Münchner Rathaus:Ein Balkon für Feierbiester und Verliebte

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Der Münchner Rathausbalkon und der FC Bayern gehören in der öffentlichen Wahrnehmung zusammen. Doch um sich feiern zu lassen, muss man nicht unbedingt einen Pokal gewonnen haben.

Von Heiner Effern

Schuld ist natürlich der FC Bayern, mit seiner penetranten Art, ständig irgendwelche Pokale oder Schüsseln zu gewinnen. Diese wollen die Fans dann auch sehen, also schleppen die Fußballer sich und ihre Trophäen in den ersten Stock des Rathauses, gehen durch den Besprechungsraum der Kämmerei nach draußen und stellen sich auf ein kleines Metallpodest, damit das Volk sie hinter der Brüstung auch sehen kann. Gelegentlich grölen oder singen sie dann auch noch, im besten Fall strecken sie nur ein Silberding mit beiden Händen nach oben. Der Rathausbalkon und der FC Bayern, die gehören in der öffentlichen Wahrnehmung zusammen.

Dadurch haben sich gleich zwei Irrtümer verfestigt: dass es nur einen einzigen Balkon gibt an dieser auf neugotisch getrimmten Front des Rathauses und dass beim Blick hinauf vom Marienplatz nur Fußballfans ekstatische Zuckungen durchleben. Man denke nur zurück an den 26. Juni 1992.

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Damals öffnete sich auf einem Balkon im zweiten Stock des Rathauses die Tür. Unter Gekreische und Gejohle sichtlich nicht dem Fußball zugewandter junger Mädchen und Frauen sollte ein König heraustreten. Doch der stand drinnen an der Türe, druckste herum, wollte nicht so recht. "Der hat sich nicht hinausgetraut. Wir haben nicht so recht gewusst, hat er vielleicht Höhenangst?", erinnert sich Karl Heinz Lindemeir, der von 1986 bis 2013 Protokoll-Chef der Stadt war.

Der Manager redete auf den Mann ein, "dann haben wir ihn halb hinausgeschoben". Und vom Balkon des Rathauses grüßte: der King of Pop, Michael Jackson, mit der linken Hand winkend, ein Kind vor sich, dunkelblaue Jacke zwischen Zirkusdirektor und Gala-Uniform. Dahinter zwei kleinere Herrscher, aus einer anderen Dynastie stammend. Rechts von Jackson stand Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD), links sein Thronerbe Christian Ude (ebenfalls SPD).

Die Einladung für eine Audienz auf dem Balkon spreche übrigens immer der Oberbürgermeister selbst aus, sagt der langjährige Protokoll-Chef Lindemeir. Hoheitliche Rathaus-Besuche von Weltstars oder echten Royals finden meist im Kleinen Sitzungssaal des Rathauses statt.

Lady Diana und Prinz Charles ließen sich von ihren Fans huldigen

Dort trägt sich der Gast ins Goldene Buch der Stadt ein, und wenn draußen auf dem Marienplatz eine ausreichende Menge an Verehrern wartet, bittet der OB um ein paar Minuten für die Münchner. In der Regel kommt er auch selbst mit hinaus, stellt auf Wunsch den Alten Peter gegenüber vor, und dann ist es schon wieder vorbei. Der Vorteil des Promi-Balkons im zweiten Stock macht sich vor allem bei Schlechtwetter bemerkbar: Er besitzt ein Dach.

Kaum zu erwähnen, dass sich nicht nur der King of Pop, sondern auch, nun ja, die Popstars unter den Royals darauf zeigten. Lady Diana und Prinz Charles traten ebenfalls hinaus, um sich von ihren Fans huldigen zu lassen. Die Prinzessin natürlich souverän zurückhaltend mit englisch-feinem Hut, Prinz Charles ähnlich verkrampft lächelnd wie Michael Jackson.

Zwischen den beiden passten nicht zwei Blatt Papier, sondern locker zwei 500er Packen, so weit auseinander standen sie. Englischen Boulevard-Medien zufolge sollte der Deutschlandbesuch zwar die Ehe der beiden gerettet haben. Eine Falschmeldung, wie man im Nachhinein weiß, auf dem Balkon sahen sie auch nicht danach aus.

Dabei sind bei genauem Hinschauen immer wieder auch glückliche Paare auf einem der mehr als zehn Balkone an der Rathausfassade zu sehen. An fünf Tagen im Jahr öffnet die Stadt den kleinen Sitzungssaal im Rathaus für Hochzeiten. Wer im Losentscheid gewinnt, darf sich dort die Ringe an die Finger stecken und draußen am Balkon fotografieren lassen: So gibt es nun Brautpaare, die in ihrem Album Fotos haben, auf denen sie Nase an Nase auf dem Balkon stehen. Im Hintergrund der Turm des Alten Rathauses, durch die Quadrate des Tauben-Abwehrzauns zu sehen.

OB Ude empfing die 60er deutlich lieber auf dem Balkon

Wie angenehm benehmen sich dagegen die Angestellten des Rathauses und die Stadträte, die ihre Hinterlassenschaften auf dem Balkon im zweiten Stock stets sorgsam ausdrücken und in einen Metallbehälter werfen. Anfänger unter den Rathausbeobachtern denken bei ihren ersten Besuchen, dass im Zimmer 209 immer wieder wichtige Geheimverhandlungen zur laufenden Vollversammlung abgehalten werden. Das stimmt natürlich, wie später herauskommt, doch die Zigarette zwischendurch soll zwingend dazugehören.

In punkto Benehmen sollte man siegestrunkene Fußballer gar nicht erst beurteilen, Trainer übrigens auch nicht. In Form einer Geiselnahme soll Louis van Gaal, genannt Feierbiest, einmal den bekennenden 1860-Fan und OB Christian Ude zu einer Art Zillertaler Hochzeitsmarsch auf dem Balkon im ersten Stock gezwungen haben. Das Metallgeländer an der Brüstung soll zudem wegen möglicher niederländischer Übersteiger angebracht worden sein.

Es gilt jedoch als gesichert, dass OB Ude deutlich lieber die 60er auf dem Balkon empfangen hat. Das durfte er einmal, als die Löwen 1991 in die erste Bundesliga aufgestiegen sind. Allerdings machte der damals noch junge OB den Fehler, eine Rede halten zu wollen, und dabei auch noch diesen anderen Fußballverein zu erwähnen, den es in der Stadt gibt. Im Pfeifkonzert hat er dann erleben müssen, dass man sich auf einem Balkon mit vielen Menschen darauf und noch viel mehr Menschen davor auch sehr einsam fühlen kann.

© SZ vom 18.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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