Münchner Momente:Auf den Inhalt kommt es an

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Frischen Fisch in alte Zeitungen einwickeln war gestern, heute ist daraus eine Kunstform geworden. Zumindest auf dem Viktualienmarkt bei Klein's.

Glosse von Philipp Crone

Die Auslese geht bei Gaby Klein anders als üblicherweise an den Frühstückstischen der SZ-Leser. Die 63-Jährige von "Klein's Wald und Wies'nstandl" auf dem Viktualienmarkt sortiert ihre Ausgaben nach Doppelseiten und einzelnen. Denn auch wenn die Papierzeitung ein vorbildliches Beispiel für nachhaltiges Recycling darstellt, kann man eine Ausgabe, nachdem der Kunde sie leergelesen hat, bekanntlich auch noch einmal zum Einwickeln verwenden, traditionell natürlich von Fisch. Also fragen wir zunächst bei den Fisch-Leuten nach, wie derzeit die Wickelsituation ist.

Bei Nordsee schüttelt der Chef den Kopf und referiert: Seit mindestens 15 Jahren werde beschichtetes Papier verwendet, außerdem gebe man der Kundschaft für den Lachs auch Thermotaschen mit, und Räucherfisch werde in Spezial-Papier gelegt. Fisch Witte gegenüber hat beschichtetes Papier samt Plastiktüten-Ummantelung für die Forelle parat. Das juckt aber Frau Klein nicht. Sie zieht eine für Einwickelverhältnisse brandaktuelle SZ-Ausgabe vom 18. Januar aus dem Regal und erklärt: Doppelseiten eignen sich für größere Edelweißtöpfe von 25 Zentimeter Durchmesser, einfache Seiten für die kleineren Töpfe, und dann komme es natürlich auf den Inhalt an. Also der Zeitung, nicht des Topfes.

Sehr beliebt sind bei Gaby Klein ganzseitige Anzeigen, "dann sieht es aus wie Geschenkpapier", diese Sympathie teilt sie uneingeschränkt mit den Zeitungsmachern. Das Feuilleton wird auch gern gewickelt, vor allem bei Kunden, denen Frau Klein zutraut, die dort dargereichten Texte zu verstehen. Den Sport wiederum kriegt jeder, da fragt sie aber ihre Kundinnen, ob die das stören würde, den Lavendel im Löwen-Spielbericht nach Hause zu tragen. Weitere Klein-Grundregeln beim Einwickeln: Keine Bild-Zeitung, "das will doch keine Pflanze", und keine Todesanzeigen. Aktienkurse auf Anfrage oder an Mürrische. Klar ist aber natürlich, dass diese Seite hier (sofern Sie, liebe Leserin und lieber Leser, sie knicken und rascheln lassen können) nur für höchste Weihen bestimmt ist, mindestens für eine 250 000 Euro teure Shenzhen Nongke Orchidee.

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