Theaterfestival in München:Das Programm des Theaterfestivals "Radikal jung"

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Mit der Produktion "Doktormutter Faust" aus Essen eröffnet "Radikal jung" auf der großen Bühne. (Foto: Birgit Hupfeld)

Die 18. Ausgabe des Theaterfestivals für junge Regie am Münchner Volkstheater sucht nach neuen Formen und politischer Auseinandersetzung.

Von Yvonne Poppek

Neun Tage, 14 Inszenierungen: "Radikal jung" ist für München - zusammen mit dem alle zwei Jahre stattfindenden Performance-Festival "Spielart" - das größte Theaterereignis der Stadt. Zum 18. Mal hat das Münchner Volkstheater junge Regisseurinnen und Regisseure mit ihren Arbeiten eingeladen. Neun Produktionen kommen aus Deutschland, die übrigen aus Österreich, Dänemark, Griechenland und den Niederlanden. Das Programm steht für Festivalleiter Jens Hillje inhaltlich unter der Idee "Widerständigkeit".

Die Eröffnung

Das Festival beginnt mit einem Triple und spannt so bereits die ästhetische und thematische Bandbreite auf, in der es sich bewegt. Am Freitag, 19. April, sind so eine Performance zu sehen, die sich mit dem Verhältnis zum eigenen Körper auseinandersetzt, eine Klassiker-Überschreibung und eine Stückentwicklung zu einem gesellschaftspolitischen Thema. Konkret heißt dies: "Fugue Four: Response" von Olivia Axel Scheucher und Nick Romeo Reimann aus Wien fragt mit choreografischen, sprachlichen und musikalischen Mitteln nach der eigenen sexuellen Konditionierung. Vom Schauspiel Essen ist "Doktormutter Faust" in der Regie von Selen Kara als die große Produktion des Eröffnungsabends eingeladen. Die Autorin Fatma Aydemir fusioniert darin Goethes Faust und Gretchen zur feministischen Hochschulprofessorin Margarete Faust, die mit einer fiktiven rechten Regierung aneinandergerät, ebenso, wie sie durch ihre Annäherung an einen ihrer Studenten Probleme bekommt.

Zudem steht noch "Männerphantasien" auf dem Programm, eine Inszenierung von Theresa Thomasberger am Deutschen Theater Berlin. 1977 veröffentlichte der Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit seine Doktorarbeit mit diesem Titel, die regelrecht berühmt wurde. Theweleit untersucht darin die Zusammenhänge von Männlichkeit und Faschismus. Thomasberger hat den Text auf seine heutige Wirksamkeit abgeklopft und ihn um Beiträge der zeitgenössischen Dramatikerinnen Svenja Viola Bungarten, lvana Sokola und Gerhild Steinbuch ergänzt.

Die Performances

Das Musical "Pandora's Heart" vom Theaterlabor Gießen hat das Potenzial, gute Laune zu machen. Auch wenn das hier nicht danach aussieht. (Foto: Dshamilja Liess)

Natürlich lassen sich die Inszenierungen nicht so streng kategorisieren und voneinander abgrenzen. Naturgemäß vermischt sich das eine mit dem anderen. Aber grob lassen sich die am Eröffnungsabend eingeschlagenen Richtungen verfolgen. Fünf weitere Abende experimentieren dabei mit Formen und Ästhetiken. Dazu zählt etwa "Pandora's Heart" (26. und 27.4.), ein Musical, das gute Laune macht, das Horror mit popkulturellen Phänomen vermischt. Und das sich der lustigen, ungewöhnlichen Form der Lippensynchronisation bedient: Die Darstellenden auf der Bühne bewegen nur ihre Lippen, der Ton kommt parallel von einer Audiospur. Erfunden wurde die Uraufführung vom dreiköpfigen Regieteam Anna Schill, Maret Zeino-Mahmalat, Friederike Brendler, erstmals gezeigt am "Theaterlabor Gießen".

