Gefüchtete aus der Ukraine:Über die Kunst des Helfens

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Tilman Haerdle und Petra Lehmann vom Verein Heimatstern packen mit weiteren Helfern im Kreativquartier an der Dachauer Straße Spenden für eine Lieferung an die ukrainische Grenze. (Foto: Alessandra Schellnegger)

15 000 Geflüchtete aus der Ukraine sind in den vergangenen zehn Tagen in München angekommen. Viele wollen den Menschen helfen, doch anfangs war das gar nicht so einfach. Die Koordination hakte. Was sich verbessert hat - und was noch fehlt.

Von Bernd Kastner

Es ruckelt. Es scheppert. Und es sortiert sich. Dieser Dreischritt fasst zusammen, wie sich in den vergangenen zwei Wochen das Miteinander von Behörden, Hilfsorganisationen und Tausenden Freiwilligen entwickelt hat, die ein Ziel eint: Den Geflüchteten aus der Ukraine zu helfen. "Alles ist auf einem guten Weg", sagt Petra Mühling, die Vorsitzende des Vereins "Münchner Freiwillige", einem der wichtigsten Akteure. Die Aufgabe ist gewaltig. In den vergangenen zehn Tagen, davor wurde nicht gezählt, sind laut Stadt rund 15 000 Ukrainerinnen und Ukrainer in München angekommen, etwa die Hälfte ist vorerst hier untergebracht, in Not- oder Privatquartieren. Es gilt, sie mit dem Nötigsten zu versorgen. Zugleich müssen Tausende Ehrenamtliche koordiniert, informiert und sinnvoll eingesetzt werden.

"Am Anfang hat es ein bisschen geruckelt", sagt Petra Mühling. Es waren die ersten zwei Wochen nach Kriegsbeginn. Ehrenamtliche vermissten klare Ansagen von den Ämtern, wo welche Hilfe benötigt werde. Die Behörden, insbesondere die Regierung von Oberbayern und die Stadt München, waren selbst noch am Schwimmen. In einer Nacht mussten Menschen im Hauptbahnhof auf dem Boden schlafen. Ehrenamtliche standen vor verschlossenen Türen einer Turnhalle, mitunter fehlte es an Grundlegendem wie Hygieneartikeln.

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Vergangenes Wochenende entlud sich der Frust, nachzulesen ist es in einem Tweet des Vereins Heimatstern, der vor allem Hilfsgüter organisiert. Petra Lehmann stellte nach einer Nacht in einer Notunterkunft einige kritische Fragen: "Welche Planungen wurden für das Kommen der Menschen getroffen? Welche Stelle koordiniert? Warum gibt (es) keine Babynahrung? Keine Windeln? Keine Kissen?" Heimatstern habe spontan ausgeholfen, indem Ehrenamtliche aus einem bereits für die Fahrt gen Osten gepackten Transporter Material ausluden und es in einer Notunterkunft verteilten.

Nun arbeiten Akteure zusammen, die miteinander vertraut sind

Es scheint ein reinigendes Gewitter gewesen zu sein. Petra Lehmann und ihr Mitaktivist Tilman Haerdle waren schon am Montag wieder gut zu sprechen auf die Stadtverwaltung. Man habe sich zusammengesetzt, ausgesprochen und die Zukunft geplant, erzählen sie. Ein paar Tage später ist Lehmann bester Dinge, auch das nachzulesen auf Twitter und am Telefon zu hören: "Es hat sich sehr, sehr viel getan." Sie habe den Eindruck, dass sich alle in den Behörden große Mühe geben bei Koordination, Kommunikation, Vermittlung, jetzt fühlten sich die Ehrenamtlichen "gehört und gesehen".

Die Zuständigkeit für die Notquartiere in Turn- und Messehallen ist von der Feuerwehr aufs Sozialreferat übergegangen, das wiederum private Betreiber mit dem Betrieb beauftragt hat. Nun arbeiten Akteure zusammen, die miteinander vertraut sind. Inzwischen sitzt jemand von den Münchner Freiwilligen im operativen Stab des Sozialreferats, dort, wo die Hilfe konkret gemanagt wird. Hauptamtliche Strukturen sind so wichtig, weil sich daran Ehrenamtliche orientieren und Lücken gezielt schließen können.

Beim Verein Heimatstern laufen die Vorbereitungen für eine Hilfslieferung an die ukrainische Grenze. Ein Bus geht zum Ort Truskawez. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Petra Mühling von den Münchner Freiwilligen skizziert den inzwischen etablierten Ablauf beispielhaft: Beim Verein geht die Info ein, dass in einer bestimmten Turnhalle übermorgen zwischen 15 und 18 Uhr zehn Ehrenamtliche benötigt werden, um für die Geflüchteten da zu sein, und zudem zehn Dolmetscherinnen. Der Verein habe in seiner Datenbank inzwischen die Namen von 12 000 potentiellen Helferinnen und Helfern. Diese informiere man über den Bedarf, via Newsletter, Facebook oder Instagram, und bitte darum, sich in eine Liste einzutragen. Meist habe man binnen weniger Stunden eine Helferschicht gefüllt, sagt Mühling. Der Verein hat Routine in dieser Vermittlung. Seit der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 tut er dies, auch während der Pandemie, als es galt, beispielsweise kranke Personen zu unterstützen.

