Traditionsgeschäft in München:Der Mann für alles, was in die Wand muss

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Gerhard Miksch, der Betreiber des Geschäfts Schrauben-Mutter an der Ickstattstraße 12. Kein Witz, der Name, die erste Inhaberin hieß Wilhelmine Mutter. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Gerhard Miksch führt das 70 Jahre alte Spezialgeschäft Schrauben-Mutter im Münchner Glockenbachviertel. Er weiß: Frauen sind besser vorbereitet aufs Heimwerken, die Nachfrage steigt - und die Kunden werden immer ahnungsloser.

Von Philipp Crone

Der Vollbartträger, der gerade reinkommt, ist ein Paradebeispiel für seine Kundschaft. Gerhard Miksch, glatt rasiert, 62 Jahre alt und jemand, bei dem man sich eher keine Sorgen machen muss, ob er die Trittleiter bis zum obersten Schraubenschachterl unbeschadet hochkommt, schaut runter in den Laden. Sein Mitarbeiter beginnt das Verkaufsgespräch. Denn eines der vielen Dinge, die sich hier geändert haben, ist die Beratungsdauer. Von diesem Spezialgeschäft, das Anlaufstelle für Handwerker aller Art ist, das mehr als 6000 vor allem Schrauben und andere Festmach-Teile vorrätig hat in den unendlichen Weiten des Lagerraums, von diesem Geschäft und den Erzählungen seines Besitzers kann man auch einiges lernen, wie sich die Stadt und das heute durchgentrifizierte Viertel verändert haben.

Der bärtige Mann legt eine Metallhülse auf den Tresen. Früher wussten die Leute, was sie wofür brauchen, und wie sie ihre Reparatur oder den Handwerkseinsatz angehen werden. Heute endet die Expertise der Kunden oft mit dem benötigten Gegenstand. Die Öse gehört zu einem Fahrrad-Radlager, aber es passt nicht richtig und hat "eine US-Größe", wie der Kunde sagt. Andreas, der Mitarbeiter, zückt seinen Messschieber. "Den brauchen wir fast immer", sagt Miksch. Denn es sei so: Online hat er die Profi-Kunden, die Tausende Schrauben bestellen. Damals, als er anfing, haben sie manchmal zwei ganze Lkw-Ladungen ausgeliefert. Offline, also im Laden an der Ickstattstraße 12, da kommen die Laien. Also nicht nur, natürlich, aber immer mehr.

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Warum? "Zum einen gibt es ja keine Baumärkte mehr in der Stadt, außer dem V-Markt in der Balanstraße." Und selbst der Kustermann habe sein Schrauben- und-Dübel-Repertoire stark eingeschränkt, berichten ihm Kunden. "Gleichzeitig kriegt man aber keine Handwerker mehr, also gehen die Leute dazu über, die Dinge wieder selbst zu machen." Das Selbstmachen ist aber manchmal gar nicht so leicht.

Muttern für alle Schrauben, auch einzeln zu haben. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Da geht es ja nicht um eine Flughefe, die vielleicht doch keinen ordentlichen Sauerteig für das nächste Hipster-Brot schafft. Da geht es dann um ein Regal oder einen Schrank, einen Motor oder eben um ein Rad, das schon die richtige Schraube und Behandlung braucht, dass es nicht runter- oder auseinanderfällt. Und dann steht man eben bei Miksch und lässt sich beraten. Sehr beliebt sind Ikea-Baupläne, die dann auf dem Tresen ausgebreitet werden, und bei denen der Mann mit der Expertise sagen soll, welche Schrauben und Dübel man nun benötigt. Geht so natürlich nicht.

"Die Leute sind oft einfach nicht vorbereitet." Wobei das noch mehr für Männer gelte als für Frauen. "Die wissen meistens mehr, haben auch Maße und Gewicht schon gemessen, die sind oft gut vorbereitet." Die Glockenbach-Männer hingegen würden wohl eher nach dem Motto vorgehen: Kann ich schon, und der wird's schon wissen beim Schrauben-Laden. Weiß er auch, aber das dauert eben. Mittlerweile bei der Fahrrad-Öse schon ein paar Minuten, der Messschieber hat zehn Millimeter Durchmesser ergeben und der Mitarbeiter Unterlegscheiben zur Lösung des Problems verschrieben. "Perfekt, super!", sagt der Kunde und zahlt: exakt 97 Cent.

