Neuanfang:Reine Familiensache

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Marke Eigenbau: Die beiden Geschwister Sabine und Christian Kroiß in ihrem neuen Wildgeschäft. (Foto: Stephan Rumpf)

Sabine und Christian Kroiß eröffnen "Wilde Zeiten" am Viktualienmarkt

Von Franz Kotteder, München

Im Grunde handelt es sich bei dem neuen Laden um eine reine Familienangelegenheit. Zwei Geschwister werden ihn an diesem Mittwoch um neun Uhr aufsperren und erst einmal beide drinstehen, an der Theke und am Imbiss. Der Vater hat beim Umbau geholfen, Freunde bei der Ausstattung und beim ganzen Drumherum. "Die Wand links hat der Mann meiner besten Freundin entworfen, der ist Architekt", erzählt Sabine Kroiß, "und die Regale hat mein Vater gebaut." Die Hirschgeweihe, die in den Regalen liegen, haben die Geschwister selbst geschossen, und die vielen Holzscheite dazwischen hat bestimmt ein weiteres Familienmitglied daheim auf dem Hackstock zerteilt. Alles andere müsste einen wundern.

"Wilde Zeiten" nennen Sabine und Christian Kroiß, beide aus Geisenfeld in der Hallertau, ihr neues Geschäft in der Metzgerzeile am Viktualienmarkt. Das passt gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum Einen handelt es sich um einen Laden mit Wildfleisch, und zum anderen herrscht gerade eine Pandemie im Lande (falls jemand das nicht mitgekriegt haben sollte). Die Pandemie hat die beiden aber besonders hart getroffen. Denn Christian, 37, ist von Beruf Koch und führt zu Hause in Rohrbach an der Ilm seit mittlerweile 13 Jahren den traditionsreiche Landgasthof Zeidlmaier, der eigentlich seinem Onkel Karl gehört. Demzufolge hatte er im Frühjahr und jetzt auch wieder geschlossen und hält sich so mit gehobener Wirtshausküche to go über Wasser. Seine Schwester Sabine, 40, lebt schon seit 20 Jahren in München und betreibt zusammen mit einer Freundin eine Künstleragentur, in der sie Kabarettisten wie Helmut Schleich oder Claus von Wagner vertritt. Klar, auch sie hat heuer wenig zu tun, und nächstes Jahr sieht es erst mal nicht viel besser aus.

Weil die beiden in ihrer Freizeit gerne zur Jagd gehen, Christian hat sogar eine eigene in Tirol am Achensee, hatten sie schon immer den Traum, zusammen mal ein Wildgeschäft aufzumachen. Im April, mitten im ersten Lockdown, sahen sie dann die Anzeige, dass in der Metzgerzeile des Viktualienmarkts ein Laden frei sei. Es handelt sich dabei um das Geschäft von Georg Schlagbauer, dem ehemaligen Hoffnungsträger der Münchner CSU und Handwerkskammerpräsidenten, der über eine Rotlichtaffäre gestolpert war und Insolvenz anmelden musste. Innerhalb von wenigen Tagen mussten Christian und Sabine Kroiß ihre Bewerbung schreiben. Das taten sie nach kurzer Überlegung - und im Juni erhielten sie schließlich die Zusage: Die Marktleitung hatte sich für ein Wildgeschäft entschieden, nachdem es früher gleich drei auf dem Viktualienmarkt gegeben hatte und mittlerweile nur noch eines.

Nun also auch noch "Wilde Zeiten - Feines vom Wild". Neben Selbsterlegtem und Zugekauftem von befreundeten Jägern gibt es auch einen Imbiss mit Wildleberkäs, Wildpflanzerl, Wildbratwurst in der Semmel sowie Hirschcurrywurst, dazu Wildbolognese und -gulasch, Fonds und Saucen im Glas sowie diverse Wurstsorten, das Angebot soll noch wachsen. Das meiste macht der gelernte Koch selbst, auf hohem Niveau: Schließlich hat er zwei Jahre als Koch bei Hans Haas im Tantris gearbeitet und danach noch im Berliner Ritz-Carlton bei Thomas Kellermann.

Einen der beiden, soll man fürs Erste immer im Laden antreffen, versprechen sie. "Der Markt lebt ja davon", sagt Sabine Kroiß, "dass sich die Inhaber selbst hinstellen." Klar, die Familie und Freunde werden hin und wieder aushelfen, wenn ihre anderen, bisherigen Jobs hoffentlich demnächst wieder mehr Arbeit abfordern. Momentan aber sind die "Wilden Zeiten" ihre Herzensangelegenheit. "Die Leute wollen ja auch wissen, wo das Wild herkommt", sagt Christian Kroiß, und wenn das der Jäger selbst erzählen kann, dürfte das gut ankommen, hofft er.

Sabine Kroiß sieht eh gute Chancen für Wildfleisch. "Die Tiere haben ihr Leben lang im Freien verbracht", sagt sie, "sind in der Natur aufgewachsen und haben sich aus der Natur ernährt. Jagd ist das absolute Gegenteil von Massentierhaltung." Das alles müssen jetzt halt noch die Münchner erkennen - damit die "Wilden Zeiten" nicht eine reine Familienangelegenheit bleiben.

© SZ vom 02.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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