Sicherheitskonferenz München:Pakt der freien Städte

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Vitali Klitschko und Dieter Reiter unterzeichneten den "Pakt der Freien Städte", ein informelles Bündnis von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die Werte wie Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gegen nationalistischen Populismus verteidigen wollen. (Foto: Michael Nagy/Presseamt München)

München und Kiew pflegen seit vielen Jahren eine Partnerschaft. Bei der Siko können sich die Rathauschefs Dieter Reiter und Vitali Klitschko endlich wieder persönlich treffen. Manche Sorgen in München relativieren sich da ganz schnell.

Von Heiner Effern und Nicolas Freund

"Das ist kein Krieg", betont Vitali Klitschko. "Was gerade in der Ukraine passiert, ist Terrorismus." Russland versuche mit der gezielten Zerstörung der Wasser-, Strom- und Wärmeversorgung die Bevölkerung zu zermürben. Gerade jetzt im Winter. "Es ist schwer zu verstehen, was ein Blackout bedeutet", sagt der Bürgermeister von Münchens Partnerstadt Kiew. "Wenn man in seiner Wohnung aufwacht, ohne Strom. Kein Fernseher, kein Radio. Das Handy funktioniert nicht, wenn man seine Freunde anrufen möchte. Es gibt keine Informationen, das Internet funktioniert nicht. Es gibt kein Wasser, man kann nicht duschen. Auf der Straße sind alle Cafés und Restaurants geschlossen."

Als Bürgermeister Klitschko ausführt, was die Menschen in seiner Stadt, im ganzen Land in diesem Krieg ertragen müssen, sitzt er auf einem Podium im BMW-Foundation-Pavillon am Lenbachplatz. Er ist für die Sicherheitskonferenz nach München gekommen, Thema der Diskussion soll die Rolle der Städte als Hüter der Demokratie sein. Doch der Bericht aus Kiew dominiert diesen Freitagvormittag, zuerst die Schilderung des Kriegs-Alltags, dann die Zahlen: Tausende Häuser seien alleine in Kiew bei den russischen Angriffen zerstört worden, sagt der Bürgermeister. 156 Zivilisten seien bisher in der ukrainischen Hauptstadt getötet worden.

"Das ist schon Wahnsinn, das ist ein Amtskollege von mir, der steht da mit Maschinengewehr und Schutzweste, wenn er ein Interview geben muss. Das ist hardcore", sagte Münchens OB Reiter über seinen Kollegen Vitali Klitschko, hier beim Besuch eines Kontrollpunkts in Kiew. (Foto: Efrem Lukatsky/dpa)

Neben ihm auf dem Podium sitzt Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der sich sehr gefreut hat, Klitschko direkt zu sehen und zu sprechen. "Seit Kriegsbeginn haben wir uns zum ersten Mal wieder persönlich getroffen", sagte Reiter nach der Diskussion. Allerdings habe es sich nicht nach so langer Pause angefühlt, "weil ich entweder persönlich mit Vitali Klitschko oder mit seinem Stabschef Bogdan Balasynovych regelmäßig in Kontakt bin". Wie das abläuft, schilderte Reiter diese Woche im Münchner Presseclub. Klitschko schicke Nachrichten und auch Videos aufs Handy. Der Büroleiter seines Kiewer Kollegen schreibe "immer dann, wenn sie etwas brauchen".

Wenn die Rede auf die dramatische Situation in der Partnerstadt Kiew kommt, lässt Reiter seit Kriegsbeginn immer wieder durchblicken, wie sehr ihn das Thema beschäftigt. Zum einen das Leid der Menschen, zum anderen aber auch die Rolle eines Bürgermeisters, der die Verantwortung für sie hat. "Das ist schon Wahnsinn, das ist ein Amtskollege von mir, der steht da mit Maschinengewehr und Schutzweste, wenn er ein Interview geben muss. Das ist hardcore", sagte Reiter erst diese Woche. Die Nachrichten aus Kiew sorgen für Erdung im Münchner Rathaus. "Wir müssen uns zwischendurch immer wieder mal überlegen, wie gut es uns verdammt noch einmal geht. Wenn man das in diesen Kontext stellt, relativieren sich viele Sorgen und Problemchen, die wir in der Stadt haben, dramatisch."

Abdeckhauben gegen feindliche Drohnen

Während Reiter in München Leuten antwortet, die sich schriftlich über die zu seltene Leerung der Mülleimer in der Innenstadt beschweren, fürchten die Menschen in Kiew ums Überleben. Bürgermeister Klitschko berichtet auf dem Podium mitten im Zentrum von München, dass seine Bürgerinnen und Bürger anhaltende russische Drohnen- und Raketenangriffe auf die kritische Infrastruktur erleben. München hat 500 Stromgeneratoren geliefert, um die Versorgung aufrechtzuerhalten. Doch damit war es nicht getan, wie Reiter diese Woche erklärte. "Dazu braucht man, das habe ich gelernt, Abdeckhauben, damit die gegnerischen Drohnen die nicht gleich wieder zerstören." Schwer zu fassen auch für Reiter. "Das ist unglaublich."

In solchen Situationen den Alltag am Laufen zu halten, dafür sind die kleinsten Einheiten eines Staates, die Kommunen, verantwortlich. Nicht nur Klitschko ist deshalb ständig in Gefahr. Russland würde gezielt auf lokaler Ebene gegen staatliche Institutionen vorgehen, sagt der Bürgermeister von Kiew. Lokale Politiker würden eingeschüchtert und bedroht, oft auch Schlimmeres. In den von Russland besetzten Gebieten seien fünf Bürgermeister einfach verschwunden, sagte er. Niemand weiß, was mit ihnen passiert sei.

Diese Schilderung lässt sofort Bilder hochkommen vom letzten Auftritt Klitschkos in München. Der war nur digital, doch äußerst beeindruckend. Der Bürgermeister von Kiew war im Stadtrat zugeschaltet, am 23. März 2022. Als das Video startete, sah man Klitschko in einem völlig neutralen, kargen Raum sitzen. Die Vorhänge waren mitten am Vormittag zugezogen. "Jeden Morgen, bevor ich aufstehe, bevor ich meine Augen aufmache, denke ich, das ist alles ein Albtraum", sagte Klitschko damals.

Der bewegendste Moment ihrer politischen Karriere

Er hielt Munitionsteile in die Kamera, berichtete vom Sterben in seiner Stadt. Altgediente Stadträte sagten hinterher, es wäre der bewegendste Moment ihrer politischen Karriere gewesen. Reiter war so angefasst, dass er in einer spontanen Reaktion nach der Sitzung das Oktoberfest infrage stellte. Feiern, wenn in der Partnerstadt die Menschen ums Überleben kämpfen, das konnte er sich da nicht vorstellen. Mittlerweile ist längst klar, dass der Krieg in der Ukraine dauern wird und der Alltag in München samt Wiesn weiterlief und laufen muss.

Doch das Leid in Kiew bleibt in München im Fokus, die Stadt will ihrer Partnerin in der Ukraine weiter helfen, wo immer es geht. Etwa 60 000 geflüchtete Menschen aus der Ukraine seien bisher in München alleine am Hauptbahnhof angekommen, berichtet Reiter auf dem Podium im BMW-Pavillon. 16 000 seien noch offiziell in München registriert. "Die Begegnung heute war sehr herzlich, er hat sich noch mal begeistert über die Münchner Hilfsbereitschaft gezeigt und bedankt", sagte Reiter nach dem Treffen.

Zur Hilfe aus München zählen nicht nur die Aufnahme der Geflüchteten oder die Lieferung der sehr begehrten Fahrzeuge für Krankentransporte, Feuerwehr und Polizei, weil die laut Reiter so häufig "zerschossen" würden. Dazu gehört auch die politische Solidarität, von Kommune zu Kommune, von Metropole zu Metropole. Um diese zu untermauern, unterzeichnete Reiter am Freitagvormittag den "Pakt der Freien Städte", ein informelles Bündnis von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die Werte wie Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gegen nationalistischen Populismus, Diskriminierung und Ausgrenzung verteidigen wollen.

München fühlt sich Kiew aber auch ohne ein weiteres Bündnis verpflichtet. Seit dem 6. Oktober 1989 pflegen die beiden Metropolen eine Städtepartnerschaft. Klitschko bedankt sich in der Diskussion wie schon öfters für die Zuwendungen aus München. Für Generatoren und Fahrzeuge, Nahrungsmittel und die Medizin. Diese würden Leben retten. Darauf könne sich die Partnerstadt weiter verlassen, sagte Reiter nach der Veranstaltung. "Ich habe ihm erneut zugesichert, dass wir auch weiter an der Seite unserer Partnerstadt Kyiv stehen."

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