Es wird ein Zelt geben. Was im ersten Moment wie eine provisorische Lösung klingt, ist tatsächlich eine gute Nachricht, nach der sich der eine oder andere schon gesehnt haben dürfte. Im Innenhof des Volkstheaters soll in der diesjährigen Ausgabe des Festivals "Radikal jung" ein echter Aufenthaltsort mit Programm entstehen. Das ist etwas, das im vergangenen Jahr gefehlt hat, als das Festival für junge Regie erstmals in dem neuen Haus an der Tumblingerstraße über die Bühnen lief.
Nach den Vorstellungen gab es - bei teils heftigem Regen - für all diejenigen keinen Wohlfühltreffpunkt, die sich nicht ins Restaurant hocken wollten. Das Volkstheater hat daraus seine Schlüsse gezogen, also kommt das Zelt. Und darin findet zudem Platz, was im Vorjahr schon viel Spaß gemacht hat: das Rahmenprogramm von "Radikal jung", das die Ideen und Motive der Inszenierungen noch einmal frei und schräg weiterdrehen darf.
Von Donnerstag, 27. April, bis zum Freitag, 5. Mai, erstreckt sich das Festival, das diesmal 13 Inszenierungen junger Regisseurinnen und Regisseure zeigt, ausgewählt von einer vierköpfigen Jury. Zehn Produktionen kommen aus Deutschland, zwei aus Österreich, eine aus Belgien. Es ist ein Programm, bei dem Festivalleiter Jens Hillje wieder eine Hinwendung zu den "großen Stoffen" erkennen kann. Die Sehnsucht ist da, Geschichten auf der Bühne zu erzählen, die auf literarischen Texten beruhen und zugleich eine gesellschaftspolitische Ausdeutung vornehmen. Die Konzentration auf Identitätsfragen scheint aufgelöst. Das Festival verspricht, ästhetisch und inhaltlich spannend zu werden.
Der Beginn besteht aus einem Dreiklang, der aufgrund der unterschiedlichen Tonlagen schön dissonant sein dürfte: "Zwiegespräch", "Radical Hope" und "Sistas!". Was sich hinter den nicht unbedingt populären Titeln verbirgt, ist Folgendes: Die Burgtheater-Produktion "Zwiegespräch" ist eine Uraufführung, die im Dezember 2022 im Akademietheater Premiere hatte. Sie beruht auf einem Text des Literaturnobelpreisträgers Peter Handke, Regie führte zum ersten Mal am Burgtheater Rieke Süßkow.
Handke hatte sein Buch "Zwiegespräch" den beiden Schauspielern Otto Sander und Bruno Ganz gewidmet, zwei Theatermänner, die sich in Wechselrede an ihre Vergangenheit erinnern. Riekow hat dafür eine neue, überraschende Setzung gefunden: Der Abend spielt in einer Art Heim, in dem sich Menschen ab einem gewissen Alter auf den Tod vorbereiten. Ein herzloser Ort, wer als nächstes stirbt, wird anhand von Spielen ermittelt. Die Inszenierung, die sich einiges traut, hat nicht nur die "Radikal jung"-Jury überzeugt, sondern auch jene des Berliner Theatertreffens. Dort wird "Zwiegespräch" ebenfalls zu sehen sein.
"Radical Hope - Eye to Eye" und später dann die "Dan Daw Show" sind die einzigen Performances, die beim Festival zu sehen sein werden. Beide sind mit einer Altersempfehlung vermerkt aufgrund der expliziten sexuellen Handlungen, die darin auftauchen. "Radical Hope" ist eine Arbeit von Stef Van Looveren aus Antwerpen, die sich thematisch schwer fassen lässt, auf verschiedene emotionale Ebenen abzielt und opulent mit Bildern, Musik und Ausstattung arbeitet.
