Clemensburg in Schwabing:Bedrohte Wärmestube für BVB-Fans

Borussia Dortmund Fans in der Kneipe "Clemensburg" in München, 2013

Fans der Fußballmannschaft Borussia Dortmund leiden während der Übertragung des DFB-Pokal Viertelfinalspiels FC Bayern München - Borussia Dortmund in der "Clemensburg" in Schwabing mit ihrem Verein.

(Foto: Robert Haas)

Wenn Borussia Dortmund gegen den FC Bayern spielt, gibt es für die Fans in Schwarz-Gelb nur eine Kneipe in München: die Clemensburg. Doch die muss bald schließen - trotz aller Unterschriftensammlungen.

Von Julia Rathcke

Was bei der Erziehung seiner Töchter wann genau schief gegangen sei, kann Werner Müller nicht sagen. Am Anfang habe er sie noch locker in die BVB-Strampler stecken können, aber irgendwann, es muss so in der Pubertät passiert sein, fingen die beiden an zu fragen: "Papa, wieso bist du denn Borussia-Dortmund-Fan? Wir sind doch hier in München!" Tja, dachte Müller, mein München ist aber schwarz-gelb. Und das besingen nicht nur die "Münchner Borussen", der größte BVB-Fanklub der Stadt, in der gleichnamigen Vereinshymne. Das ist auch so. Schließlich sind es die Farben des Stadtwappens von München. Einer Stadt, die allerdings bald ein bisschen weniger schwarz-gelb sein wird. Denn während Borussia Dortmund am Dienstag gegen den FC Bayern um den DFB-Pokal spielt, wird es die einzige BVB-Kneipe Münchens bald nicht mehr geben.

Mietvertrag ist nicht verlängert worden

Die Clemensburg wird am 30. Juni 2015 Geschichte sein. Der Mietvertrag ist nicht verlängert worden. Zuerst, weil eine der beiden Pächterinnen nicht mehr wollte. Dann, weil die Genossenschaft nicht mehr wollte. So einfach ist das, und auch wieder nicht. Um zu verstehen, was das Ende dieser Institution für einige Menschen bedeutet, sollte man an den Anfang der ältesten Kneipe Schwabings zurückgehen, zum Gründungsjahr, das mit dem des Ballspielverein Borussia zusammenfiel: 1909. Damals, so sagt man, diente die Clemensburg als Wärmestube. Heizöfen gab es nicht in jeder Wohnung; also kamen die Menschen aus dem Viertel hierher, um sich aufzuwärmen. Das hat sich im Prinzip ebenso wenig geändert wie die holzvertäfelten Wände, die immer noch ein bisschen nach dem kalten Rauch anderer Zeiten riechen. Bloß dass es heute nicht mehr Haferschleimsuppe gibt, um sich aufzuwärmen, sondern Pommes mit Currywurst auf dem Programm stehen, und eben der Fußball.

Wann er sein Herz an die Borussia verloren hat, weiß Werner Müller noch genau. Im Mai 1966 war das, er war elf Jahre alt, und es war "ein Wahnsinnsjahr für den BVB". Im Fernsehen lief die Sportschau, das Endspiel vom Europapokal der Pokalsieger, dem einst so wichtigen Spiel, BVB gegen Liverpool in Glasgow. Siegfried "Sigi" Held, der seinem Namen für den Verein damals alle Ehre machte, legte vor, und Reinhard Libuda schoss den BVB in der Verlängerung mit 2:1 zum Sieg. "Dieses Tor aus 28 Metern, das war der Knaller", sagt Müller, "so was wollte ich noch mal sehen."

So etwas hat er bis jetzt aber kein zweites Mal gesehen; und auch sonst gab es zuletzt wenig Grund zu jubeln beim BVB. Und trotzdem: "Schwarz-gelb bleibt man ein Leben lang", sagt Gregor Kubla, Mitglied im Fanklub "Münchner Borussen". Kubla ist Arbeiterkind aus Unna. Berufsbedingt kam der 38-Jährige vor zehn Jahren nach München. Er fand einen guten Job, aber kaum Anschluss. Schicksal einer gut ausgebildeten Generation, die für beruflichen Erfolg Dauer-Flexibilität in Kauf nimmt.

München schwarz-gelb

Schwarz-gelb sind die Münchner Stadtfarben. Wenn diese Farben am Dienstag in der Innenstadt aufleuchten, dann ist das dennoch keine Aktion der bayerischen Landeshauptstadt - im Gegenteil: Etwa 8500 Anhänger des (ebenfalls schwarz-gelben) BVB werden zum ausverkauften Fußball-Pokalhalbfinale zwischen Bayern München und Borussia Dortmund um 20.30 Uhr in der Arena erwartet. Die Polizei rechnet fest damit, dass es wie bei vorangegangenen Spielen friedlich zugehen wird. Sie hat etwa 400 Beamte im Einsatz - das ist ein Drittel der Zahl, die am Ostermontag fürs Viertliga-Derby zwischen Bayern und Löwen aufgeboten worden war. Über die aktuelle Entwicklung am Rande des Spielfelds informiert das Polizeipräsidium über Facebook (http://facebook.de/ppmuenchen) und Twitter (https://twitter.de/polizeimuenchen). bm

Beschwerden, Auflagen und am Ende Jubelverbot

Schicksale aber schweißen zusammen. Und die Clemensburg hat viele verbunden. Menschen, die Wärme suchten oder ein kühles Bier: Anwohner, Zugezogene, Touristen, Bayernfans, Schalkefans und zuletzt eben die Dortmunder. Dass der BVB 2012 so erfolgreich sein würde, habe ja niemand geahnt, sagen die beiden Wirtinnen Sonja Pintaric und Barbara Jakisch. Mehr Erfolg, mehr Fans - so ist das nicht nur beim FC Bayern. "Die Jungs waren nicht mehr zu bändigen", erinnert sich Pintaric. Es folgten Beschwerden, Auflagen und am Ende Jubelverbot. Viele Borussen gingen.

"Tja", sagt einer aus Schwabing, der seit 1965 jeden Sonntag hier sein Weißbier trinkt, "die Kneipe war vor den Anwohnern hier". Wenn sie dicht macht im Sommer, weiß er nicht, wo er dann sein Bier trinken soll. "Zur Clemensburg gibt's keine Alternative." Das sieht die Baugenossenschaft München-Schwabing nicht so, zuletzt waren dort nun Büroräume geplant. Chef-Genosse Herbert Frötsch will sich dazu aber nicht mehr äußern. "Das steht alles in den Sternen", sagt er, und die Gründe für das Ende der Clemensburg seien rein pragmatisch. Der Vertrag laufe aus und sei nicht rechtzeitig verlängert worden.

Nachdem sich die Pächterinnen vor 25 Jahren als Kellnerinnen kennengelernt und 2010 zugeschlagen haben, als der Vorpächter aufhörte, war ihr einziges Ziel: Alles soll so bleiben. Sie wollten das Kulturerbe wahren, eine Heimat für Fremde bieten, ein bisschen Liebe. Ende Juni müssen sie ihr Ziel aufgeben, 3000 gesammelte Unterschriften gegen die Schließung haben nur symbolischen Wert. Nach der Sommerpause müssen Gäste ausweichen, manche Fans tun das bereits. Werner Müller fiebert diesen Dienstag im Stadion mit dem BVB, er hat drei Karten. Für sich und seine beiden Bayern-Fan-Töchter.

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