Nach Anschlag in Berlin:"Es kann ja überall etwas passieren"

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Auf dem Christkindlmarkt am Rotkreuzplatz brennt eine Kerze für die Opfer in Berlin. (Foto: Stephan Rumpf)

Egal ob am Marienplatz, in Haidhausen oder am Stachus - auf den Christkindlmärkten herrscht am Dienstag weitgehend normaler Betrieb. Und doch gibt es auch immer wieder nachdenkliche Momente.

Von Isabel Meixner

Auf dem Rotkreuzplatz treffen die zwei Münchner Gefühlswelten am Dienstag aufeinander. An einigen Ständen brennen Grablichter zu Ehren der Toten von Berlin, Plakate bekunden die Trauer der Neuhauser: "Wir Standbetreiber vom Christkindlmarkt am Rotkreuzplatz in München gedenken der vielen Opfer in Berlin mit einem stillen Vaterunser."

Keine zehn Meter weiter essen Besucher Original Verdauungsschnapswurst und stoßen mit Glühwein auf den letzten Arbeitstag vor Weihnachten an, auf das erfolgreiche Bewerbungsgespräch, darauf, dass endlich alle Geschenke eingekauft sind oder einfach darauf, dass man so schön beisammen steht. Und der Anschlag von Berlin? "Ja, da denkt man natürlich dran", sagt ein Münchner. Der Satz klingt eher pflichtschuldig. Getrunken und gefeiert wird trotzdem.

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Konkrete Hinweise auf einen geplanten Anschlag in der Stadt gibt es nicht. Polizeisprecher Da Gloria Martins warnte zugleich davor, nur die Weihnachtsmärkte als mögliche Ziele im Blick zu haben.

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Natürlich denkt man dran: Diesen Satz hört man häufig, wenn man sich am Dienstag mit Münchnern auf einem der Weihnachtsmärkte unterhält. Als Zeichen der Anteilnahme wurden am Abend die Lichter des Christbaums auf dem Marienplatz gelöscht. Dort und auf dem Markt an der Münchner Freiheit wurde zudem eine Gedenkminute abgehalten. Von dem Terror beeinträchtigen ließen sich die Menschen aber sonst nicht. Beim "Eiszauber" am Stachus sind um 11 Uhr etwa 30 Schlittschuhläufer auf der Eisfläche. Touristen schießen Fotos mit Selfiesticks vor Eisbären-Skulpturen, Münchner schlurfen mit Tüten voller Weihnachtseinkäufe Richtung U- und S-Bahn, der Duft von Glühwein liegt in der Luft.

Eine Religionsgemeinschaft versucht, auf Seelenfang zu gehen. Ein paar Meter weiter laufen zwei Polizisten in gelben Warnwesten vor dem McDonald's vorbei, kontrollieren einen offensichtlich betrunkenen Mann, der sich beim Hinfallen die Nase blutig geschlagen hat. Anschließend gehen die Beamten weiter Richtung Marienplatz.

Zwei junge Frauen um die 30 stehen bei einer Tasse Glühwein zusammen. Ja, ein komisches Gefühl sei es im ersten Moment schon gewesen, sich auf dem Christkindlmarkt zu treffen, geben sie zu. Aber ihre Verabredung stand seit Montagnachmittag fest, und ins Café ausweichen, nein, das wollten sie nicht: "Es kann ja überall etwas passieren."

Maroni-Verkäufer Florian Thomä hätte gerne eine Fahne der Stadt Berlin an seinem Stand aufgehängt, "das wäre ein cooles Statement gewesen". Aber die Idee dazu kam ihm erst nach Öffnung seiner Bude, jetzt kommt er nicht mehr weg. Sich Gedanken darüber gemacht, am Dienstag keine Maroni zu verkaufen, hat er nicht. Er habe auch auf der Wiesn einen Stand, auch dort habe es immer wieder Befürchtungen gegeben. Davon abgesehen: "Das Leben geht weiter."

Etwas weniger als am Stachus ist auf dem Christkindlmarkt am Sendlinger-Tor-Platz los, "aber das ist normal, hier sind nicht so viele Touristen wie woanders", sagt Mingaile Skuodyte. Sie verkauft mit ihrer Mutter seit etwa zehn Jahren Töpferwaren. Von ihrem Stand blickt sie direkt auf die vorbeifahrenden Autos auf der Sonnenstraße. "Ich fühle mich nicht sehr wohl", gibt sie zu. Aber einfach zusperren? Sie schüttelt den Kopf. Wenn die anderen Verkäufer etwas entsprechendes getan hätten, hätte sie es sich überlegt, allerdings haben alle Stände an diesem Dienstag geöffnet, wie jeden Tag. Auch die Standbetreiberin schräg gegenüber von Mingaile Skuodyte schüttelt den Kopf. Angst? "Nein, habe ich nicht", sagt sie entschlossen. "Aber ich denke an die Opfer von Berlin, das ist schrecklich."

Eine Frau, die sich gerade Kartoffelpuffer geholt hat, verlegt ihr Mittagessen an einen Stehtisch in der Mitte des Marktes. Sie kommt gebürtig aus Berlin, ihr gehen die Ereignisse deshalb besonders nah, "aber irgendwie hat man es ja schon geahnt, dass so etwas mal in Deutschland passiert". Eben, beim Glühweintrinken an der Ecke zur Herzog-Wilhelm-Straße, da habe sie schon die Straße im Blick behalten, "da habe ich mir schon gedacht, dass da ein Lastwagen durchrasen könnte". Steinpoller verhindern an dieser Stelle aber ohnehin, dass Autos einfach auf den Platz fahren.

Ähnlich ist es am Stachus oder am Haidhauser Christkindlmarkt. Bei Letzterem ist der Weißenburger Platz zudem noch von Bäumen geschützt. In der Früh habe man schon über den Anschlag in Berlin geredet und sich überlegt, ob man die Zufahrten zum Platz noch besser absichern soll, erzählt ein Verkäufer: "Aber mei, es kann ja auch von der Luft aus was kommen." Er zuckt mit den Schultern. Nein, er glaube nicht, dass der Anschlag etwas an den Besucherzahlen auf dem Haidhauser Christkindlmarkt ändern werde. "Hier gehen ein paar Hundert Menschen auf den Platz", rechnet er vor, "und wir leben in einer Millionenstadt". Am Abend, da ist er sich sicher, wird der Platz wieder voll sein.

Richtig greifbar wird die Unbehaglichkeit, die am Tag nach dem Anschlag von Berlin in München herrscht, für viele Christkindlmarkt-Besucher erst, wenn die Polizei plötzlich an Orten auftaucht, an denen sie bisher selten bis gar nicht bemerkt wurde. So auch am Neuhauser Weihnachtsmarkt am Rotkreuzplatz, auf dem die Grablichter für die Toten brennen.

"Ich habe mir heute Morgen ehrlich gesagt wenig Gedanken gemacht", sagt eine Wurstverkäuferin. "Aber als die Polizei vorhin mit fünf Mann aufgetaucht ist - da hatte ich schon ein komisches Gefühl. Die sind doch sonst nie hier." Die Gruppe Feiernder, die gerade den nächsten Glühwein bestellt, hat davon offenbar nichts mitbekommen. Von Unbehagen ist nichts zu spüren.

© SZ vom 21.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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