Fankneipen:Wie Dortmund-Fans in München eine Heimat suchen

Fankneipen: Immerhin ist die Wand rot: So feiern die Dortmunder Fans im Barschwein nahe der Münchner Freiheit.

Immerhin ist die Wand rot: So feiern die Dortmunder Fans im Barschwein nahe der Münchner Freiheit.

(Foto: Robert Haas)
  • Nachdem die Clemensburg im Sommer schließen musste, suchten Münchner Borussia-Dortmund-Fans eine neue Kneipe.
  • Die Suche gestaltete sich schwierig - viele Münchner Bars sind in der Hand des FC Bayern München.
  • Derzeit sind die Dortmund-Fans auf Probezeit im Barschwein an der Münchner Freiheit.

Von Paul Munzinger

Im Barschwein sind die Wände rot gestrichen, FC-Bayern-rot. Nirgends hängt eine schwarz-gelbe Flagge und eine Currywurst servieren sie hier auch nicht, aber Becky Rieger ist bereit, über solche Schönheitsfehler fürs Erste hinwegzusehen. Viel anderes bleibt ihr ja nicht übrig.

Das Spiel ist gerade vorbei, mit 7:1 ist die Borussia im fernen Dortmund über den zweitklassigen SC Paderborn hinweggefegt. Der FC Bayern hätte das kaum besser hinbekommen. Rieger, die sich zum BVB-Trikot noch einen schwarz-gelben Schal umgehängt hat, geht jetzt von Tisch zu Tisch und erinnert die Gäste noch einmal an die Zettel, die sie vor dem Anpfiff verteilt hat.

BVB-Fans auf Probezeit

Jeder soll sich eintragen für das nächste Spiel, und wer sich noch nicht sicher ist, ob er kommen kann, soll zumindest ein Fragezeichen machen. Zwei Fragezeichen ergeben eine Reservierung. Und je mehr Reservierungen, desto eher lässt sich der Wirt überzeugen, dass es sich lohnt, den Münchner BVB-Fans eine neue Heimat zu bieten. Denn noch sind sie hier, im Barschwein an der Münchner Freiheit, nur Gäste auf Bewährung. Bis Dezember läuft die Probezeit.

Wer in München lebt und der Dortmunder Borussia die Daumen hält, erlebt das Fan-Dasein als ewiges Auswärtsspiel. Der FC Bayern hat den Dortmundern in den letzten drei Jahren die Meisterschaft, die Champions League, den Lokalhelden Götze, den Torjäger Lewandowski und zuletzt sogar die Hoffnung weggenommen, sich dafür in absehbarer Zeit angemessen revanchieren zu können. Wer sich seinen schwarz-gelben Frust auf dem Oktoberfest von der Seele trinkt, muss jedes Mal, wenn die Kapelle nur für einen Moment Luft holt, den Ballermann-Song "Ladioo" zum Schmähgesang auf die eigene Mutter umgedichtet über sich ergehen lassen.

Und als wäre das noch nicht schlimm genug, wurden viele BVB-Fans im Sommer auch noch ihrer Zuflucht in der Mia-san-Mia-Metropole beraubt: Die Clemensburg, über Jahre das schwarz-gelbe Epizentrum in München, musste schließen. Der Vermieter kündigte den Pachtvertrag, da halfen alle Proteste und Petitionen nichts. Seitdem sind Becky Rieger und die "Clemensburger Borussen" auf der Suche nach einer neuen Bleibe.

"Echte Liebe" zum BVB

Rieger ist 29, sie arbeitet beim Staatsschauspiel in der Verwaltung und stammt eigentlich aus Dresden. Zum BVB kam sie über ihre Schwester, die sich Anfang der Neunziger in den Spieler Fleming Povlsen verguckte, den heute außerhalb Dortmunds kaum noch jemand kennen dürfte. Aus der Schwärmerei der Schwester ist bei Rieger "Echte Liebe" geworden (das steht bei den BVB-Trikots auf der Innenseite des Kragens), von der man eben auch nicht immer erklären kann, wo sie hinfällt.

Seit vier Jahren lebt sie in München, und das sehr gerne. Nur der FC Bayern und dessen allzu selbstsicheren Anhänger stören. Die sind für Rieger zwar keine Fans, sondern nur "Kunden", aber eine "Elefantenhaut" hat sie sich in München trotzdem zugelegt. Die kann sicher nicht schaden. Durch München läuft Rieger mit einem Jutebeutel, auf den gelb auf schwarz "DO - Fußballhauptstadt" gedruckt ist. Vielleicht hat es auch mit diesem Beutel zu tun, dass sich die Suche nach einer neuen Außenstelle der Fußballhauptstadt Dortmund in der Stadt des Rekordmeisters so schwierig gestaltet.

Monatelang hat Rieger mit ihrem Freund und einer Vespa Dutzende Kneipen in Schwabing abgeklappert. Manche Wirte haben sich lustig gemacht ("Ihr findet eh nie was"), manche hatten eher Mitleid. Aus einigen Kneipen, sagt Rieger, sei sie "rückwärts wieder raus", als sie ein Bayern-Trikot an der Wand hängen sah.

Als die Hoffnung fast verloren war, meldete sich das Barschwein

Und selbst dann, wenn eine Kneipe sich nicht auf den ersten Blick zum FCB bekannte, war die Antwort fast immer die gleiche: "Wenn die Bayern spielen, zeigen wir die Bayern." Die Kunden sind eben doch recht zahlreich in München. Irgendwann haben Rieger und ihr Freund überlegt, ob es nicht das einfachste wäre, selbst eine Kneipe aufzumachen. Dann kam der Anruf aus dem Barschwein. Und die Clemensburger Borussen wurden Stammgäste auf Probe.

Es ist nicht so, dass es in München nach dem Aus für die Traditionskneipe in der Clemensstraße keinen Anlaufpunkt für Fans von Borussia Dortmund mehr gibt. Zu jedem Spiel treffen sich die Münchner Borussen, ein eingetragener Fanclub, in der Alten Raffinerie auf dem Gelände der Kultfabrik. Dort gibt es viel Platz, große Leinwände, gute Stimmung und keine Nachbarn, die sich durch den Lärm belästigt fühlen.

Viel Fußball, aber wenig Kneipe - genau das ist für Rieger das Problem. Urig soll die neue Heimat sein, gemütlich, eher Gegengerade als Südtribüne. Als klassische Münchner Boazn geht zwar auch das Barschwein nicht durch - die Bar gilt eher als Studenten-Absturz-Kneipe, das Kölsch kostet 1,20 Euro, Speisen gibt es auf der Karte nicht -, aber es gibt Platz und gute Sicht auf fünf Bildschirme.

Der HSV im ersten Stock, die Borussen im Erdgeschoss

Und vor allem: einen Wirt, der zwar seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, aber nichts gegen Fußball-Fans hat. Im ersten Stock hat sich bereits ein HSV-Fanclub eingerichtet. Warum sollen im Erdgeschoss nicht die BVB-Fans ihre Spiele schauen? Das Sky-Abo muss er sowieso bezahlen. Dem Besitzer ist es nur wichtig, dass es friedlich bleibt, auch wenn eine Niederlage einmal wehtut.

In dieser Hinsicht sind die Dortmunder bislang nicht auf die Probe gestellt worden. Zwei Spiele haben sie bisher im Barschwein geschaut, vor dem Kantersieg gegen Paderborn gab es ein 5:1 gegen Augsburg. Um die 40 Schwarz-Gelbe sind jeweils gekommen. Nicht schlecht, findet Rieger, Paderborn ist schließlich nicht Real Madrid und Augsburg nicht der FC Barcelona.

Bis Dezember werden sich Fans und Kneipe jetzt also beschnuppern. Dann wird entschieden, ob aus der Probezeit echte Liebe werden kann. Möglich ist alles, ganz egal wie rot die Wände sind: Bevor die BVB-Fans in der Clemensburg heimisch wurden, hatten sich dort die Schalke-Fans versammelt. Für die haben die Dortmunder noch weit schlimmere Namen als "Kunden".

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