Listerien in Fleischprodukten:Landgericht weist Schadenersatzklage zu Sieber-Insolvenz ab

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Die Behörden hatten vor Produkten der Großmetzgerei gewarnt. Das Unternehmen ging kurz darauf pleite und verlangte Millionen vom Land. Zu Unrecht, wie das Gericht nun befand.

Von Andreas Salch, München

Müller-Brot, Bayern-Ei und im März 2016 wieder ein neuer Lebensmittelskandal, der bundesweit Wellen schlug und am Ende zur Schließung der Geretsrieder Großmetzgerei Sieber führte. An einem Wacholder-Wammerl von Sieber hatten Kontrolleure erhöhte Listerien-Werte festgestellt. Die Bakterien können bei Kindern, Senioren, Kranken und Schwangeren schwere Erkrankungen hervorrufen. Der Insolvenzverwalter des Unternehmens, Rechtsanwalt Josef Hingerl, erhob - nachdem Sieber pleite war - Klage gegen den Freistaat. Er warf dem bayerischen Verbraucherschutzministerium vor, es hätte mit einer amtlichen Warnung vor den Sieber-Produkten im Mai 2016 überreagiert und sei deshalb mit Schuld an der Insolvenz des Traditionsunternehmens.

In einem Zivilrechtsstreit vor dem Landgericht München I forderte Hingerl Schadenersatz und Entschädigung in Höhe von rund elf Millionen Euro. An diesem Mittwoch erging das Urteil: Die Richter 15. Kammer wiesen die Klage ab. Ein Sprecher des Verbraucherschutzministeriums erklärte dazu auf Anfrage: "Das ist eine Entscheidung für den Verbraucherschutz. Verbraucherinteressen stehen immer an erster Stelle. Insbesondere wenn es um die Gesundheit oder sogar um das Leben von Menschen in Bayern geht."

Landgericht München
:Großmetzgerei Sieber kann auf Entschädigung hoffen

Bei Kontrollen wurden 2016 Listerien in Produkten des Unternehmens gefunden. Das Gericht muss nun klären: Hat der Freistaat durch eine unrechtmäßige Verbraucherwarnung die Insolvenz der Metzgerei verschuldet?

Von Stephan Handel

Zu der vom Insolvenzverwalter besonders kritisierten Warnung des Verbraucherministeriums vom 27. Mai 2016 heben die Richter in ihrem Urteil hervor, dass diese zu Recht ergangen sei. Immerhin seien bei Proben, die im März und im Mai 2016 entnommen worden seien, die erlaubten Grenzwerte für Listerien überschritten worden. Wegen dieser lebensmittelrechtlichen Verstöße sei die Information der Öffentlichkeit zulässig gewesen.

In seiner Warnung hatte das Verbraucherschutzministerium ausnahmslos vor allen Produkten der Firma Sieber gewarnt und das Inverkehrbringen dieser Waren verboten. Sollte das Traditionsunternehmen auch Produkte hergestellt haben, die gar keine Listerien enthalten konnten, weil sie in der Verpackung nachpasteurisiert wurden, wäre eine "Rückrufanordnung" und das Verbot des Inverkehrbringens solcher Produkte zur Gefahrenabwehr nicht erforderlich gewesen, heißt es jedoch im Urteil. Ob Sieber tatsächlich auch solche Produkte vertrieben hat, die aufgrund ihrer Herstellung gar keine Listerien enthalten konnten und das Verbraucherschutzministerium nicht vor allen Produkten von Sieber hätte warnen oder deren Inverkehrbringen hätte untersagen dürfen, musste das Gericht nicht entscheiden. Einen Anspruch auf Schadensersatzanspruch könne auf das Verbot für das Inverkehrbringen aller Produkte nicht gestützt werden, so die Richter. Bevor die Warnung erging, hätte das Unternehmen das Verbraucherschutzministerium darauf hinweisen müssen, das es auch unbedenkliche Produkte in seinem Sortiment hat.

Das Unternehmen hätte auch dann Insolvenz anmelden müssen, sind die Richter überzeugt, wenn das Verbraucherschutzministerium unter anderem die Tiefkühlwaren von Sieber von der Produktwarnung ausgenommen hätte. Denn nach einer Warnung vor bestimmten Produkten hätten Verbraucher wohl auch unbedenkliche Ware nicht mehr gekauft.

Mit dem Aus von Sieber verloren 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Job. Das Unternehmen machte zuletzt einen Umsatz von 25 Millionen Euro. Insolvenzverwalter Josef Hingerl hatte den Freistaat ursprünglich auf nur rund 45 000 Euro Schadenersatz vor dem Landgericht München I verklagt. Um die zuletzt geforderte Summe in Höhe von knapp elf Millionen Euro einklagen zu können, hätte der Anwalt erst einmal Prozesskosten über 250 000 Euro hinterlegen müssen. Da der Betrag aus der Insolvenzmasse nicht aufzubringen war, schaltete er für 10 000 Euro in Metzgerei-Fachzeitschriften Anzeigen, in denen er um Hilfe zur "Prozessfinanzierung im Pilot-Prozess Sieber" bat. Mit Erfolg, die Summe kam zusammen. Das war vor einem Jahr. Damals zeigte sich Hingerl noch optimistisch und sagte: "Ich gehe auch bis zum Bundesgerichtshof."

© SZ vom 11.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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