Die Aventinus-Buam vom Tal:"Nur einmal hätt' ich fast nicht gekonnt"

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Der Aventinus-Stammtisch im Weißen Bräuhaus im Tal. (Foto: Robert Haas)

Vor 42 Jahren feierte Peter Hermann mit sechs Freunden im Weißen Bräuhaus seinen Junggesellenabschied. Aus dem Abend wurde Tradition. Die Ehe ist längst vorüber, den Stammtisch gibt es noch heute.

Von Thomas Becker

Eigentlich hätte dieser 7. Mai 1982 nur das Vorspiel werden sollen. Vorprogramm für den größten aller Tage: die Hochzeit. Nun, man ahnt es schon: Die Strahlkraft jenes 8. Mai sollte über die Jahre verblassen, während das, was am Abend zuvor geschehen war, bis heute sinnstiftende Lebensluft atmet. Und damit zu Peter Hermann.

Am Tag, als Joachim Fest in Gegenwart von Golo Mann den Thomas-Mann-Preis entgegennahm und in den Radios Falcos "Der Kommissar" die Nummer eins der Charts war, feierte der damals 25-Jährige mit Kumpels Junggesellenabschied, im Weißen Bräuhaus im Tal, seinem Stammlokal. Wie nicht eben wenige Junggesellenabschiede - Hollywood-Stoff für eine Hangover-Trilogie - geriet das Ganze nicht nur feucht, sondern auch sehr fröhlich, sodass man sich einig war: "Könnten wir öfter machen."

Machten sie dann auch, gründeten den Stammtisch "Aventinus-Buam", nach dem Starkbier der Brauerei Schneider. Präsident der Zechbrüder wird Peter Hermann und ist es heute noch. Verheiratet ist er lange nicht mehr, jedenfalls nicht mit seiner Frau, dafür aber mit dem Stammtisch, denn seit 42 Jahren hat er keinen einzigen verpasst.

Der erste Freitag im Monat ist ihm und den 13 anderen Aventinus-Buam heilig. "Nur einmal hätt' ich fast nicht gekonnt", erzählt Hermann, "aber dann haben wir um eine Woche verschoben." Der 67-jährige Giesinger ist das, was man eine Erscheinung nennt, ein Paradebayer aus dem Bilderbuch: der ganze Bua in Tracht, unten Zwirbel-, oben Gamsbart, fröhlich blitzende Äuglein und immer einen Schmäh parat: "Wir trinken ned bloß an Aff'n, wir machen uns auch zum Affen."

Wer im Weißen Bräuhaus Affen bestellt, bekommt ein Aventinus, dunkles Starkbier, 8,2 Prozent Alkohol, 18,5 Prozent Stammwürze. Der Name des weltweit ältesten Weizendoppelbocks geht zurück auf den Hoflehrer Johannes Aventinus, der als Vater der bayerischen Geschichtsschreibung gilt. Mathilde Schneider, die Ur-Großmutter des heutigen Brauereichefs Georg Schneider, erfand den Trunk 1907 und führte die Firma damit durch Inflation und Kriege.

Heute wird der Aventinus in mehr als 30 Länder exportiert und gewinnt Preise bei internationalen Bierwettbewerben. Die Brauerei preist den Exportschlager so an: "Sein kräftiger Körper in Kombination mit seiner malzaromatischen Süße bietet echten Tiefengenuss - eine geniale Kombination, perfekt süffig. Passt auch hervorragend zu Deftigem, zu dunklen Braten und süßen Nachspeisen." Stimmt, sagt Peter Hermann: "Ohne Grundlage verträgst den Schmarrn halt ned."

Es ist ein schöner Schmarrn, den sich die Buam da seit Jahr und Tag an Tisch drei einverleiben, und auch das, was am Biertisch so geredet wird, fällt zuweilen in diese Kategorie, was der Stimmung nur guttut. Statt zu politisieren, lässt man lieber den Flachs blühen, und das schon nach dem ersten Glas. Bei Ankunft hängt jeder Stammtischbruder an einer Art Mini-Maibaum seine Marke auf; erst wenn sich alle wieder "abgehängt" haben, ist der Stammtisch zu Ende.

Übersehen kann man die in Tracht gewandete Truppe nicht, allein schon wegen der Aventinus-Fahne an der Wand, die fast bis zum Gamsbart des Präsidenten reicht, den alle nur Bräse oder Bäda nennen und der natürlich am Kopfende sitzt, um alles und jeden im Blick zu haben. Einmal ist er für die Bedienung einem Zechpreller hinterher, bis rüber zum Marienplatz. Zu überhören sind die Buam auch nicht: Wenn die Bedienung eine frische Runde Aff'n bringt, ertönt wenig später ein derart lautes, zackiges "1, 2, 3 - Prost!", dass mancher Sitznachbar zusammenzuckt.

