Ausstellung in der Villa Stuck:Wenn Möbel zu Musikinstrumenten werden

Lesezeit: 3 min

Tisch-Trommel, Sessel-Gitarre, Leuchten-Violine: Mit ihren Installationen, Videos, Performances und Skulpturen bringt Nevin Aladağ die Räume der Villa Stuck zum Schwingen und Klingen.

Von Evelyn Vogel, München

Es ist aufgetischt. Inmitten des großen Speisesaals, auf den der "Wächter des Paradieses" vom Raucherzimmer her ein Auge hat, thronen die Objekte wie auf einer Festtafel. Es sind in Musikinstrumente verwandelte Möbel: Tisch-Trommel, Sessel-Gitarre, Leuchten-Violine und anderes. Skulpturen, die nicht nur angeschaut werden wollen, sondern bei Performances ihrer Aktivierung harren. In diesem "Music Room" wollen Röhren berührt, Saiten gestrichen und Felle geschlagen werden. Denn auch wenn es sich hier um eine Ausstellung handelt: Die Installationen, Videos, Performances und Skulpturen bilden ein künstlerisches Instrumentarium, mit dessen Hilfe die international renommierte Künstlerin Nevin Aladağ den Raum in der Villa Stuck in vielerlei Hinsicht erobert oder - wie Direktor Michael Buhrs im Vorwort des begleitenden Katalogs es formuliert - den Ort zum Schwingen bringt.

"Sound Of Spaces" heißt die Präsentation. Und diese Sounds sind ebenso vielschichtig wie die Räume vielzählig sind. Wie in einer riesigen Partitur durchzieht die Ausstellung das ganze Haus. Im teils sehr gedämpften Licht der historischen Räume und inmitten der wunderbaren Ausstattung wirken die Objekte beispielsweise im Musiksalon, als ob sie hierher gehören würden. Viele der Tische, Stühle, Sessel, Kommoden und Leuchten, die Aladağ mit Unterstützung professioneller Instrumentenbauer in Resonanzkörper verwandelt, sind für sich alltäglich, so dass sie im Ausstellungszusammenhang an Readymades erinnern. Manche sind schon aufgrund ihrer Ästhetik besonders. Ausgewählt wegen ihrer Form, ihrer Machart, ihrer Materialität könnten sie ebenso gut vom Sperrmüll stammen wie aus dem Antiquitätengeschäft. Meist findet die Künstlerin sie auf Flohmärkten.

Nevin Aladağ ist in Stuttgart aufgewachsen, hat in München studiert und lebt in Berlin. (Foto: Trevor Good)

Seit den Neunzigerjahren spürt Nevin Aladağ dieser Art von Klangerfahrung als Mittel der Bildenden Kunst nach. Die 1972 geborene Künstlerin hat bei Olaf Metzel an der Münchner Akademie Bildhauerei studiert und lebt in Berlin. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, war 2017 mit einem ihrer "Musikzimmer" Teilnehmerin der Documenta 14 und hat im gleichen Jahr mit der Performance "Raise The Roof" an der Venedig Biennale teilgenommen. Seit 2019 ist sie Professorin für interdisziplinäres künstlerisches Arbeiten an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Zu den bildhauerischen Werken der Ausstellung zählen die oft von arabischen Mustern und Ornamenten inspirierten grafischen Arbeiten. Wie unter einem Brennglas zoomt sie Strukturen heraus und setzt sie kleinteilig zusammen. So entstehen Paravents und Leuchten, Bildflächen und Tondi. Oder sie knüpft in Makramee-Technik Wandbehänge und Raumteiler, die solche Patterns wiederholen. Oder setzt aus unterschiedlichen Quellen Bildteppiche zusammen, in denen ästhetische, religiöse und politische Aussagen aufeinanderprallen.