Im Elisenhof finden Geflüchtete und Anbieter von Unterkünften zusammen

Aktiv sind die Münchner Freiwilligen auch beim Vermitteln von privaten Quartieren an Geflüchtete. Zunächst nutzten die Vermittlungsteams Räume von Radio Gong in Bogenhausen, inzwischen sitzen sie direkt am Hauptbahnhof im Elisenhof. Dort bringen sie Geflüchtete und Anbieter zusammen. Ohne die Tausenden Privatunterkünfte, von der Couch bis zur kompletten Wohnung, wäre das Hilfesystem in den ersten Wochen, als es an großen Notquartieren wie Messe und Turnhallen mangelte, vermutlich kollabiert.

Vieles also ist besser geworden, aber Luft nach oben ist weiterhin. Daran erinnert Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Er sieht nach wie vor die Behörden, also Staats- und Bezirksregierung sowie die Stadt in der Pflicht, schneller und verständlicher zu informieren. Nach welchem System werden Geflüchtete in andere Städte oder Kreise weitergeschickt? Dies müsse zwischen den Behörden geklärt und dann den Ehrenamtlichen so erklärt werden, dass die es wiederum den Geflüchteten verständlich machen könnten. Überhaupt sieht Dünnwald die Informationspolitik als zentral für das ganze Hilfsmanagement an. Die ersten Wochen sei es für Freiwillige schwer gewesen, an verlässliche Infos zu kommen. Seit ein paar Tagen gibt es im Sozialreferat eine spezielle Ansprechperson für sie, das findet Dünnwald sehr positiv.

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Was noch fehle, sagt Dünnwald, sei eine zentrale Internetseite, auf der alle Basis-Informationen gebündelt und verständlich erklärt würden, wo zudem zu den wichtigsten Stellen und Organisationen verlinkt werde. Die städtische Seite muenchen.de/ukraine könnte so ein Portal sein, noch wirkt sie eher improvisiert. Sie werde laufend aktualisiert, heißt es aus dem Rathaus.

Ist geplant, regelmäßig Updates an Medien und Interessierte zu verschicken, ähnlich wie zur Corona-Lage? Man müsse "zunächst abwarten, bis sich Strukturen, Verfahren und Datenlage soweit konsolidiert haben, dass man abschätzen kann, was sinnvoll und möglich ist". Eine weitere wichtige Seite ist die der Caritas: willkommen-in-muenchen.de. Sie will das zentrale Portal für ehrenamtlich Engagierte sein. Dünnwald ist noch nicht begeistert vom Inhalt, es gebe noch einige Lücken. Bei der Caritas versichert man, die Seite kontinuierlich auszubauen, auch an einem umfangreichen FAQ mit grundlegenden Fragen und Antworten arbeite man.

Derzeit könne man die Geflüchteten nur im Warten begleiten

Wie nötig Basisinfos sind, damit zumindest Ehrenamtliche als Multiplikatoren durchblicken, betont Andrea Betz vom Vorstand der Diakonie. Es beginne bei der Anmeldung: Wo überall müssen sich die Angekommenen registrieren? Welches Amt ist wofür zuständig? Viele Ankommenden hätten keinen Mailaccount für die von der Bezirksregierung gewünschte Online-Meldung - was tun? Und dann die ganz große Frage: Wie geht es weiter nach den ersten Tagen im Gästezimmer oder auf dem Feldbett? Natürlich, sagt Betz, das wollen die Ukrainerinnen und Ukrainer wissen, aber die Antwort der Helfenden laute: Wir wissen es nicht. Auszuhalten, dass man noch keine Antworten geben könne, sei schwierig für die Engagierten. Derzeit könne man die Geflüchteten nur im Warten begleiten.

Blick ins Lager vom Verein Heimatstern: Alles Mögliche wird gebraucht: von Tierfutter und Schuhen bis zu Isomatten, Klopapier und Zahnpasta. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Immerhin, inzwischen gibt es im Rathaus eine Taskforce, die versucht, auf die Schnelle dauerhafte Unterkünfte aufzutreiben; Bürgermeisterin Verena Dietl leitet sie. Am Donnerstag hat Dietl bei den Aktiven von Heimatstern vorbeigeschaut, als die gerade zwei Transporter für die Fahrt an die polnisch-ukrainische Grenze mit allerlei Material vollpacken. Dass jemand aus der Stadtspitze sich interessiert und zuhört, ist ein enormer Motivationsschub, man hört es Petra Lehmann am Telefon an. Klar, es könne nicht alles perfekt laufen, sagt sie über das Miteinander, und es klingt wie Lob und Mahnung: "Es darf ruckeln, aber man darf das Ruckeln nicht ignorieren."

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