Theater:Weiter mit Vollgas

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Vier Tage, vier Premieren: In München zünden die Theater immer noch ein Feuerwerk an neuen Produktionen. Ein spannendes Projekt ist eine "Trap-Oper" am Volkstheater.

Von Yvonne Poppek

Die Trap-Oper "cloud*s*cape" im Volkstheater vereint das gleichnamige Stück mit einem Konzert der Rapperin Antifuchs. (Foto: Gabriela Neeb)

Erschöpfung gibt es nicht. Ebenso wenig wie irgendeine Art von Premierenmüdigkeit oder Zaghaftigkeit. Zumindest nicht an den großen - und auch den kleinen - Bühnen in München. Was so lange in einen Dornröschenschlaf gezwungen wurde, will immer noch raus. Und so kann jeder, der mag und die 2-G-Regeln erfüllt, von Donnerstag bis Sonntag in den großen Theatern der Stadt in eine Premiere gehen: zuerst in "Agnes Bernauer" am Cuvilliéstheater, am Freitag in "cloud*s*cape" am Volkstheater, am nächsten Abend wird "Die Unerhörten" erstmals im Marstall gezeigt, zum Abschluss gibt es "Jeeps" in den Kammerspielen. Die Theater fackeln also weiterhin ein Feuerwerk ab, funkeln bunt in dem vielen Schwarz drumherum.

Die vermutlich ungewöhnlichste Form dieses Funkelns wird am Volkstheater zu sehen sein, das zwar derzeit mit einem Wasserschaden zu kämpfen hat, diese Premiere aber auf der Bühne 2 angesetzt hatte, die davon nicht betroffen ist. "cloud*s*cape" macht schon allein durch seine Genrebezeichnung auf sich aufmerksam - "Trap-Oper" - also Hip-Hop mit Theater. Erfunden haben dies Tobias Frühauf und Philipp Wolpert, ausprobiert haben sie es mit ihrer Produktion "Ubu" in Heilbronn, Stuttgart und Dortmund. Nun hat dieses Format erstmals Premiere an einem großen Haus. Es ist schön, dass das Volkstheater sich an dieses Projekt gewagt hat, das schon im Vorhinein eine unkonventionelle Frische ausstrahlt. Als fünfte Premiere am neuen Spielort zeigt es, dass es auch jetzt nicht auf Theaterkassenschlager setzt, sondern die Tür aufsperrt für Ungewohntes, das insbesondere auch junges Publikum anspricht. Das war mit dem Highschool-Musical "Gymnasium" so, jetzt kommt die Trap-Oper.

Das Erfinder-Duo Frühauf und Wolpert ist jung und gehört keinesfalls zum Theaterestablishment. Frühauf, 27, gebürtig im Main-Spessart-Kreis, und Wolpert, 24, aus Ludwigsburg stammend, haben für ihre Theaterarbeiten das "Theaterlabel Tacheles und Tarantismus" gegründet, eine klassische Bühnenausbildung haben beide nicht absolviert. Frühauf schreibt die Texte für die gemeinsamen Projekte, Wolpert führt Regie. "Die Grenzen sind aber fließend", betonen beide bei einem Gespräch im Volkstheater während einer Probenpause. "Wir begreifen uns als Motoren, die sich gegenseitig antreiben", sagt Frühauf. Das funktioniere sehr gut, da sie sich künstlerisch einig seien und sich zudem auch schon lange kennen und vertrauen. Die beiden sind Cousins. Volkstheater-Dramaturg Bastian Boß sei auf sie aufmerksam geworden, sagen sie, so kam der Kontakt nach München zustande.

Philipp Wolpert (li.) und Tobias Frühauf haben sich die Trap-Oper ausgedacht. (Foto: Fabian Fox)

Warum nun aber Trap für die Theaterbühne, dieses Subgenre des Hip-Hop? Trap polarisiere sehr stark, sagt Wolpert. Die einen sehen Trap als Spiegel der Gesellschaft, als Neo-Dada. Die anderen verwerfen es als konsumorientierten Mainstream mit viel Bling-Bling. Der Musikstil, einst entstanden in den US-Südstaaten, sei sehr beliebt bei jungen Menschen. "Trap-Musik ist vielleicht die Oper des 21. Jahrhunderts", sagt Frühauf. Bei ihrer Bühnenform "Trap-Oper" verschränken sie nun Theater und Konzert. Bei "Ubu" hätten die Leute getanzt, erzählen sie. Ob das jetzt auch mit der festen Bestuhlung auf der kleinen Bühne im Volkstheater bei "cloud*s*cape" funktioniert, ist natürlich nicht absehbar.

Für das Konzert haben Frühauf und Wolpert die Berliner Deutschrapperin Antifuchs gewonnen. Antifuchs, geboren 1989 in Kasachstan, aufgewachsen in Flensburg, hat als Markenzeichen eine schwarze Fuchsmaske, die sie bei ihren Auftritten trägt, wenn sie mit rauer Stimme ihre naturgemäß keinesfalls harmlosen Texte vorträgt. Ihnen sei es wichtig gewesen, eine Rapperin an der Produktion zu beteiligen, sagt Wolpert. Sie hätten verschiedene Gespräche geführt, Antifuchs habe sie mit ihrer Energie und Offenheit überzeugt. "Es hat geflowt im kreativen Prozess", sagt Wolpert.

Antifuchs entwickelt ihre Texte während der Proben

Dieser kreative Prozess muss, wenn man Wolpert und Frühauf reden hört, generell von einer großen Offenheit und musikalischem Denken geprägt worden sein. Fünf Schauspieler stehen bei "cloud*s*cape" auf der Bühne. Drei stammen aus dem Volkstheater-Ensemble (Alexandros Koutsoulis, Jonathan Müller und Liv Stapelfeldt), dazu kommen Andreas Posthoff und Thea Rasche, mit denen das Text-Regie-Duo schon wiederholt zusammengearbeitet hat. Michael Wist hatte für das Stück zu Probenbeginn Beats geliefert, dann wurde gemeinsam überlegt, an welchen Stellen die Tracks von Antifuchs passen würden. Die Rapperin war ebenfalls bei den Proben dabei, entwickelte im Verlauf ihre Texte und Musik. Eine Rolle übernimmt sie in dem Stück indes nicht. "Wir inszenieren sie nicht", sagt Wolpert.

In "cloud*s*cape" geht es nun dezidiert um ein gesellschaftspolitisches Thema: das Klima. Frühauf hat die Handlung etwas in die Zukunft versetzt, Wasser ist bereits ein knappes Gut. Die Realität wird teils ersetzt durch ein Leben in der virtuellen Welt, den Begegnungen in der Cloud. Auf der einen Seite steht eine Gruppe von Aktivisten, die allerdings je ihre eigene Agenda verfolgen. Ihr gemeinsamer Kontrahent ist der Zukunftsminister Dr. Kassler, der wohl für viel stehen kann, nur nicht für eine lebenswerte Zukunft. Kunst, sagt Frühauf, könne eine Ventil sein, man könne Dingen eine Stimme geben. Gerade beim Thema Umwelt beschleiche die Jüngeren oft eine Art Ohnmachtsgefühl. In der Kunst ließe sich das kanalisieren. Und Kunst könne auch politisch wirken, wie "ein Stein, den man ins Wasser wirft", sind die Beiden überzeugt.

Wie weit sich die Kreise der Trap-Oper ziehen, wird sich von Freitag an weisen. Es wird spannend sein zu beobachten, wie diese Mischung aus Hip-Hop-Konzert und Politstück funktioniert. Als Kontrast gibt es ja dann noch am Residenztheater am Vortag das Kroetz-Stück "Agnes Bernauer", danach einen Sappho-Abend und zuletzt eine Komödie über die soziale Ungleichheit in den Kammerspielen. Ein wahrlich erschöpfendes Angebot.

Agnes Bernauer , Premiere: Do., 18. November, 19.30 Uhr, Cuvilliéstheater; cloud*scape* , Premiere: Fr., 19. November, 20 Uhr, Volkstheater; Die Unerhörten , Premiere: Sa., 20. November, 20 Uhr, Marstall; Jeeps , Premiere: So., 21. November, 19 Uhr, Kammerspiele

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