Doch der Schwerpunkt von Aladağs Arbeit liegt auf den "Soundspaces". Sie funktioniert nicht nur einzelne Möbelstücke um. Sie baut mitunter auch instrumentale Gebilde in Raumecken ein und erobert so die Architektur. In anderen Klangskulpturen, auch "Resonatoren" genannt, vereint sie ganze Instrumenten- oder verschiedene Orchestergruppen. Etliche dieser mitunter riesigen Gebilde sind im großen Kuppelsaal von Stucks neuem Ateliers zu sehen und erinnern in ihrer bildhauerischen Anmutung entfernt an Oskar Schlemmers "Triadisches Ballett". Bei diversen Performances und Aktivierungen werden die Objekte der "Music Rooms" oder der "Resonatoren" von Musikerinnen und Musikern des Neuen Kollektivs München NKM zum Klingen gebracht.

Die klangliche Eroberung des Raumes geht bei Aladağ aber noch weiter. Im Erdgeschoß des Neuen Ateliers sind die monumentalen Drei-Kanal-Installationen "Session" und "Traces" zu sehen. Die eine entstand 2013 im Auftrag der Arabischen Emirate, mit der anderen setzte die in Stuttgart aufgewachsene Künstlerin der Stadt ihrer Kindheit 2015 ein Denkmal. Da rollen Trommeln und Tamburine über Wege und Sanddünen oder werden durchs Wasser gezogen. Eine Geige, die an einem Spielplatzkarussell befestigt ist, streicht sich mit jeder Drehung selbst an einem Bogen, der wie ein Betrachter am Rande fixiert ist. Ein Tamburin überträgt den Sound der Straße, durch das es gefahren wird, während Zimbeln über Kopfsteinpflaster schaben. Flöten und Hörner nähren ihren Klang aus der Luft eines Luftballons. Weitere Instrumente, unter anderem ein Akkordeon, werden von in Bewegung gesetzten Spielplatzgeräten zum Klingen gebracht. Es ist eine genau orchestrierte Kakophonie, in der die Stadt und die Natur die Orchestermusikerinnen sind.

Auch Hände und Füße werden als akustische Übertragungssensoren eingesetzt. Bei der Performance "Raise The Roof". So hören die Betrachter nur das Klackern der Stilettos der Tänzerinnen auf Kupferplatten, denn die Musik ist nur in den Kopfhörern der Tänzerinnen. Auf ihren T-Shirts sind Titel und Dauer des jeweiligen Musikstücks gedruckt. Aladağ hat die Aufforderung zum Tanz "Raise The Roof" erstmals 2007 in Berlin realisiert, indem sie die Tänzerinnen auf einem Dach direkt an der ehemaligen Grenze zwischen Ost- und Westteil der Stadt steppen ließ. Ein Ergebnis waren die von den Absätzen gedengelten Kupferplatten, die die Künstlerin in verschiedenen Installationen verwendete. In der Villa Stuck hängen sie als Bildobjekte an den Wänden, daneben ein Hammer, der in ein - was sonst? - Stiletto mündet.

Spätestens hier wird wohl jedem Betrachter klar, dass die Künstlerin bei aller Ernsthaftigkeit, mit der sie ihr Konzept verfolgt, das Thema auch mit ganz viel Humor auflädt. Darauf einen Tusch - den Nevin Aladağ in der Villa Stuck in Form zweier wandfüllender Notationen mit halben Kanonenkugeln auf Partiturlinien inszeniert. Ta-Ta-Ta-Taaaaaa!

Nevin Aladağ: "Sound of Spaces", Museum Villa Stuck, Prinzregentenstr. 60, bis 20. Feb. 2022, Infos zu den Aktivierungen und dem Begleitprogramm unter www.villastuck.de

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusLaila Nöth
:Allein auf der Bühne

Laila Nöth ist Sängerin und ganz anders als ihr verstorbener Vater, der berühmte Clubbetreiber Wolfgang Nöth. Nun kümmert sich die 27-Jährige um sein Erbe.

Von Philipp Crone

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: