Anschlag auf Nachtklub "Liverpool":Das schwierige Gedenken an einen verdrängten Terroranschlag

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Der Tatort des von der rechtsextremen Gruppe Ludwig am 7. Januar 1984 verübten Anschlags auf den Nachtklub "Liverpool" in der Münchner Schillerstraße. Die Tanzbar im Keller brannte komplett aus. (Foto: amw/SZ Photo)

Vor 39 Jahren verübte die rechtsextreme "Gruppe Ludwig" einen Brandanschlag auf einen Münchner Nachtklub. Eine junge Frau starb. Warum das Ringen um die Gedenktafel so zäh ist.

Von Martin Bernstein

Wenn sich am Samstag der rechtsterroristische Brandanschlag auf den Münchner Nachtklub "Liverpool" zum 39. Mal jährt, wird es noch keine Gedenktafel für die damals von Neonazis ermordete Corinna Tartarotti und die anderen Opfer geben, die mit Verletzungen überlebt haben. Eine breite linke Mehrheit im Münchner Stadtrat hatte dieses Zeichen der Erinnerung vor Jahresfrist gefordert. Hinter den Kulissen gab es wohl seither Gespräche. Doch bei der Gedenkfeier am Samstag in der Schillerstraße wird es lediglich eine temporäre Videoinstallation geben.

Erstmals wird damit das Kulturreferat in Zusammenarbeit mit der städtischen Fachstelle für Demokratie die zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützen, die bisher ausschließlich auf eigene Initiative an die 1984 ermordete Garderobenfrau Corinna Tartarotti und die weiteren mindestens 14 Opfer der rechtsextremistischen Mordserie der "Gruppe Ludwig" erinnert haben. Kulturreferent Anton Biebl dankte im Vorfeld der Antisexistischen Aktion München (Asam) und dem Antifaschistischen Aida-Archiv dafür, "diesen weitgehend verdrängten rechtsterroristischen Terroranschlag in das Bewusstsein der Stadtgesellschaft zu holen".

Die ermordete Corinna Tartarotti: Sie arbeite am 7. Januar 1984 an der Garderobe in der Tanzbar "Liverpool". (Foto: privat/privat)

Biebl räumt ein: "Spät, aber selbstkritisch und offen will die Stadt die eigenen Versäumnisse aufgreifen und dieses Engagement unterstützen." Mit einer großflächigen Fassadenprojektion soll an das Attentat, an Corinna Tartarotti und an "alle Betroffenen der Morde und Brandstiftungen" der Terrorgruppe erinnert werden. Nach Asam-Informationen wird die Projektion aber nicht alle Opfer der Mordserie namentlich benennen.

Den Anschlägen der "Gruppe Ludwig" fielen insgesamt 15 Menschen zum Opfer

Das Kulturreferat wolle sich erst noch intensiver mit dem Anschlag auseinandersetzen und weiter recherchieren - auch in Italien, erzählt Asam-Sprecherin Nina Stern. "Grundsätzlich unterstützen wir Recherchen zu rechtem Terror natürlich", sagt sie - und formuliert zugleich ihren Eindruck, "dass es komplizierter geworden ist, seit das Kulturreferat übernommen hat". Man dürfe sich schon fragen, "warum es innerhalb eines Jahres nicht möglich ist, eine Tafel aufzuhängen". Nina Stern: "Der Anschlag war ein rechter Terroranschlag. Zu diesem Aspekt braucht es keine zusätzlichen Recherchen."

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Den Anschlägen der "Gruppe Ludwig" fielen zwischen 1977 und 1984 in Norditalien und München insgesamt 15 Menschen zum Opfer: Schwule, Sexarbeiterinnen, Geistliche, Drogenabhängige, fast alle Menschen ohne Lobby am Rand der Gesellschaft. Als Täter verurteilt wurden zwei junge Männer, einer von ihnen, Wolfgang A., hatte in München gelebt. Beide sind nach Medienberichten seit 2009 wieder auf freiem Fuß. In ihren Bekennerschreiben bezeichneten sich die Täter als Nationalsozialisten. Umstritten ist bis heute, ob es Mitwisser oder Helfer gab. Auch in München war von einem möglichen dritten Mann die Rede gewesen.

Historiker und Autorinnen, der Münchner Fachjournalist Robert Andreasch, der mit Aida-Mitarbeitern das Grab von Corinna Tartarotti auf dem Sendlinger Friedhof wiederentdeckt hat, und Asam-Aktivistinnen, die seit 2019 jeweils am Jahrestag in der Schillerstraße an den Brandanschlag erinnern, haben durch ihre umfangreichen Recherchen verhindert, dass die den Taten des NSU vergleichbare Terrorserie vollständig verdrängt und vergessen werden konnte.

Es ist offenbar tatsächlich kompliziert, viele Abstimmungen sind nötig

Das offizielle München hat den Faden erst vor Kurzem aufgenommen. Der vor einem Jahr fraktionsübergreifend gestellte Antrag, in der Schillerstraße mit einer Gedenktafel an den Münchner Anschlag zu erinnern, sei "in Bearbeitung", heißt es aus dem Kulturreferat. Die Fachstelle für Demokratie habe im Mai einen Textentwurf vorgelegt, dessen Inhalte im städtischen Beratungsgremium "AG Gedenktafel" behandelt worden seien, so Moritz Kienast vom Kulturreferat. Mit Eigentümern, Nutzern und Anliegern des Hauses in der Schillerstraße ist das Kulturreferat im Gespräch. "Die Abstimmungen entwickeln sich positiv", so Kienast auf Anfrage. "Das Zwischenziel der Projektion ist ermutigend für alle weiteren Überlegungen und die Zusammenarbeit, bei der auch eine permanente Erinnerung am historischen Ort Ergebnis sein kann." Das klingt nicht so, als sei eine Gedenktafel, die dann zumindest zum 40. Jahrestag an den Anschlag erinnern könnte, schon ausgemachte Sache.

Es ist offenbar tatsächlich kompliziert. Die "Federführung für die Entwicklung öffentlicher Formate zu stadtgeschichtlichen Themen" liegt laut Kienast im Kulturreferat bei der Fachabteilung "Public History" - in Abstimmung mit der Fachstelle für Demokratie. Man stehe im Austausch mit Familienangehörigen Corinna Tartarottis (Angehörige von Corinna Tartarotti wohnen in München und in Norddeutschland), der Friedhofsverwaltung, mit Bewohnern der Schillerstraße, mit dem Bezirksausschuss, der Anlaufstelle für die Opfer rechter Gewalt "Before", mit der DGB-Jugend, mit internationalen Geschichtswissenschaftlern und weiteren Städten mit Tatorten der "Gruppe Ludwig" sowie mit dem Aida-Archiv und der Initiative Asam, zählt Kienast auf. Und er verspricht: "Der Austausch geht weiter und soll intensiviert werden."

Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) hatte vor einem Jahr erklärt: "Das öffentliche Gedenken an Corinna Tartarotti und die Verletzten des Brandanschlages (...) ist ein weiterer Schritt, rechten Terror in der Landeshauptstadt München als solchen zu benennen und für eine vielfältige und gleichberechtigte Stadtgesellschaft einzustehen."

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