Prozess in München:Patient wegen Totschlags in psychiatrischer Klinik verurteilt

Lesezeit: 3 min

Polizeibeamte stehen vor einem Wohngebäude des Isar-Amper-Klinikums. Hier war kurz zuvor Lucia B. getötet worden. (Foto: Tobias Hase/dpa)

Der Mann, der im Isar-Amper-Klinikum in Haar eine Mitpatientin umgebracht hat, wird auf unbestimmte Zeit in einer geschlossenen Anstalt untergebracht. Die Anwälte der Eltern der Toten erheben schwere Vorwürfe gegen die Klinik.

Von Susi Wimmer

"Den Eltern ist es wichtig zu sagen, dass nicht nur ihre Tochter, sondern auch der Täter ein Opfer sei", erklärt Rechtsanwältin Jella von Wiarda. Es sind starke Worte, wenn man bedenkt, dass Miguel R. ( alle Patientennamen geändert) in einer psychiatrischen Klinik, einem eigentlich geschützten Ort, die 40-jährige Mitpatientin Lucia B. geschlagen, stranguliert und angezündet hat. Die zweite Strafkammer am Landgericht München I verurteilte den Mann am Freitag wegen Totschlags zur Unterbringung in einer geschlossenen Klinik auf unbestimmte Zeit. Derweilen erheben die Anwälte der Eltern des Opfers, Jella von Wiarda und Andreas Müller, heftige Vorwürfe gegen das Isar-Amper-Klinikum in Haar.

Miguel R. leidet unter paranoider Schizophrenie. Der gebürtige Brasilianer lebt seit einigen Jahren in München, arbeitet im Sexgewerbe. Bei den Behörden gilt er als Mann, doch R. selbst fühlt sich als Frau. Aufgrund seiner psychischen Erkrankung war er schon des Öfteren in geschlossenen Anstalten untergebracht, nach der Entlassung allerdings setzte er immer wieder seine Medikamente ab. "Wir kennen das von anderen Fällen", sagt der Vorsitzende Richter Norbert Riedmann im Urteil. Aufgrund der Nebenwirkungen würden viele die Medikation abbrechen. Unbemerkt drehe sich dann die Spirale nach unten.

Die Wahnvorstellungen von Miguel R. erreichten am 30. Mai vergangenen Jahres ihren Höhepunkt: Gott habe ihm befohlen, seinen Hund zu töten, weil der des Teufels sei, so erklärte es Verteidigerin Birgit Schwerdt im Namen ihres Mandanten. Also schlachtete er den Chihuahua ab, brüllte wirre Sachen durch das Haus, sodass die Nachbarn die Polizei verständigten. Als diese kam, stand R. halbnackt und blutüberströmt im Treppenhaus.

Auf der Fahrt in die Klinik wiederholte R. mehrfach, es reiche nicht aus, nur den Hund zu töten, er müsse heute auch noch einen Menschen töten. Dies wurde den Ärzten mitgeteilt. Miguel R. erhielt Tabletten, die er anfangs auch nahm, später dann wohl nicht mehr. Nach einer Stunde Überwachung konnte er sich auf der Station frei bewegen. "Für einen medizinischen Laien mag das schwierig zu verstehen sein", meinte Richter Riedmann. Der Rückfall folgte prompt am nächsten Tag.

Sonntag bis Freitag
:München heute - der München-Newsletter

Jetzt den Newsletter abonnieren!

R. riss die Eisenstange eines Duschkopfs aus der Verankerung, marschierte damit über den Gang in das offene Zimmer von Lucia B. Das Gericht geht davon aus, dass es vorab keinerlei Kontakt zwischen den beiden gegeben hat. Lucia B. war ein Zufallsopfer, arglos stand sie im Badezimmer. Im Wahn prügelte R. mit der Eisenstange mindestens zwei Dutzend Mal auf ihren Kopf ein, dann strangulierte er sie mit ihrem Pullover und band diesen an ein Eisenrohr. Anschließend schleppte er nahezu alle Möbel aus dem Dreibettzimmer in die Dusche und zündete sie an. Zu diesem Zeitpunkt, davon geht ein Gutachten aus, war Lucia B. bereits tot.

Die Einsichtsfähigkeit des 33-Jährigen, so das Gericht, sei aufgehoben gewesen. Er habe zu dem Zeitpunkt nur noch auf "Gottes Stimme" gehört. Die habe ihm befohlen, einen Menschen zu töten, damit er ins Gefängnis komme. Dort solle er alleine mit Gott bei Wasser und Brot für die Gesundung der Menschheit beten. "Er wusste, dass er eine Straftat begeht", sagte Riedmann, "aber er konnte das Unrecht nicht einsehen." Und auch wenn Lucia B. völlig arg- und wehrlos gewesen sei, so könne man das Mordmerkmal der Heimtücke nicht anwenden, weil fraglich sei, ob R. überhaupt das Bewusstsein hatte, diese Situation auszunutzen.

Aktuell ermittelt die Münchner Staatsanwaltschaft gegen unbekannt im Isar-Amper-Klinikum, "ob gegebenenfalls der Vorwurf einer fahrlässigen Tötung durch Unterlassen durch einzelne Personen verwirklicht worden sein könnte", sagte Staatsanwältin Anne Leiding auf Nachfrage. "Wir sehen die Hauptverantwortung bei der Klinikorganisation und dem Personal", sagt Jella von Wiarda. Es sei im Auftrag der Kammer ein Gutachten erstellt worden zu den Abläufen im Klinikum. "Wir hatten etliche Nachfragen, die bis heute nicht abschließend beantwortet wurden", sagt von Wiarda. Man wolle nun einen anderen Gutachter beauftragen, sich den Fall anzusehen.

Aktuell wird noch ein weiteres Tötungsdelikt bei einer Schwurgerichtskammer verhandelt: Ebenfalls in Haar hatte ein Patient ein Tischbein ausgerissen und einen Mitpatienten erschlagen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusTod in der Psychiatrie
:Isar-Amper-Klinikum in Haar im Visier der Ermittler

Nach dem mutmaßlichen Mord an einer Patientin prüft die Staatsanwaltschaft auch den Vorwurf einer fahrlässigen Tötung durch Unterlassen. Der Anwalt der Nebenklage weist auf mehrere Missstände hin.

Von Susi Wimmer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: