Film-Kurs:Erinnerungsarbeit mit der 360-Grad-Kamera

Lesezeit: 2 min

In einem Workshop im Pixel lernen junge Filmemacher, wie sie Lebensgeschichten von Münchner Opfern der NS-Gräuel verantwortungsbewusst zeigen können.

Von Dirk Wagner, München

Mit 19 Jahren fuhr Daniel Aberl 2013 das erste Mal in die Ukraine. Als Kameramann dokumentierte er für die Matz-Fernsehredaktion die Begegnung mit Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs als Zwangsarbeiter nach Bayern verschleppt wurden. Sieben Jahre später zeigt Aberl Ausschnitte des damals entstandenen Films "Pryvit Kiev - Pyvit München" in einem Workshop am Samstag im Pixel am Gasteig, der junge Menschen auf die eigene mediale Auseinandersetzung mit NS-Verbrechen vorbereitet. Aberl erzählt ihnen von seiner persönlichen Unsicherheit, als er eine Frau filmen musste, die vor dem Grab ihres Vaters stand und weinte. Schließlich sei das ein sehr intimer Moment gewesen.

Auch der Historiker Maximilian Strnad von der Koordinierungsstelle Erinnerungszeichen des Münchner Stadtarchivs ist beim Workshop anwesend. Er gibt zu bedenken, dass es für die gefilmte Tochter wichtig gewesen sein kann, zu wissen, dass nun auch junge Menschen vom Schicksal ihres Vaters erfahren.

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Die jugendlichen Kursteilnehmer hören aufmerksam zu. Schließlich wollen auch sie in einem gemeinsamen Projekt des Stadtarchivs und der Dein Life-Redaktion, die mittlerweile aus der Matz-Fernsehredaktion hervorgegangen ist, Lebensgeschichten von Münchner Opfern der NS-Gräuel aufzeigen. Audio-visuelle Beiträge wollen sie dafür erarbeiten, sie wollen die vom Stadtarchiv unterstützte Erinnerungskultur ebenso begleiten wie ergänzen. Eine Erinnerungskultur, die etwa mit Tafeln an Häuserwänden oder mit Stelen früheren Bewohnern gedenkt, die im Dritten Reich von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Oder eine Erinnerungskultur, wie sie zum Beispiel die Bayern-München-Fan-Gemeinschaft "Schickeria" mit entsprechend vorbereiteten Choreografien in der Fankurve praktiziert.

Damit würde man auch Menschen erreichen, die keine Lust haben, die zahlreichen mitunter sogar sehr gut recherchierten Geschichtsbücher zum Thema zu lesen, erklärt der 17-jährige Kursteilnehmer Jonas: "Ich selbst gehöre zwar nicht zu den Leuten, die sich gleich abwenden, wenn das Thema in der Schule dran kommt. Trotzdem berühren aber auch mich die persönlichen Geschichten der einzelnen Opfer mehr als diese unglaublich hohen Opferzahlen, die man im Geschichtsunterricht erfährt", sagt er. Jonas ist eigentlich wegen eines generellen Interesses an Filmtechnik zum Workshop gekommen.

Vor der eigentlichen Einführung in die Filmtechnik erklärt ihm Strnad nun den Umgang mit historischem Bildmaterial, das möglicherweise in die Videoarbeiten der Jugendlichen einfließt. Schließlich habe man es hier oft mit Bilddokumenten zu tun, auf denen bewusst eine Entwürdigung der gezeigten Menschen inszeniert wurden. Eines der vielen Bildbeispiele, die Strnad mitgebracht hat, ist ein Polizei-Foto, das einen Inhaftierten mit nacktem Oberkörper zeigt. "Auch wenn das ein Mann ist, empfehle ich einen Bildausschnitt, der den Mann nicht nackt zeigt. Das hat auch was mit Würde zu tun", sagt Strnad.

Der Historiker sensibilisiert die Workshop-Teilnehmer mit zahlreichen weiteren Beispielen für eine verantwortungsbewusste Auswertung von Dokumenten. Gleichzeitig wecken die von ihm mitgebrachten Dokumente ein weiteres Interesse. Neben Fotos ist das auch mal ein amtliches Schreiben, das über die Vollstreckung eines Todesurteils informiert. "Die Veröffentlichung einer Todesanzeige ist unzulässig", schließt jenes Schreiben. "Damit wollte man auch über deren Tod hinaus sicherstellen, dass diese Menschen unsichtbar bleiben, aus der Gesellschaft verschwunden sind", erläutert Strnad.

Mit Erinnerungszeichen versucht das Münchner Stadtarchiv einige jener verschwundenen Menschen wieder sichtbar zu machen. Nun garantiert eine quantitative Ausweitung der Gedenkorte zwar keine qualitative Verbesserung der Erinnerungskultur. Sie können aber Impulse setzen, denen im Idealfall auch jüngere Menschen nachgehen, um künftig die Erinnerung lebendig zu halten. Darum ist auch die Möglichkeit wichtig, die die Koordinierungsstelle Erinnerungszeichen des Münchner Stadtarchivs in Zusammenarbeit mit der Dein Life-Redaktion des Medienzentrums München jungen Menschen bietet.

Mit neuester Technik, darunter auch eine 360-Grad-Kamera, können Jugendliche audiovisuelle Beiträge zum Thema schaffen, die dann auf den Internetseiten des Stadtarchivs und der Dein Life-Redaktion zu sehen sein werden. Junge Interessierte können sich dort übrigens noch melden. Das Projekt ist zunächst bis Oktober geplant.

© SZ vom 13.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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