Nachverdichtung in Schwabing-West:"Eine Katastrophe schlechthin"

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Die Bewohner schätzen den grünen Innenhof. Hier leben Tiere, Kinder können spielen, und die Bäume filtern die Luft. (Foto: Robert Haas)

Die Versicherungskammer will nahe dem Bonner Platz ein Karree nachverdichten. Die Bewohner sind beunruhigt: Manche Wohnungen könnten dadurch ihre Balkone verlieren - und sogar das einzige Fenster.

Von Ellen Draxel

Anna Steffnys Wohnung ist ihre "kleine Oase". Die 73-Jährige wohnt seit 23 Jahren in einem hellen Ein-Zimmer-Apartment im zweiten Stock eines Häuserblocks an der Degenfeldstraße, mit Balkon und Blick auf einen großen, grünen Innenhof. Selbst jetzt im Winter wirkt die Aussicht heimelig, trotz kahler Baumwipfel. Vor einem Jahr erst hat sich die Rentnerin eine neue Küche für rund 5000 Euro einbauen lassen.

Doch nun fürchtet sie um ihr Zuhause. Grund ist ein Antrag auf Vorbescheid, den Steffnys Vermieterin, die Bayern Versicherung Lebensversicherung AG, vor Kurzem bei der Lokalbaukommission eingereicht hat. Die Planung des zur Versicherungskammer Bayern gehörenden Unternehmens sieht vor, das Karree zwischen Karl-Theodor-, Ansprenger-, Unertl- und Degenfeldstraße im westlichen Schwabing zu verdichten - in Form von zwei Neubauten, die zwischen den bestehenden Gebäuden eingefügt werden sollen.

Anna Steffny kann von ihrem Balkon aus auf das Grün der Bäume schauen - noch. (Foto: Robert Haas)

Auch der Bau einer weiteren Tiefgarage ist vorgesehen. Das Vorhaben ist eine bereits überarbeitete Fassung: Die erste, als durchgehende Blockrandbebauung konzipierte Version hat die Versicherung aufgrund der massiven Kritik des Westschwabinger Bezirksausschusses schon abgespeckt. Statt der ursprünglich geplanten rund 100 Wohnungen sollen nun nur noch etwas mehr als 50 und keine Kita mehr entstehen, damit wird der Innenhof in Münchens am dichtesten besiedelten Stadtbezirk nicht zusätzlich zugepflastert, und es bleiben Schneisen für Luft und Licht.

Allerdings würde einer der neuen sechsgeschossigen Flachbauten, sofern die dem Westschwabinger Bezirksausschuss vorliegende Planung zeitnah umgesetzt werden sollte, nach wie vor direkt an Steffnys Fensterfront andocken. Und damit ihrem Refugium und den gleich geschnittenen Wohnungen ihrer Nachbarn unten und oben das einzige Tageslicht nehmen. Ein Szenario, das der Bauherr zwar dementiert. Doch die Mieter machen sich gleichwohl enorme Sorgen. "Eine Katastrophe schlechthin", findet Eleonore Bermüller, die im vierten Stock wohnt. Die 86-Jährige lebt seit 60 Jahren in der Anlage, hat ihre gesamten Ersparnisse in ihr Heim investiert und alles auf Maß anfertigen lassen. Sie ist "zutiefst empört und beunruhigt" wegen des Vorhabens: "Ich habe nicht vor umzuziehen, sondern hier meinen Lebensabend in Ruhe zu verbringen, wo ich die Leute kenne und mich zu Hause fühle."

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Ähnlich argumentiert Monika Ilg. Sie ist in dem Karree aufgewachsen und vor 16 Jahren bewusst wegen ihrer Arthrose in diese Ein-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss gezogen. 164 Mietparteien leben in dem mit drei neunstöckigen Punkthäusern und einem fünfgeschossigen Wohnriegel samt Büros und Praxen bebauten Areal. Sie alle wären betroffen von den Baumaßnahmen, wenn auch unterschiedlich gravierend.

Die Versicherungskammer versucht zu beschwichtigen, es würden "keine Fenster zugemauert"

Denn den Plänen fiele immer noch ein Drittel der Grünfläche des Innenhofs zum Opfer. Darunter mehrere alte Bäume und ein von der Degenfeldstraße ausgehender Weg, den viele Schwabinger seit langem als willkommene Querverbindung zum U-Bahnhof Bonner Platz nutzen. Der Hof ist inmitten dicht besiedelter und versiegelter Häuserzeilen ein Dorado für Fauna und Flora: Eichhörnchen leben dort, viele Vögel, Igel, Fledermäuse und Insekten. Die Grünflächen filtern Abgase, dienen als Frischluftschneise und kühler Ort im Sommer.

Sarah Friedrich beispielsweise ist mit ihrer Familie vor vier Jahren "bewusst" in die Unertlstraße 23 gezogen, weil es dort "ruhig und grün und ein großer Spielplatz vorhanden ist". Andernorts in dem am dichtesten besiedelten Viertel Münchens dagegen sei es "bombenheiß" in den Sommermonaten. Außerdem, sagt die Mutter, könnten die Kinder auf diesem Areal rennen, laut sein, sich austoben. "Das ist so wichtig - aber wo gibt es das sonst noch in der Stadt?"

Bei der Versicherungskammer reagiert man beschwichtigend. "Anbauten an bestehende Wohnungen", beteuert Unternehmenssprecherin Inge Sommergut, würden "ausschließlich bei leerstehenden Wohnungen realisiert". Bauliche Eingriffe in die Einzimmerwohnungen erfolgten während des Mietverhältnisses nicht. Somit würden auch "keine Fenster zugemauert. Und Kündigungen sind ausgeschlossen."

Der Bezirksausschuss muss nun entscheiden, ob er den Plänen zustimmt

Wie der Neubau dann realisiert werden soll, dazu möchte sich Sommergut nicht äußern. Ihr Kollege Benjamin Forster hat aber Lokalpolitikerin Marina Burwitz, die für die Grünen im Bezirksausschuss sitzt und ebenfalls an der Degenfeldstraße 14 wohnt, bereits erklärt, das Bauvorhaben werde "möglicherweise zeitversetzt umgesetzt".

Und das Grün? "Wir haben die geplanten baulichen Maßnahmen zugunsten der Erhaltung von Grünflächen schon um fast 50 Prozent reduziert", sagt die Sprecherin. Damit bleibe die große Hoffläche als Erholungsraum erhalten. Die versiegelten Flächen erhielten zum Ausgleich eine Begrünung auf den Dächern. Auch ein Spielplatz soll nach dem Umbau wieder entstehen. "Zudem wird es für die rund 20 zu fällenden Bäume Ersatzbepflanzungen geben." Und anstelle des wegfallenden Weges sei ein Durchgang in den Innenhof zwischen der Degenfeldstraße 10 und 14 durchaus "denkbar".

Jetzt aber liegt der Ball erst einmal bei Westschwabings Stadtteilgremium. Die Bürgervertreter müssen entscheiden, ob sie die Planung gutheißen und dem Vorbescheidsantrag zustimmen - oder ob sie ihn, wie schon die erste Version, ablehnen. Das endgültige Votum über die Zulässigkeit des Vorhabens obliegt dann der Lokalbaukommission.

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