Premiere am Münchner Volkstheater:Wirklich ist unmöglich

Premiere am Münchner Volkstheater: Der Abend "8 1/2 Millionen" ist kein blutleeres Konstrukt, auch dank Janek Maudrich, Liv Stapelfeldt, Jan Meeno Jürgens und Steffen Link.

Der Abend "8 1/2 Millionen" ist kein blutleeres Konstrukt, auch dank Janek Maudrich, Liv Stapelfeldt, Jan Meeno Jürgens und Steffen Link.

(Foto: Konrad Fersterer)

Regisseur Mathias Spaan entwickelt einen famosen Abend nach Tom McCarthys Roman "8 1/2 Millionen" für die Bühne des Volkstheaters.

Von Yvonne Poppek

Die Dinge sind nicht zuverlässig, Menschen sowieso nicht. Auf dem Boden stört ein Fettfleck, Katzen stürzen von Dächern, wo sie doch dort umher streunen sollen, die Portiersfrau ist einfach nicht der Besen. Und ja: Auch das Sonnenlicht macht es nicht richtig, wandert zu schnell durch den Raum. Wie soll da nur die perfekte Wiederholung funktionieren? Denn genau darum geht's in Tom McCarthys Roman "8 1/2 Millionen". Um Reenactment als Krücke dafür, Authentizität herzustellen. Nachspielen für das Gefühl, echt, fließend, nicht second-hand zu sein. Und an welchem Ort ließe sich dem besser nachgehen, als am Theater? Dort, wo Situationen künstlich hergestellt werden, geprobt, wiederholt und wo sie im Moment ihres Werdens eben doch auch Realität erlangen?

Am Münchner Volkstheater hat Regisseur Mathias Spaan gemeinsam mit Dramaturg Leon Frisch den 2008 erschienen, viel gefeierten Bestseller für die Bühne bearbeitet. Der Roman ist genauso soghaft wie komplex, weswegen dieses Vorhaben durchaus ein heikles sein kann. Doch was Spaan hier macht, verscheucht alle Bedenken. Einmal mehr kommt in dem Haus an der Tumblingerstraße ein Abend heraus, den man sich anschauen sollte. Witzig, klug, jung und so perfekt in den Übergängen, dass man sich öfters wünscht, man könnte wie die Hauptfigur sagen: noch einmal, bitte.

Die Ausgangssituation ist ein Unfall

Die Ausgangssituation in "8 1/2 Millionen" ist ein Unfall, für den der namenlose, 30-jährige Ich-Erzähler mit eben jenen 8 1/2 Millionen Pfund entschädigt wird. "Etwas fiel vom Himmel", an mehr erinnert er sich nicht. Mühsam hat er in der Physiotherapie Alltägliches neu lernen müssen, weshalb er das Gefühl entwickelt hat, alles, was er tue, sei kopiert, second-hand. Deswegen will er um jeden Preis das Gefühl von Echtheit wiederherstellen. Alltagssituationen, vielleicht Erinnerungsfetzen, lässt er aufwendig inszenieren und wieder und wieder nachspielen. Wobei die Komplexität der Szenen mehr und mehr gesteigert wird bis zur Eskalation.

Spaan hat für seine Adaption beherzt in den Roman eingegriffen und vieles weggelassen. Ihm geht es nicht ums bloße Nacherzählen des Plots, sondern um die Frage: Was ist echt? Ohne, dass er es je direkt thematisiert, ist das für unser Hier und Jetzt eine grundlegende Überlegung, wo doch schon jedes Selfie eine zigfach nachgestellte Pose ist. Doch derartige Gegenwartsbezüge braucht der Abend nicht, um kleine Nadeln in unser Selbst(?)verständnis zu bohren. Spaan inszeniert quasi zeitlos, verortet die Handlung nicht. Dabei arbeitet er ebenso elegant wie leichtfüßig mit dem V-Effekt des Spiels im Spiel im Spiel.

Die Bühne ist klug abgestimmt mit wenigen Versatzstücken

Auf der klug abgestimmten Bühne von Anna Armann gibt es wenige Versatzstücke, hier ein paar Treppen, ein Münztelefon, wolkenförmige Stücke einer Häuserwand, die vom Bühnenhimmel herabgelassen werden. Die Hubböden fahren herauf und herab. Und dann gibt es noch ein Klavier, an dem Pianist Markus Hein den Pianisten spielt, der den Pianisten spielt. Die Handlung hat Spaan auf vier Darstellende und zwei Statisten verteilt. Die Vier wiederum teilen sich die Rolle des Protagonisten. Genauso unzuverlässig wie die Ebene, auf der sich das Spiel gerade bewegt, sind also auch die Figuren. Es ist wie in einem Spiegelkabinett, in dem das eigene Bild vielfach zurückgeworfen wird, das echte aber verschwindet.

Dass dieses Konstrukt sich niemals schwer anfühlt, liegt nun an Jan Meeno Jürgens, Steffen Link, Janek Maudrich und Liv Stapelfeldt. Mal solistisch, mal chorisch, mal in Nebenrollen erzählen, spielen, wiederholen sie die wahnwitzige Story dieses Sonderlings aus der Sparte der größeren Übertragbarkeit. Jeder gibt ihm eine eigene Färbung, sensibel, nerdig, rau, hibbelig. Steffen Link spannt schließlich Hybris und Verzweiflung so dicht zusammen, dass man meint, er sei direkt McCarthys Roman entschlüpft. Doch nein: Das ist alles nicht echt. Aber echt gut.

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