"Der Laden ist mittlerweile eher ein Hobby", sagt Miksch. (Foto: Alessandra Schellnegger)

"Der Laden ist natürlich mittlerweile schon fast eher ein Hobby", sagt Miksch. 90 Prozent des Umsatzes komme über den Online-Handel. Miksch zeigt das kurz in seinem Büro am Rechner, Radio 2Day groovt im Hintergrund, wie sich das für eine handwerkernahe Einrichtung gehört, und der gelernte Radio- und Fernsehtechniker rast mit der Maus über den Bildschirm. Seit die Namensgeberin, Wilhelmine Mutter, den Laden 1950 am Sendlinger Tor eröffnete, hat sich eben doch einiges gedreht. Und die Wände in der Innenstadt sind nicht gerade stabiler geworden. "Das Material, das ist ja das nächste", sagt Miksch.

Wer gut vorbereitet zur Schrauben-Beratung kommt, der weiß eben, ob es sich bei der zu bearbeitenden Wand um Beton ("da kommt man zwar nicht rein, aber wenn man drin ist, hält alles"), Rigips ("da hält nicht viel") oder den berüchtigten Isarkies handelt, der gerade im Umkreis gerne verwendet wurde ("entweder geht nichts, weil man einen Stein erwischt oder man hat ein Riesenloch und Gebrösel"). Miksch verleiht mittlerweile einen Profi-Schlagbohrer, damit die Amateure in der Gegend die Isarkiesel besiegen können. So würde er das natürlich niemals sagen, der Mann ist ein wandelndes Knigge- und Schrauben-Lexikon. Wenn man sich das Warenangebot anschaut, lässt sich auch durchaus auf die Fähigkeiten der Innenstädter schließen.

Allein die Spachtelmasse-Tuben füllen eine ganze Wand. Da können jegliche Mauerdesaster elegant wieder unter Spachtel und Farbe verborgen werden. Würde Miksch natürlich nie passieren, er hat sein Haus in Perlach quasi komplett selbst gebaut und kam so auf den Geschmack. Wenn er dann mal wieder zehn Minuten beraten hat und ein Kunde eine Schraube mitnimmt zur Probe, dann verlangt er dann eben doch nicht die 26 Cent Listenpreis, sondern immerhin 50 Cent. "Aber andererseits macht es schlicht großen Spaß, die Leute glücklich zu machen."

Große Auswahl - mancher Kunde wäre ohne Beratung aufgeschmissen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Und das sind sie. Sie kommen mit einem für Studierte manchmal fast unlösbar erscheinenden Problem zu Miksch und gehen mit einer Lösung und sogar einer Anleitung. Knigge-Miksch verzieht nie eine Miene, nicht einmal, als ein Mann reinkam, der Daumen und Zeigefinger abgespreizt hatte. "Der sagte: Ich habe die Länge der benötigten Schraube zu Hause abgemessen und die Finger nicht mehr bewegt!"

Und nun fragen sie auch noch nach Elektronik. "Der Conrad hat zugemacht, deshalb steigt die Nachfrage", sagt Miksch. Aber beliebig kann er sein Angebot auch nicht aufstocken. Er hat Grundsets für den Werkzeugkasten, natürlich die eher jüngeren Bit-Kästen. "Eigentlich hat sich aber im Vergleich zu früher gar nicht so viel verändert beim Angebot." Da wirkt das Hochleistungs-LED-Licht aber dann doch etwas deplatziert. "Wir hatten mal Taschenlampen, die gingen super weg", sagt Miksch. Und die LED-Lampe sei eben auch der heutigen Zeit geschuldet: leuchtet einen Tag und hat einen USB-Anschluss, um sie als Power-Bar zu verwenden. Also für alle Münchner, die aus ihrer selbst festgeschraubten Wohnung mal wieder fliehen wollen, die im Zweifel auch ein Vanlife-Magazin abonniert haben, die brauchen natürlich so ein Licht. Miksch nicht, der erkennt sicher selbst im Dunkeln jeden seiner 17 000 Artikel.

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