlichen Seiten seiner nie abgeschickten Anklage "Brief an den Vater", kondensiert in einer einzigen Ofczarek-Szene.

Wie dem Österreicher solche Wunder gelingen - vielleicht kommt man ihm ein wenig drauf, und er lässt sich in die Werkstatt seiner Kunst schauen am 14. April im Münchner Künstlerhaus. Dort liest Ofczarek zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin Tamara Metelka, den Text von einem, der wie Kafka ein Prager Kindheitsdrama durchlebte und ebenfalls notorische Bindungsunwilligkeit praktizierte: Rainer Maria Rilke. Die Werkauswahl der beiden ist eine besondere. Das Prosagedicht "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke" ist heute irgendwie vergessen; dabei war das ein Millionen-Seller, seine meistverkaufte Publikation, schon zu Lebzeiten und auch nach seinem Tod. Es heißt, das schmale Insel-Bändchen, erschienen 1912, habe in Tornistern unzähliger Soldaten gesteckt. Ein Kultbuch jener Generation, die anfangs euphorisch in die Weltkriege zog und dann in den Schützengräben verreckte.

Lesen aus Rilkes "Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke": Tamara Metelka und Nicholas Ofczarek. Der Geiger Nikolai Tunkowitsch (Mitte), der unter anderem Musik für das Burgtheater komponiert, hat dazu eindringliche Musik geschaffen. (Foto: Ingo Pertramer)

"Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten", heißt es im "Cornet". In knappen, impressionistischen Szenen erzählt Rilke von einem 18-Jährigen, der im ausgehenden 17. Jahrhundert als Fahnenträger im kaiserlich-österreichischen Heer gegen die Türken kämpft und umkommt. Verstörend sein Ende, ein innerer Monolog, der mit einem seltsamen Bild schließt: "Aber, als es jetzt hinter ihm zusammenschlägt, sind es doch wieder Gärten, und die sechzehn runden Säbel, die auf ihn zuspringen, Strahl um Strahl, sind ein Fest. Eine lachende Wasserkunst."

Es gibt ihn tatsächlich, den Genre-Begriff "Tornisterliteratur". Antikriegsbücher über den "universial soldier" wie Grimmelshausens "Simplicissimus" oder Remarques "Im Westen nichts Neues" kommen da in den Sinn, aber auch Umstrittenes wie Ernst Jüngers "In Stahlgewittern" oder aber offene Kriegspropaganda im Stile "Der Landser"-Groschenhefte. Auch Rilkes "Cornet" wurde Verklärung des Soldatentums vorgehalten. Zu Unrecht, davon ist Nicholas Ofczarek zutiefst überzeugt, und erklärt gegenüber der SZ: "Wenn man den Text gelesen und verstanden hat, ist es mir nicht begreiflich wie man dieses Werk als den Krieg verklärend bezeichnen kann. Vielmehr handelt es sich um zutiefst pazifistische Literatur, die bis zum bitteren Ende, die ,Ehre' in den Krieg zu ziehen, infrage stellt."

Antikriegslektüre - kaum vorstellbar, dass die Soldaten an den Fronten heute noch in der Literatur Ablenkung oder Halt suchen. Was ist es dann, Tiktok-Videos, Sport? Nicholas Ofczarek: "Ich denke, um in einem Kriegsgebiet existieren zu können, muss man wohl zutiefst von sich selbst abgespalten sein. Da scheint Ablenkung in jeglicher Form willkommen."

Den "Cornet" haben schon große Stimmkünstler und Menschendarsteller wie der erklärte Pazifist Oskar Werner vorgetragen. Ein Burgtheaterheld wie Ofczarek. Auch Tamara Metelka gehörte am Wiener Haus zum Ensemble (1994 bis 2005), heute ist die Schauspielerin auch Professorin für Sprachgestaltung am Max Reinhardt Seminar. "Unser einziges Mittel ist die Sprache. Und die in ihr innewohnende Musikalität", meint Nicholas Ofczarek, dessen Eltern beide Opernsänger waren, zur Vortragskunst. "Die Interpretation findet im Kopf der Zuhörenden statt. Das Werk an sich steht im Vordergrund. Und das zu Recht."

Nicholas Ofczarek und Tamara Metelka: Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke als musikalische Lesung, Sonntag, 14. April, 11 Uhr, Münchner Künstlerhaus , Lenbachplatz 8

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusJan Josef Liefers und Anna Loos im Gespräch
:"Gemeinsame Projekte zu realisieren, ist nicht so gefährlich, wie zusammen ein Haus zu bauen"

Sie sind eines der bekanntesten Künstlerpaare Deutschlands. Derzeit sind Jan Josef Liefers und Anna Loos gemeinsam auf Tour, um aus Nick Hornbys Buch über eine Ehekrise zu lesen. Anlass genug, mit den beiden über Langzeitbeziehungen zu sprechen.

Interview von Bernhard Blöchl

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: