Landgericht München:Großmetzgerei Sieber kann auf Entschädigung hoffen

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Der Insolvenzverwalter von Sieber, Josef Hingerl, hält die Verbraucherschutz-Warnung, die 2016 zur Schließung der Metzgerei Sieber führte, für unzulässig. (Foto: Hartmut Pöstges)
  • Insolvenzverwalter Josef Hingerl hält die Verbraucherschutz-Warnung, die 2016 zur Schließung der Metzgerei Sieber führte, für unzulässig.
  • Im März 2016 wurden bei einer Kontrolle erhöhte Listerien-Werte an einem geräucherten Wacholder-Wammerl aus Siebers Produktion festgestellt.
  • Listerien sind Bakterien, die schwere Erkrankungen auslösen können.

Von Stephan Handel, München

Hat der Freistaat Bayern durch eine unrechtmäßige Verbraucherwarnung die Insolvenz der Großmetzgerei Sieber in Geretsried verschuldet? Muss er deswegen für den dadurch entstandenen Schaden haften? Diese Frage wird derzeit vor dem Landgericht München I geklärt. Josef Hingerl, der Sieber-Insolvenzverwalter, hat den Freistaat im Zuge der Amtshaftung verklagt - nach dem ersten Verhandlungstermin vor der 15. Zivilkammer am Mittwoch kann sich Hingerl berechtigte Hoffnungen auf einen Erfolg machen.

In diesem ersten Verfahren fordert Hingerl nur rund 46 000 Euro - nach der Übernahme der Insolvenzverwaltung hatte er den Schaden auf zwölf Millionen Euro beziffert. Um diese gesamte Summe einklagen zu können, hätte er jedoch zunächst Prozesskosten in Höhe von 250 000 Euro hinterlegen müssen. Weil das aus der Insolvenzmasse nicht aufzubringen ist, beschränkt er sich zunächst auf einen kleinen Teilbetrag. Sollte er dieses Verfahren gewinnen, hätte das aber natürlich Auswirkungen auf weitere Klagen.

Im März 2016 wurden in einem Supermarkt in Franken bei einer Kontrolle erhöhte Listerien-Werte an einem geräucherten Wacholder-Wammerl aus Siebers Produktion festgestellt. Listerien sind Bakterien, die bei Kindern, Alten, Kranken und Schwangeren schwere Erkrankungen auslösen können. Nach der Entdeckung der kontaminierten Ware gab Sieber selbst und freiwillig eine Verbraucherwarnung heraus.

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Im Mai 2016 fand eine Betriebskontrolle in Geretsried statt. Dabei wurden Listerien an weiteren Produkten gefunden - auch an solchen, die schon an den Einzelhandel ausgeliefert waren. Das führte nach einigem juristischen Hin und Her schließlich zu einer amtlichen Warnung des bayerischen Verbraucherschutzministeriums vor Sieber-Produkten und letztlich zur Einstellung des Produktionsbetriebes.

Keine zwei Wochen später stellte Sieber - Jahresumsatz zuletzt: 25 Millionen Euro - den Insolvenzantrag, 120 Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz. Der Geschäftsführer des Unternehmens wurde im April 2017 vom Amtsgericht Wolfratshausen wegen des Inverkehrbringens gesundheitsschädlicher Lebensmittel zu einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt.

Für die Entscheidung, wann Listerien auf einem Lebensmittel gesundheitsschädlich sind, gibt es zwei Grenzwerte, die Einheit dafür heißt KbE/g, koloniebildende Einheiten pro Gramm. In den Produktionsbetrieben liegt der Grenzwert bei 0, es sind also keine Listerien erlaubt. Ist das Lebensmittel an den Handel ausgeliefert, sind 100 KbE/g zugelassen. Insolvenzverwalter Hingerl stützt seine Klage nun auf den Umstand, dass bei den monierten Proben vom Mai 2016 - vom Freistaat unbestritten - dieser Grenzwert in keinem Fall überschritten wurde.

Im Prozess merkte Frank Tholl, der Vorsitzende Richter, dazu an, dass vier der fünf Proben damit wahrscheinlich nicht für die Argumentation des Freistaats taugen würden, denn sie wurden im Einzelhandel entdeckt. Die fünfte Probe, eine Fleischwurst mit Paprika, fand sich im Werksverkauf in Geretsried - aber bedeutet das, dass sie noch im Produktionsverfahren steht und deshalb null Listerien erlaubt wären? "Das sehen wir eher nicht", erklärte Richter Tholl und sorgte damit für gute Laune am Klägertisch und für missmutige Gesichter bei den Beklagten.

Die versuchten zu retten, was zu retten ist - dass die Einhaltung des Grenzwerts ja bis zum Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums garantiert sein müsse oder dass das Argument nicht zähle, manche der Lebensmittel müssten ja sowieso noch zubereitet werden, wodurch die Listerien abgetötet würden: Man könne nicht ausschließen, dass es Leute gebe, die Leberkäsbrät gerne roh essen würden. Das konterte Josef Hingerl mit dem nüchternen Einwurf, dann dürfte in Deutschland kein rohes Hendl mehr verkauft werden, denn 30 Prozent davon seien von Salmonellen und anderem Zeug befallen.

Eine gütliche Einigung kam nicht zustande, Hingerl will ein Urteil, auf das er weitere Verfahren stützen kann. Das Geld dafür will er durch Crowdfunding in der Lebensmittel-Branche zusammenbekommen. Richter Tholl: "Vielleicht gelingt es dem Ministerium ja irgendwann mal, eine rechtmäßige Verbraucherschutz-Warnung abzusetzen."

© SZ vom 10.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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