Synagoge am Jakobsplatz:Als das jüdische Leben vom Hinterhof ins Zentrum rückte

Lesezeit: 4 min

Zur Eröffnung am 9. November 2006 wurden die Thorarollen in die neue Synagoge am Jakobsplatz gebracht. (Foto: Regina Schmeken)

Mit der Einweihung der Synagoge am Jakobsplatz erhielt die Israelitische Kultusgemeinde am 9. November 2006 eine sichtbare Heimat mitten in der Stadt. Wie das ihr Lebensgefühl verändert hat, erzählt die Künstlerin Ilana Lewitan - aber auch, wie sie mit Antisemitismus umgeht.

Von Bernd Kastner

Es war, sagt sie, wie mit der Kälte. Die fällt einem auch oft erst dann auf, wenn man reinkommt, ins Warme. So war es auch mit diesem bedrückenden, beklemmenden Gefühl, in München, früher, sie kannte es nicht anders. Wie eng es war, bemerkte Ilana Lewitan erst, als sie rauskam, in die Weite. Das erste Mal geschah das 1988, da ging sie in die USA. Das zweite Mal war 2006, am 9. November. Da wurde München warm und weit, da wurde die neue Synagoge eröffnet. 15 Jahre liegt das nun zurück. Die Architektur am Jakobsplatz funkelt wie am ersten Tag, aber es ist seither wieder kälter geworden.

Ilana Lewitan hält sich gerade in Berlin auf, dort zeigt sie noch bis zum 14. November ihre Kunstinstallation "Adam, wo bist du?" Sie stellt dem Publikum Fragen, zum Beispiel: "Wo gehörst du hin?" Es geht um Identität und den Platz in der Gesellschaft, das ist auch eine ihrer eigenen Lebensfragen. Sie ist die Tochter von Eltern, die die Shoa überlebten und als Flüchtlinge aus Polen in Deutschland hängen blieben. Lewitan, geboren 1961 in München, ist gelernte Architektin, seit vielen Jahren arbeitet sie als Künstlerin, und sie ist Jüdin. Jetzt sitzt sie in einem Café in Berlin, durchs Telefon kommen Geräusche vom Tresen, wie aus dem Nichts fährt ein Scheppern in Lewitans Sätze, als sie erzählt, wie es ist, als Jüdin in München zu leben, früher und heute.

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Sie erinnert sich, wie sie als Kind in die Synagoge ging, in der Reichenbachstraße, verborgen hinter der schlichten Fassade eines gewöhnlichen Hauses. Wie in einer Unterführung habe man das Vorderhaus durchquert, dunkel habe sie das Ambiente in Erinnerung. "Das war dieses Hinterhofgefühl", sagt Ilana Lewitan und wechselt ins Präsens: "Man ist unsichtbar." Die Frage des Sichtbarseins zieht sich durchs Gespräch, ja, durch ihr ganzes Leben. Man kannte sich in der Israelitischen Kultusgemeinde, sagt sie, alles war vertraut, die Menschen, die Gebäude, der Hof. Aber eben auch versteckt.

Die Architektin Ilana Lewitan arbeitet seit vielen Jahren als Künstlerin. (Foto: Anja Lehmann)

Mit 27 ist Ilana Lewitan rausgetreten aus diesem Hinterhof, in New York arbeitete sie bei einem renommierten Architekten. Dort, sagt sie, habe sie ein "Judentum ohne Angst" erlebt, ohne einengende Sicherheitsmaßnahmen. Dort habe sie erlebt, dass es "völlig selbstverständlich" sein kann, jüdisch zu sein. Plötzlich dieses Gefühl von Freiheit. In New York lernte sie ihren Mann kennen, auch er Münchner, Jude und Kind von Überlebenden, welch Zufall. Was tun? In den USA bleiben? Sie entschieden sich 1992 fürs Zurück, wegen ihrer in Deutschland lebenden Eltern, der weiteren Familie, der Kontakte aus dem Studium. Kaum waren sie da, brannten in Rostock die Häuser von Menschen, die abgelehnt wurden. "Da war dann wieder dieses alte Gefühl." Die Enge.

"Man sieht uns nicht wirklich."

Ein paar Jahre später, die erste Tochter war geboren, erlebte Ilana Lewitan das Gemeindehaus der Israelitische Kultusgemeinde in der Reichenbachstraße aus der Perspektive einer jungen Mutter. Sie erinnert sich an einen kleinen, dunklen Raum, den es für die Spielgruppe mit den Kindern gab. Alles war vertraut, aber: "Man sieht uns nicht wirklich."

