Null Acht Neun:Schienenersatzverkehr? Daumen hoch, Konfetti!

Lesezeit: 1 min

Der Triebwagenführer einer S8 leitet eine Schnellbremsung ein - und kommt rechtzeitig zum Stehen. (Foto: Wolfgang Maria Weber/Imago)

Genervt von den ständigen S-Bahn-Pannen? Nicht doch! Der Streckenagent auf Twitter hat auch im größten Chaos ein paar Späßchen im Angebot.

Glosse von Nadeschda Scharfenberg

München, das ist aus Sicht einer S-Bahn-Nutzerin eine Weltstadt mit Herzinfarkt. Am ersten Pfingstferienmorgen mit der Bahn aus dem östlichen Umland zum Flughafen fahren? Wegen Bauarbeiten ein Ding der Unmöglichkeit. "Keine Verbindung verfügbar", sagte die eine App, und die andere spuckte für 20 Kilometer Luftlinie eine dreieinhalbstündige nächtliche Bus-Odyssee aus. Solche Zefixhalleluja-Momente kommen regelmäßig vor: spontane Elterntaxifahrten, damit das Kind die Schulaufgabe in der ersten Stunde nicht wegen eines verhakten Stellwerks verpasst. Abendliche "Wie komme ich jetzt heim"-Verzweiflung. Und demnächst entfällt der Halt am Arbeitsplatz. Für drei Monate. In Emojis ausgedrückt: Kackhaufen, Schrei, rotgesichtiges Fluchen.

Aber hey, diese emotionalen Entgleisungen müssen nicht sein. Man nehme sich ein Beispiel an jenen Leuten, die sich beruflich mit solcherlei Hiobsbotschaften herumschlagen müssen: mit den Leuten nämlich, die auf Twitter die Nachrichten für den Streckenagenten verfassen. Sie sind die Li-la-Launebären der Krisenkommunikation.

Signal- und Weichenstörungen gibt es im offiziellen S-Bahn-Narrativ nicht mehr, das heißt seit geraumer Zeit "Reparatur an einem Signal" oder "Reparatur an einer Weiche", Subtext: Wir arbeiten dran! Zur zusätzlichen Erbauung des auf den Sankt Nimmerleinszug wartenden Fahrgasts werden ein paar fröhliche Piktogramme beigemengt. Die Meldung "Schienenersatzverkehr wurde eingerichtet" ziert eine Emoji-Kette aus Taxi, Konfettikanone und Party-Smiley. Liebe Nicht-Reisende, seht es mal so: 200 Menschen kloppen sich um eine Rückbank, "Reise nach Jerusalem" und "Mein rechter, rechter Platz ist frei" für Fortgeschrittene, das ist besser als Kindergeburtstag!

Plattform X

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von X Corp. angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von X Corp. angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Emojis aus der Kategorie Kotz&Heul gehören nicht zum Repertoire der Twitter-Crew, schlimmstenfalls tauchen ein paar rote Ausrufezeichen, Stoppschilder oder Strichmund-Smileys auf. Die Meldung "Reparatur an einem Zug" wird mit einer Dampflok illustriert, wer könnte bei so viel Selbstironie nachhaltig böse sein? Eine Ewigkeit später verkünden die Texter frohgemut: "Reparatur erfolgreich, juhhuu", Daumen hoch, Bizeps, Heiligenschein, "nur noch kleinere Folgeverzögerungen", Sonne. Ein verpasster Anschlussbus, so herzerwärmend. Der Spaziergang nach Hause tut Körper und Seele gut.

Erstaunlich, dass der knallende Sektkorken bislang noch keine Verwendung gefunden hat. Wäre doch ein hübscher Tweet: Geschafft, alle Züge verkehren wieder auf dem Regelweg, cheers und hoch die Tassen, zwinker, knutsch. So wird mit der richtigen Portion Galgenhumor aus der Weltstadt mit Herzinfarkt ganz flott eine Weltstadt mit Herzchenaugen.

Nadeschda Scharfenberg verzweifelt regelmäßig an der Münchner S-Bahn.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungVerkehr
:Hauptstadt des S-Bahn-Chaos

Der Kollaps auf den Straßen kommt nicht von ungefähr: Den Pendlern im Raum München fehlt die zuverlässige Alternative zum Auto.

Kommentar von Bernhard Lohr

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: