Prozess:Auf Partys betäubt und vergewaltigt

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Ein Mann soll sich an zwei minderjährigen Freundinnen seiner Stieftochter vergangen haben. Vor Gericht schweigt er.

Von Susi Wimmer, München

"Ich will einfach verstehen, warum man so was macht", sagt die zierliche junge Frau am Ende, dann bricht sie schluchzend zusammen. Es ist die Videovernehmung von Marina L. ( alle Namen geändert), die vor der Jugendschutzkammer am Landgericht München I abgespielt wird. Der Verdacht, der im Raum steht, ist albtraumhaft. Ein Mädchen soll Freundinnen zu privaten Partys zu sich nach Hause in Höhenkirchen-Siegertsbrunn eingeladen haben. Dort sollen nacheinander zwei Mädchen mit chemischen Substanzen betäubt worden sein, anschließend soll der Stiefvater der Tochter des Hauses sich an den 14 und 15 Jahre alten Mädchen vergangen haben. Erst Jahre später wagten die Frauen eine Anzeige. Jetzt sitzt Patrick S. auf der Anklagebank - und schweigt.

In einem Jugendzimmer mit Plüschsessel und Schminktisch tanzen kreischende Teenagerinnen, es sieht nach einer ausgelassenen Party aus. Die Mädchen hatten sich selbst gefilmt, als sie bei Tanja S. in Höhenkirchen-Siegertsbrunn zu Gast waren. Doch in der Ausgelassenheit liegt auch etwas Abgedrehtes. "Tanja war die Freundin meiner älteren Schwester", erzählt Marina L., "sie lud uns zum Trinken ein, Champagner und Martini, sagte sie." Also fuhr Marina mit ihrer Schwester wohl im Herbst/Winter 2010/2011 mit der S-Bahn in die Gemeinde im Süden von München. Dort trank Marina zum ersten Mal in ihrem Leben Alkohol, "ich war wie betäubt", sagt sie. Es sei ein "kompletter Blackout über Stunden" gefolgt. Als sie mit der S-Bahn heimfuhren, sei ihr übel gewesen. Sie habe gedacht, das sei so, wenn man trinkt.

Wenig später lud Tanja S. erneut ein. "Wir waren jung, ich dachte, das sei cool", erzählt Marina L. heute. Als sie in Höhenkirchen ankamen, habe die Mutter von Tanja "grinsend ein Tablett mit Champagner" gebracht. "Der Täter stand kurz im Türrahmen, dann ging er." Die Mädchen tranken, wurden hemmungslos, zogen sich bis auf die Unterwäsche aus, in dem Zimmer sei es heiß gewesen. "Ich kannte das von mir nicht", sagt die heute 23-Jährige. Sie habe höchstens zwei Gläser Champagner getrunken. Ihre Schwester habe später erzählt, dass eine Schüssel herumging, in die sich alle erbrochen hätten. Die nächste Sequenz, die Marina L. im Kopf hat, ist, dass sie auf dem Boden liegt und ein Mann sich an ihr vergeht. "Ich hörte ihn Schnaufen, es war unangenehm, dann war ich wieder weg."

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Marina L. sagt, dass sie das Geschehen verdrängt hat, "ich hab mich selbst belogen, es war wie nicht da gewesen". Auch als sie kurz darauf erfährt, dass eine andere Freundin ihrer Schwester, Claudia B., erzählt habe, sie sei in Höhenkirchen-Siegertsbrunn von Patrick S. vergewaltigt worden, antwortet sie ihrer Schwester nur mit: Das könne ja wohl nicht sein. "Innerlich dachte ich: Scheiße!" Sie habe jahrelang den "Missbrauch" verdrängt, bis bei S-Bahnfahrten plötzlich massive Angststörungen auftraten. "Irgendwann war es dann wie ein Schuss in meiner Erinnerung." Marina L. ging zur Polizei, machte eine Aussage und rief Claudia B. an.

Claudia B. hatte damals im November 2010 ihren 15. Geburtstag bei Tanja S. gefeiert. Es gab Champagner und Kuchen, die Mädchen sahen sich einen Film an. Einmal sei kurz ein Mann in der Türe gestanden, von dem sie annahm, dass es Tanjas Vater sei. Dann sei Tanjas Mutter mit einem Salat und einem Halbliter-Glas Whisky-Cola hereingekommen. "Der Salat hat total bitter geschmeckt, der Whisky-Cola war widerlich", erzählt die heute 23-Jährige in ihrer Video-Vernehmung. Doch aus Anstand habe sie gegessen und getrunken. "Etwa eine halbe Stunde später wurde mir übel." Sie habe sich im Waschbecken übergeben, dann habe sie das Bewusstsein verloren. Als sie wieder zu sich kam, sei sie rücklings auf einer Matratze gelegen, auf ihr ein Mann, "er vergewaltigt mich". Sie habe keine Kontrolle über ihren Körper gehabt, sie habe weder Arme noch Beine bewegen können, "die waren wie Zement", berichtet die Frau bei ihrer Vernehmung. Dann sei ihr wieder schwarz vor Augen geworden bis zum nächsten Morgen. Sie habe nicht den Mut gehabt, Anzeige zu erstatten, sagt sie.

Die Kammer unter dem Vorsitz von Richter Sigrun Broßardt hat acht Verhandlungstage anberaumt. Alexander Betz, einer der Verteidiger von Patrick S., beantragte gleich zum Prozessauftakt, das Verfahren bezüglich Marina L. wegen Ungenauigkeiten in der Anklage einzustellen. Die Kammer stellte diesen Antrag jedoch zurück. Betz' Argument, dass die Aussagen der jungen Frauen ähnlich seien, konterte Nebenklage-Anwältin Antje Brandes, dass das auch an der ähnlichen Vorgehensweise des mutmaßlichen Täters liegen könnte. Die Verhandlung wird am Mittwoch fortgesetzt.

© SZ vom 09.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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