Ebenfalls einer neuen Form hat sich Hendrik von Quast für sein Solo "Spill Your Guts" (20.4.) zugewandt. Er hat eigens die Technik des Bauchredners erlernt, um dann mit einer wunderbar hässlichen Puppe seine eigenen Erfahrungen mit chronisch-entzündlichen Darmkrankheiten als Ausgangspunkt für die Performance zu nehmen. Eine extreme Form der Auseinandersetzung mit Gewalt gegen Frauen hat Carolina Bianchi für "The Cadela Força Trilogy" (27.4.) gewählt: Während der Performance nimmt sie auf der Bühne K.-o.-Tropfen und verliert irgendwann das Bewusstsein. In "Goodbye, Lindita" (25.4.), uraufgeführt am Griechischen Nationaltheater Athen, geht es Mario Banushi um Abschied und Trauer - ganz ohne Dialoge. Und das dänische Kollektiv "Current Resonance" macht in "À la carte" (23. und 24.4.) den Esstisch mit all seinen schrägen Implikationen zum Fixpunkt des Abends.

Die Literarischen

Kim de l'Horizons "Blutbuch" wird gerade gerne für die Bühne adaptiert. Diese Bearbeitung stammt aus Magdeburg. (Foto: Kerstin Schomburg)

Wie "Doktormutter Faust" gibt es drei weitere Inszenierungen, die mit literarischen Texten arbeiten. Ganz im Trend ist dabei die Bühnenadaption von Kim de l'Horizons "Blutbuch" (24.4.), der Roman des deutschen Buchpreisträgers von 2022 läuft derzeit an einigen Häusern. Jan Friedrich hat ihn für das Theater Magdeburg eingerichtet und kommt damit nun zu "Radikal jung". Ebenfalls auf eine Romanvorlage greift der Beitrag des Volkstheaters zurück: Ran Chai Bar-zvi hat Ágota Kristófs "Das große Heft" (21.4.) inszeniert. Düster, mit minimalen Mitteln erzählt er die Geschichte der Zwillingsbrüder, die in Kriegszeiten aufwachsen, sich immer weiter abhärten und verrohen.

Am Düsseldorfer Schauspielhaus hat Adrian Figueroa "Arbeit und Struktur" (21. und 22.4.) auf die Bühne gebracht. Das als Blog veröffentlichte Tagebuch von Wolfgang Herrndorf, das er im März 2010 begann, erschien dreieinhalb Jahre lang bis zu seinem Tod und ist voller Schönheit, Wucht und Traurigkeit. Die Reminiszenz an den Schriftsteller inszenierte Figueroa mit zwei Schauspielern und einer Schauspielerin. Zuletzt haben Nona Demey Gallagher und Lieselot Siddiki aus den Niederlanden Valerie Solanas radikal-feministische Komödie "Up Your Ass" (27.4.) von 1965 bearbeitet. Solanas ist zum einen bekannt durch ihr "SCUM Manifesto", zum anderen durch ihren Versuch, Andy Warhol zu erschießen. "Up Your Ass" spielt im New York der Sechzigerjahre, Hauptfigur ist die lesbische Prostituierte Bongi Perez.

Die Politischen

Das Recherchestück "Das Kraftwerk" vom Staatstheater Cottbus stieß im politischen Umfeld auf einige Kritik. (Foto: Bernd Schönberger)

Weitere politische Auseinandersetzungen finden sich bei "Radikal jung" mit "Das Kraftwerk - Ein Theaterabend über Kohle, Wasser und die Ewigkeit" (22. und 23.4.) und "Die Gerächten" (21. und 22.4.). "Das Kraftwerk" (Regie: Aram Tafreshian) ist ein Recherchestück von Calle Fuhr am Staatstheater Cottbus. Er hat dafür mit dem Recherchekollektiv Correctiv zusammengearbeitet, um von Energieversorgung und -strukturen zu erzählen. Kohleausstieg, Wasserversorgung, Politik, Justiz, Lobbyarbeit - alles kommt dran, was teils auf heftige Kritik stieß bis in den Brandenburger Landtag hinein. Vom Theater Dortmund ist die Uraufführung "Die Gerächten" von Murat Dikenci nach München eingeladen. In der "postmigrantischen Widerstandsgeschichte" bildet sich eine fiktive Untergrundgruppe, die dem Rechtsruck entgegenwirken will. Doch wie weit darf man gehen für die Sache?

