Tanz:Verwirrende Gleichzeitigkeit

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Glänzender Beginn: Caroline Eckly eröffnete mit ihrer Performance "and yes, I said yes, I will yes" das Tanzfestival "Departures" in München. (Foto: Tale Hendnes)

Die Gastspielreihe "Departures" zeigt Tanz und Performances aus Norwegen und eröffnet mit einer kraftvollen Arbeit zur weiblichen Sexualität.

Von Sabine Leucht, München

"Sköne Oke, sköne Oke", ruft Nathanael in E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann", bevor er sich in den Tod stürzt. Die "schönen Augen", die so menschlich zu glänzen scheinen, gehören der Automatenfrau Olimpia, deren willenlose Reize ihn nicht mehr loslassen. Die Erinnerung an diese Figur drängt flugs mit in den Raum, wenn Caroline Eckly die Veranstaltungsreihe Departures eröffnet. "Unique Performance and Dance from Norway" steht auf dem Programm: schmale fünf Arbeiten, die binnen zwei Wochen im Schwere Reiter, in der Muffathalle und im Stadtraum zu sehen sein werden, wo die Osloer Künstlerin Ingri Fiksdal zum Abschluss ein dreidimensionales Landschaftsgemälde in Klang und Bewegung versetzt ("Diorama", 16./17.10., 15 Uhr, Wittelsbacherplatz). Grundidee der Departures, mit denen Walter Heuns Joint Adventures Jahr für Jahr das Spektrum einer nationalen Tanzszene ausloten: den Begriff des Choreografischen ausweiten und dort hinschauen, wo Tanz sich mit Nachbardisziplinen und nicht-künstlerischen Fragestellungen trifft.

Los ging es im Carl-Orff-Saal mit Caroline Ecklys Solo "and yes, I said yes, I will yes". Und da steht sie also! Der bemalte Körper schimmert so golden wie die Folie, die sich um ihre Mitte bauscht. Und dann diese Augen: riesengroße Kunstprodukte aus ausgeklügelter Schminktechnik und glitzerndem Glas, die an Olimpia denken lassen und an manch grausige Puppenschönheit. Auch Ecklys erste Bewegungen wirken mechanisch, wie eben erst der statuesken Erstarrung abgerungen, in die die herrschenden Sitten das Bild der Frau gegossen haben. Ganz gleich wie sie heißt. Ecklys gemeinsam mit dem Choreografen Marcelo Evelin entwickelte Arbeit geht von der Figur der Medusa aus, die zur Strafe dafür, dass der Olympier Poseidon seinem Begehren keinen Zwang antat, in ein Monster verwandelt wurde, dessen Blick tötet. Immer dasselbe! Bis hin zum neuen Abtreibungsunrecht in Texas: Die Frau trägt die Folgen, wenn der Kerl mit dem Penis denkt.

Vielleicht ist es ein Versuch, den eigenen Körper zurückzuerlangen

Auf das alles kommt man allerdings nicht automatisch, wenn man Eckly tanzen sieht. Eher drängt sich der Gedanke auf, wie viele Bewegungssprachen hier zusammenkommen. Die 1977 in Paris Geborene kommt vom Ballett, tanzte Anfang der Zehnerjahre am Staatstheater Nürnberg unter anderem für Rui Horta und Tero Saarinen und war neben ihrem Engagement bei der norwegischen Company Carte Blanche immer auch in eigener Sache aktiv. Ihr Solo zitiert zu Beginn eine Vielzahl ritualisierter Tänze asiatischer Provenienz, sammelt Arm- und Handbewegungen aus dem Alltag, der höfischen Etikette und dem mechanischen Theater auf. Verwirrende Gleichzeitigkeit herrscht da bisweilen in ihrem Körper. Da macht der linke Arm dies und das rechte Bein das. Ein Schulterblatt bohrt sich durch die Haut wie eine im Inneren gezückte Waffe. Und immer wieder spitzt die Zunge hervor, keck und/oder dämonisch und an der Spitze verführerisch züngelnd. Wenn sich die fast unmenschliche Spannung schließlich löst und sich die Performerin schrei-lachend nach Derwisch-Art dreht, kann man nicht sagen, ob es eine Befreiung ist, aber jedenfalls eine Art Tanz, der mehr für das eigene Erleben tut als für die Form. Ein Versuch vielleicht, den eigenen Körper zurückzuerlangen? Die eigene (weibliche) Sexualität? Jedenfalls ein vielversprechender Beginn der norwegischen Gastspielreihe!

Dass die so handverlesen klein ist, liegt laut Walter Heun übrigens nicht an ihrer Güte: "Die norwegische ist eine der experimentellsten Tanzszenen Europas. Wir hätten gut fünfzehn Produktionen einladen können." Das Problem? Manch in Coronazeiten schwieriges Format - und natürlich das Geld. Weiter geht es schon am Freitag mit Nicola Gunns "Working With Children" - einem Abend mit Kindern, aber ausschließlich für erwachsene Zuschauer, der auch ethische Fragen stellt. Es folgen Ingrid Berger Myhres und Lasse Passages "Panflutes and Paperwork" und Daniel Mariblancas Transgender-Performance "71 Bodies 1 Dance".

Info und Tickets: www.jointadventures.net

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