Als dritte Eröffnungsproduktion, eine Berliner Koproduktion der Volksbühne und des Kollektivs Glossy Pain, operiert "Sistas!" von Golda Barton mit einem alten Theaterstoff: den "Drei Schwestern" von Tschechow. Barton hat das Drama überschrieben, die drei Schwestern leben nicht in der russischen Provinz, sondern in einer Zehlendorfer Wohnung - und sie sind schwarz. Vor der Folie des Tschechow-Stücks verhandelt der Abend der Regisseurinnen Isabelle Redfern und Katharina Stoll Themen wie Rassismus, Aneignung, Identität und auch die Frage, wie durchlässig ein Theaterklassiker für PoCs ist. Das Stück wurde kürzlich für den Mühlheimer Dramatikerpreis nominiert.
Die junge Regie zieht es zu Romanstoffen
Allein mit diesem Auftakt wird klar, wie vielstimmig "Radikal jung" wieder ausgelegt ist. Interessant ist, dass es die junge Regie ganz offensichtlich zu den Romanstoffen hinzieht. Gleich sechs davon sind für die Bühne adaptiert worden - den Handke-Text und die Odyssee (Stas Zhyrkov, Düsseldorfer Schauspielhaus) nicht eingerechnet. Der bekannteste dürfte "Der Meister und Margarita" nach Michail Bulgakow sein, den Luise Voigt am Nationaltheater Weimar eingerichtet hat. Auch die Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux ist vertreten.
Ihren autobiografischen Roman "Das Ereignis", in dem sie ihre ungewollte Schwangerschaft, den Wunsch nach Abtreibung, das Tabu dieses Themas und die Einsamkeit rund um den Abbruch herum beschreibt, hat Annalisa Engheben für das Schauspielhaus Hamburg adaptiert. "Dschinns" holt Fatma Aydemirs Roman, eine Familiengeschichte der Neunzigerjahre, auf die Bühne, "Mein Leben in Aspik" dramatisiert Steven Uhlys Familienclan-Überzeichnung, Sibylle Bergs "GRM. Brainfuck" kommt als "sogenanntes Musical" zum Festival. Dazu steuert das Volkstheater noch die großartige Bühnenadaption von Mathias Spaan nach Tom McCarthys "8 1/2 Millionen" bei. "Radikal jung", so schaut es aus, ist fast ein kleiner Literaturkurs.
Aus dieser Reihe fallen da der Theaterklassiker "Woyzeck" (Jan Friedrich, Theater Magdeburg), aber vor allem die "Gondelgschichten" vom Institut für Medien, Politik & Theater aus Innsbruck heraus. Es ist ein Rechercheprojekt zum Berg- und Skitourismus in Tirol. Grundlage sind Gespräche mit Journalisten, Klimaforschern, Tourismusexperten, aber auch politische Reden. "Gondelgschichte" soll aber kein Dokutheater sein, sondern geschickt in die Satire abdriften.
"Wir sprechen eine große Bandbreite an Themen an", sagt Frederik Mayet, künstlerischer Direktor des Volkstheaters. Wichtig sei aber vor allem, dass es ein Publikumsfestival sei und keines, bei dem nur Fachleute aufeinandertreffen. Dafür müsse es eben auch ein Zentrum geben für Nachgespräche, Rahmenprogramm und den Austausch - ob das wieder ein Zelt sein könne wie in der Brienner Straße, werde nun ausprobiert.
In jedem Fall lässt Florian Fischer, der das Rahmenprogramm zusammengestellt hat, dort Tobias Ginsburg auftreten. Der Autor hat für "Die letzten Männer des Westens" unerkannt in rechtsextremen Kreisen recherchiert, seine Lesungen paart er mit Comedy. Zum Rahmenprogramm gehört auch ein Escape-Room-Spiel. In "Escape Poverty" müssen die Teilnehmer in 60 Minuten einem beengten Zuhause entfliehen - die Künstlerin Deborah Sengl thematisiert damit Kinderarmut. Es gibt erneut Striptease im Substanz, diesmal von und für Lesben, Frauen, nicht-binäre, trans- und intersexuelle Menschen. Das Festival wird zudem wieder von einer Masterclass begleitet und ganz am Ende wird der Publikumspreis verliehen. Viel Neues also in den altbewährten Abläufen dieses nun zum 17. Mal stattfindenden Festivals. Aber jetzt darf es erst einmal losgehen.
Radikal jung, 27. April bis 5. Mai, Volkstheater, www.muenchner-volkstheater.de