Die sogenannte Foto-Sau auf dem Tisch frisst Euros, die Touristen für ein Foto mit den dekorativen Starkbier-Boys zahlen, oder für eine "Oarschplattler"-Vorführung, bei dem sich zwei Buam gegenseitig den Allerwertesten versohlen. Auch immer ein Foto wert: das riesige Drei-Liter-Glas, das sich die Runde meist nach dem Essen gönnt, als Roll-Schoppen.

Ein Utensil fehlt noch: "Wo hast denn unsern Wimpel versteckt?", blafft der Bräse nach einer Prise Schnupftabak in Richtung Wirt, der alsbald mit dem Schmuckstück antrabt. 17 Namen sind darauf verewigt, drei davon in schwarzer Schrift: die Verstorbenen. Von den sieben Gründungsmitgliedern ist nur noch der Bäda übrig, der sich nach und nach neue Brüder suchte. Von den nun 14 Mitgliedern kommen in der Regel etwa neun, heute sind es sieben.

Mitglied kann man nur nach Einladung werden und wenn man ein Jahr lang keinen Stammtisch verpasst hat. Die Aufnahme muss einstimmig erfolgen. Als mit Scotty aus Michigan der erste Nicht-Bayer aufgenommen wurde, gab es fast Tränen, so gerührt war der US-Boy. Heute ist er spät dran, hat aber eine Ausrede: Er musste noch eine Nockherberg-Tour führen. "Professional Guide & Diplom-Biersommelier" steht auf seiner Visitenkarte, und wenn er vom Stammtisch der Cedar Springs Brewery im heimischen Michigan schwärmt, weiß man genau, wer den Kollegen überm Teich diese Idee eingebimst hat.

Auch Stammtischbruder Herwig hat einen US-Bezug: Die Hälfte des Jahres lebt er mittlerweile in Florida - und muss auch dort nicht auf den geliebten Aventinus verzichten: "Gibt's in der Dose, sechs Dollar für 0,3 Liter." Logisch, dass er auch in Florida einen Stammtisch hat, er versucht aber schon, so wenig Aventinus-Treffen wie möglich in der alten Heimat zu verpassen: "Ich richte meinen Flugplan danach."

Kein Schnaps am Tisch - also ab zur Theke

Was bei aller Uniformität - jeder trägt ein weißes Trachtenhemd mit Aventinus-Buam-Aufschrift - auch auffällt: wie wenig die Männer der große Altersunterschied stört. Mehr als 40 Jahre liegen zum Beispiel zwischen dem Bäda und dem Alex, dem mit Mitte 20 Jüngsten am Tisch. Der wiederum ist mit einem Parallel-Stammtisch ein paar Meter weiter verbandelt: Dort hat Freundin Lara vor drei Jahren regelmäßige Treffen der "Landbier-Madln" ins Leben gerufen. Acht Mütter und Töchter, anderes Bier, andere Regeln, etwa die mit dem Straps am Bierglas: Erst wenn der abgenommen wird, darf nachgeschenkt werden. Bräse Bäda sagt: "Ach, der Hühnerhaufen!"

Eine Trinkregel gibt's auch am Aventinus-Tisch, verfügt vom Chef persönlich: kein Schnaps! Was wiederum zum Phänomen Kloschnaps führte: Einige Buam orderten nach dem Toilettenbesuch Schnaps an der Theke, sodass sich dort zuweilen die halbe Mannschaft trifft, sobald einer mal muss.

Eine Sache tut allen Beteiligten gut: Um halb elf ist im Bräuhaus Schankschluss. Was nicht heißt, dass alle brav ins Bett gehen. "Danach schmeckt eine Mass Dunkles im Hofbräuhaus wie Wasser", berichtet Herwig, der Mann aus Florida, der später noch S-Bahn fahren muss. "Einmal bin ich nach zehn Aventinus doch tatsächlich in der Bahn eingeschlafen - und von der Fahrkartenkontrolle geweckt worden. Aber ich hatte eine Fahrkarte, woher auch immer!" Jaja, er kann einem schon ganz schön die Schuhe ausziehen, der Aventinus. Peter Hermann sagt: "Drei Wochen brauchst schon zum Erholen." So lang macht er natürlich nicht Pause, schließlich ist im Weißen Bräuhaus jeden Sonntag Weißbier-Stammtisch...

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