Dann 2006. "Das war ein Erlebnis", sagt Ilana Lewitan. Am 9. November, 68 Jahre nach der Reichspogromnacht, wurde die Synagoge am Jakobsplatz eingeweiht. Die Kultusgemeinde zog um, an einen Ort, der sich von einer Brachfläche in einen einzigartigen Platz verwandelte. Er wurde zur symbolischen Heimat der Münchner Jüdinnen und Juden. "Ich habe meine Koffer nun ausgepackt", sagte Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Gemeinde. Jene Koffer, die all die Jahre seit dem Holocaust gepackt dastanden.

Zum jüdischen Zentrum gehören neben Synagoge und Gemeindehaus auch das Jüdische Museum. Es wird von der Stadt betrieben, seit der Eröffnung Anfang 2007 leitet es Bernhard Purin. Der gebürtige Österreicher ist selbst nicht Jude, aber er beschäftigt sich täglich mit dem Judentum. Er sitzt in der Cafeteria seines Museums und erzählt, dass viele Menschen aus der jüdischen Community hierher kämen. Mal für eine Art Stammtisch, mal um in der Literaturhandlung von Rachel Salamander zu stöbern oder sich mit jüdischen Postkarten zu versorgen. Immer wieder, sagt Purin, brächten Menschen Erinnerungsstücke vorbei, die sie im Nachlass von Angehörigen gefunden hätten. Fotografien, Bücher mit Besitzeintrag, oder einfach Werbegeschenke früherer jüdischer Firmen. Sie nehmen alles an und archivieren es, sagt Purin.

(Foto: Daniel Schvarcz)

Wenn nicht Corona die Grenzen verschließt, dann kommen viele Besucher von weit her. Da seien Israeli, die man oft an den Tüten mit dem Logo das FC Bayern erkenne. Es gebe viele Bayern-Fans in Israel, und für einige gehöre der Fanshop zum München-Programm. Es kämen auch immer wieder US-Touristen, die auf Tour durch Europa seien, auf den Spuren ihrer jüdischen Vorfahren. Auch Ilana Lewitan erzählt, dass Freunde aus dem Ausland oft die Synagoge sehen wollten, und dass sie dann mit Stolz den Jakobsplatz zeige. "Das freut mich", sagt Lewitan. "Weil wir präsent sind als Teil Münchens." Es sei ein bisschen von dem gutgemacht, was im Nationalsozialismus zerstört wurde, von Münchnern.

Vom Museums-Foyer aus hat man die Synagogentür im Blick. Immer wieder, sagt Purin, beobachte er Touristen, wie sie versuchen, die Tür zu öffnen, um das jüdische Gotteshaus auch innen zu bestaunen, wie es bei Kirchen üblich ist. Aber die Tür ist verschlossen. Auch das ist Realität, Jüdinnen und Juden müssen sich in Acht nehmen. Ilana Lewitan erzählt, dass sie beim letzten Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Fest, nicht durch die große Pforte in die Synagoge gingen, sondern den Umweg über die Sicherheitsschleusen nehmen mussten. Nicht wegen Corona, sondern wegen Halle, wo 2019 ein Rechtsextremist die Synagoge angegriffen hatte.

Offen geäußerter Antisemitismus nimmt zu

Ilana Lewitan kann viele Geschichten erzählen von Antisemitismus, welche Bemerkungen es sind, die sie treffen wie Pfeile, Bemerkungen von sogenannten Bildungsbürgern. Sie erzählt von Komplimenten, die schon mal so endeten: Toll, deine Ausstellung. Du hast es halt gut mit deinen jüdischen Connections. Sie habe sich angewöhnt, mit einer Frage zu antworten: "Hast du dir mal überlegt, dass ich einfach eine gute Künstlerin bin?" Es habe sich nicht viel gebessert in letzter Zeit, im Gegenteil, die Leute trauten sich mehr, ihren Hass auszusprechen. "Es wird eher noch schlechter, es fühlt sich so aussichtslos an."

Dass der Antisemitismus mit der neuen Präsenz des Judentums in München zusammenhänge, glaube sie nicht, im Gegenteil. Aus Berlin höre sie noch viel schlimmere Geschichten. Also alles aussichtslos? Ilana Lewitan erschrickt ein bisschen, weil sie sich gerade eben so pessimistisch geäußert hat. Nein, ohne Hoffnung sei sie nicht. Politik und Gesellschaft dürften sich aber nicht allein um die toten Jüdinnen und Juden kümmern, so wichtig das auch sei, sondern auch um jene, "die jetzt leben". Und dafür, sagt Lewitan, bedürfe es "Bildung, Bildung, Bildung". Und mehr Begegnung. Sich begegnen heißt, sich sehen. Sichtbar sein.

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