Das Rahmenprogramm

Das Rahmenprogramm des Festivals erweitert sozusagen den Raum, es ist von Florian Fischer klug gestaltet, verbindet Kunst mit politischer oder gesellschaftlicher Realität. "Late Nights" heißt das Format. Und da Theater sich oft, wenn nicht immer mit Fragen nach der Körperlichkeit befasst, scheint eines immer zu passen: Strip Shows. Wobei es in den vorherigen Ausgaben nie nur bloß der Strip war, sondern immer Strip in Kombination mit Erzählung, selbstbewusster Präsentation oder auch Aktivismus. Diesmal ist es eine "Storytelling Strip Show" des Black Sex Workers Collectives mit dem Titel "Heaux Tales" (22.4.). Spielstätte ist das hier bereits etablierte Substanz. Doch auch der politische Diskurs wird in den Late Nights aufgenommen: Bei "A New Hope" sprechen deutsche Aktivistinnen und Aktivisten über ihre Arbeit und ihre Mittel, Hoffnung zu entwickeln (20.4.). Und die Zusammensetzung ist vielversprechend: Angekündigt sind Jean Peters ( Correctiv), Helena Steinhaus (Sanktionsfrei), Arne Semsrott (Frag den Staat), Carla Reemtsma (Fridays for Future) und Newroz Duman (Initiative 19. Februar Hanau). Zudem entschlüsseln in der dritten Late Night die drei Podcaster von "Fashion the Gaze" "den Bildkanon, den die AfD und andere Rechte nutzen". "Nazis auf Tiktok, rechte Inszenierungsstrategien" heißt ihr Abend am 21. April.

Der Publikumspreis

Die Meinung des Publikums ist bei "Radikal jung" unbedingt gefragt. Vor jeder Aufführung verteilt der Verein der "Freunde des Münchner Volkstheaters" Abstimmkarten. Nach der Vorstellung stehen kleine Kästchen bereit mit der Farbeinteilung rot, gelb und grün. Wem es gut gefallen hat, kann seine Karte bei "grün" abgeben, wer es furchtbar fand, darf sich mit "rot" äußern, für alle dazwischen gibt es "gelb". Die Inszenierungen, die am Ende prozentual betrachtet die größte Zustimmung erhält, wird mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Die Preissumme von 4000 Euro stiftet der Freunde-Verein.

Die Jury

Jens Hillje (li.) ist der Festivalleiter von Radikal jung. Zur Jury gehört auch Autor C. Bernd Sucher (Mitte), Christian Stückl ist der Intendant des Volkstheaters. (Foto: Gabriela Neeb)

Wer zu "Radikal jung" eingeladen wird, entscheidet eine vierköpfige Jury. Diese setzt sich aus den beiden Theatermachern Jens Hillje und Florian Fischer sowie der Theaterkritikerin Christine Wahl und dem Autor und einstigen SZ-Theaterkritiker C. Bernd Sucher zusammen. Festivalleiter ist Jens Hillje. Gemeinsam haben sie für die diesjährige Auswahl mehr als 50 Arbeiten gesichtet.

Die Karten

Wer das Festival besuchen will, der sollte sich bald um Karten kümmern. Für einige Aufführungen sind nur noch wenige vorhanden, und es ist absehbar, dass das bald für alle Vorstellungen gilt - im Vorjahr lag die Platzauslastung bei 96 Prozent. Das Volkstheater hat für "Radikal jung" Festivaltickets eingeführt: 20 Prozent Ermäßigung auf den regulären Kartenpreis gibt es ab dem Besuch von vier Vorstellungen, 30 Prozent ab sechs und 40 Prozent ab neun. Festivaltickets gibt es nur an der Theaterkasse in der Tumblingerstraße 29, die übrigen auch online (www.muenchner-volkstheater.de) oder telefonisch (089/5234655). Die regulären Preise liegen zwischen 24 und 39 Euro pro Ticket.

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