"Sugar Mountain" in Obersendling:Ein Betonwerk verwandelt sich in ein Kulturprojekt

Lesezeit: 3 min

Auf dem Gelände des Betonwerks Katzenberger und auf ehemaligen Siemens-Flächen sollen in Obersendling Büros und Wohnungen gebaut werden. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Eine raue Fabrik-Brache in Obersendling wird zum Freizeit- und Kunstareal. Mitten in der Pandemie brauchen die Betreiber viel Mut - und frische Luft.

Von Susanne Hermanski

Mitten im Lockdown, der die Kultur seit 125 Tagen in Schockstarre hält und Veranstaltungen unmöglich macht, verkünden drei Münchner Größen der Kultur- und Event-Szene ein gewaltiges Unterfangen: Sie verwandeln das ehemalige Katzenberger-Betonwerk in Obersendling in ein Kunst- und Kulturprojekt auf Zeit. In diesem Frühling noch soll es losgehen. Getauft haben sie es "Sugar Mountain". Das Areal erstreckt sich über 7500 Quadratmeter Außenfläche und 2000 Quadratmeter überbauten Flächen der Fabrik.

Das Trio, bestehend aus Michi Kern, Lissie Kieser und Gregor Wöltje, ist bekannt für spektakuläre Zwischennutzungen von Gewerbeflächen. Die Drei haben gemeinsam schon "The Lovelace" betrieben - ein Pop-up-Hotel mit nur 30 Zimmern und jeder Menge öffentlicher Räume für Kunst, Kultur und allerlei Umtriebe, das sie 16 Monate lang in den ehemaligen Räumen der Hypo-Vereinsbank-Zentrale in der Kardinal-Faulhaber-Straße etabliert hatten. Außerdem führen sie gemeinsam das "Freiheiz", eine Event-, Party- und Konzert-Location auf der Schwanthalerhöhe sowie das "Utopia" in der ehemaligen Reithalle.

Doch ihr Projekt "Sugar Mountain" übertrifft deren Dimensionen deutlich. In Obersendling wird es eine Infrastruktur für Veranstaltungen für bis zu 5000 Personen geben. Der geplante Start ist im Mai. Für mindestens zwei Jahre ist das Projekt geplant, vielleicht auch länger. Kunst und Sport, Kulturerleben und Verweilen sollen dort möglich sein. Ein Begegnungsort "für heterogene Bevölkerungsgruppen" solle darin erwachsen, so die Betreiber. "Es wird die Nachbarschaft eng eingebunden werden, aber Sugar Mountain soll auch überregionale Strahlkraft besitzen", sagt Lissie Kieser. Das Projekt ist ehrgeizig. Es ist als Antwort auf den jahrelangen Leerstand der Fläche gedacht, als "positiver Beitrag zur Stadtentwicklung".

Die Voraussetzungen für das ehrgeizige Unterfangen stimmen: Allein das Tor der großen Halle der Betonfabrik misst 15 Meter Höhe. In die Halle sollen Bühnen und Bars einziehen. Drum herum sind Skater-Bahnen, ein Ping-Pong-Park, Street-Ball-Felder und Flächen für Graffiti- und weitere Künstler vorgesehen. Kern, Kieser und Wöltje verstehen das Ganze als "Happening Place", als Experimentierfeld oder auch "wie eine moderne Kunst-Factory".

Die Fabrik-Brache gilt bei vielen Anwohnern im Münchner Südwesten als Schandfleck. Städtebaulich ist sie in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Sie grenzt an ein ehemaliges Siemens-Gelände mit vielen Bürogebäuden an, das in rund zwei Jahren gemeinsam mit der Fabrikfläche in ein neues, modernes Stadtquartier weiterentwickelt werden soll. In dem Geviert Boschetsrieder, Machtlfinger, Geisenhausener und Helfenrieder Straße sollen dann auf fünf Hektar 200 Mietwohnungen, neue Büros, Hotels, eine Markthalle sowie Platz für Kultur, Freizeit und Grünflächen entstehen. Der U-Bahnhof Aidenbachstraße liegt unweit entfernt.

Erste Reaktionen auf die Quartier-Planungen waren trotz der Aussicht auf das Ende der ungeliebten Brache skeptisch ausgefallen: Anwohner kritisierten manches Detail der damaligen Planung. Etwa, dass drei Hochhäuser an der Boschetsrieder Straße "profilüberragende" 99 Meter erreichen sollten. Mittlerweile sind diese in der Planung bis zu 20 Meter niedriger angesetzt. Im Mai vergangenen Jahres gab die Stadt das städtebauliche und landschaftsplanerische Gesamtkonzept für die Neustrukturierung bekannt. Die Horus Sentilo, Eigentümerin der meisten Grundstücke in diesem Areal, hatte dafür im Juli 2019 einen Workshop ausgerufen. Das Rennen machten die Entwürfe von zwei international arbeitenden Architekturbüros, KCAP und Cobe Architects.

Doch bevor die Konzepte - die freilich noch aus den Zeiten vor der Pandemie stammen - von 2023 an umgesetzt werden sollen, gehört ein Teil dieses weiten Felds jetzt erst einmal dem "Sugar Mountain" - und damit der Kultur. Die Projektentwickler waren selbst an das Trio Kern, Kieser und Wöltje herangetreten, um dessen Expertise in Sachen Zwischennutzung einzuholen. Gesprochen hatten sie zuvor auch mit anderen Akteuren der Szene.

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"An uns werden im Moment viele Immobilien herangetragen", erzählt Gregor Wöltje. "Aber uns geht es wie den kleinen grünen Pflanzen, die jetzt dort in der Halle wachsen, wir streben nach Nachhaltigkeit", sagt er. Das Projekt erfülle die Anforderung, sein Potenzial länger wirken zu lassen als "viele andere Lückenfüller-Künstelei". Schließlich soll es nach "Sugar-Mountain"-Zeiten weiterhin Kultur geben in dem entstehenden Quartier. Das Fabrikgelände wird dem Trio für die Dauer von "Sugar Mountain" kostenlos überlassen. Zudem unterstützen die Immobilen-Entwickler das Projekt mit einem sechsstelligen Betrag. Die Anfangsinvestition beträgt laut des Betreiber-Trios insgesamt rund eine halbe Million Euro. Dafür haben sie weitere Geldgeber gewonnen.

Etwa 50 Prozent der nötigen Umbauten auf dem Fabrikareal sind bereits fertiggestellt. Die andere Hälfte soll bis Anfang Mai abgeschlossen sein. Pandemiebedingt dürfte das Außengelände in der Anfangsphase besonders beliebt sein. Dort werden allerlei Aktivitäten auf Abstand möglich sein. Sie sollen allen Münchnern offen stehen. Eine Skate-Landschaft etwa, ein Basketball-Feld oder der Ping-Pong-Park. Außerdem gibt es Veranstaltungsflächen, die wechselnd genutzt werden können. Über die gesamte Laufzeit des Projekts soll es ein Programm unter freiem Himmel geben: mit Sport, Yoga, Märkten, Kino-Vorführungen, Basaren.

In der ehemaligen Fabrikhalle selbst entsteht die sogenannte Super Structure, ein Spielort für Theater, Musik, Tanz, Kulturfestivals und zeitgenössische Kunst. In deren Innenbereich wird eine begehbare Landschaft aus Stegen, Wegen, Plattformen, Bühnen und Aussichtspunkten geschaffen. Der Betonbau der Halle bleibt als raue Kulisse erhalten.

Mit "Sugar Mountain" erhält der erweiterte Sendlinger Raum in den kommenden Monaten nicht nur ein großes Kulturprojekt. Schließlich wird in diesem Herbst etwas weiter östlich, näher an der Isar, auch der Gasteig sein Interimsquartier beziehen.

© SZ vom 06.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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