Hilfspfleger vor Gericht:"Er war doch nur zwei Tage da"

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  • Im Prozess wegen siebenfachen Mordes gegen den Pfleger Grzegorz W. hat die Angehörige eines Ermordeten ausgesagt.
  • Dagmar W. beschreibt in ihrer Aussage den Angeklagten als empathielos. Nach dem Tod ihres Schwagers "saß er ganz gelassen in der Küche und trank Apfelschorle", so die Zeugin.
  • Neben dem Angeklagten geht es im Prozess auch um die gesamte Pflegebranche und die fragwürdigen Beschäftigungsverhältnisse.

Aus dem Gericht von Susi Wimmer

Empathie ist laut Duden die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen. Und sie ist eine Eigenschaft, die dem polnischen Hilfspfleger Grzegorz W. fremd sein dürfte. Wenige Stunden, nachdem er dem Ottobrunner Rentner Franz W. im Februar 2018 eine tödliche Überdosis Insulin gespritzt haben soll, "saß er ganz gelassen in der Küche und trank Apfelschorle", erzählte jetzt die Schwägerin des Verstorbenen vor dem Landgericht München I. Sie habe ihn noch getröstet und gemeint, dass das passieren könne bei einem Patienten im Alter von 87 Jahren. Tatsächlich hatte der Hilfspfleger die Tat, seine Abreise und seine nächste Pflegestelle wohl minutiös geplant. Der 38-Jährige steht im Verdacht, sieben Menschen ermordet zu haben.

Es scheint, als hätte der korpulente Mann auf der Anklagebank mit allem abgeschlossen. Interesse kommt bei ihm nur auf, wenn es um seine Verpflegung geht. Ansonsten zeigt er keinerlei Regung, stellt keine Fragen und schließlich fallen ihm die Augen zu. "Herr W.", ruft die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl und reißt ihn aus dem Schlaf. W. wird dort noch länger sitzen müssen, der Prozess ist bis Ende Mai 2020 terminiert, und darüber hinaus wurden alle Dienstage und Donnerstage als Verhandlungstage geblockt.

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Die Schwurgerichtskammer verhandelt einen Fall, der einerseits einen Mann zeigt, der gefühllos, kalt und berechnend gemordet haben soll, weil er die pflegebedürftigen Senioren bestehlen wollte. Andererseits kommt ein Geschäft mit der Pflege zum Vorschein, das sich am Rande der Legalität befindet. Als W.s Verteidiger Birgit Schwerdt und Alexander Eckstein bei der Befragung der Schwägerin nachhakten, unter welchen Voraussetzungen die polnischen Agenturen die Pfleger nach Deutschland schickten, sagte die 71-jährige Dagmar W.: "Eigentlich müssten die Agenturen auf der Anklagebank sitzen, die machen immer falsche Versprechungen." So sei dem vorherigen Pfleger, der rund um die Uhr zur Verfügung stehen sollte, ein Gehalt von 2000 Euro im Monat versprochen worden, tatsächlich habe er 800 bekommen. Eine Agentur gab nur Verträge aus, in denen stand, der Pfleger arbeite maximal zehn Stunden in der Woche, alle Leistungen darüber hinaus seien freiwillig. "Das kam mir schon merkwürdig vor, für eine 24-Stunden-Pflege", sagte ein Ermittler der Kripo.

Grezgorz W. selbst hatte sich diversen polnischen Agenturen als junger, fleißiger und zuverlässiger Pfleger vorgestellt, den es "glücklich macht, Senioren behilflich und ihnen ein Freund zu sein". Im Lebenslauf kaschierte er Knastaufenthalte in der Heimat mit angeblichen Pflegetätigkeiten in Deutschland, England und Polen.

Bereits als W. am 9. Februar im Bus von Polen nach Ottobrunn unterwegs war, fragte er Mitfahrerinnen, ob sie nicht eine Arbeit für ihn wüssten, er werde nicht lange in Ottobrunn bleiben. Tatsächlich kam er am Freitag an, spritzte laut Anklage in der Nacht auf Montag die tödlichen Insulin-Dosen, klaute Schmuck und Geld und informierte die Angehörigen. Es sei ihr merkwürdig vorgekommen, erzählte die Schwägerin vor Gericht, dass W. behauptet habe, er sei nachts um 3.40 Uhr aufgestanden, um nach dem Patienten zu sehen. "Warum soll er mitten in der Nacht schauen, ob der noch lebt?" Außerdem hatte es W. plötzlich recht eilig, aus dem Haus zu kommen. Die Koffer standen gepackt im Flur, "und ich hab mich gewundert, dass er auf die Schnelle in der Nacht jemanden gefunden hat, der ihn abholt". Das Transportunternehmen hatte Grzegorz W. bereits am Vorabend kontaktiert und eine Abholung für 5.30 Uhr arrangiert.

Am Abend vor seinem Tod rief Franz W. seinen Bruder an. Er stotterte, war aufgeregt, bekam keinen Satz zustande. Möglich, dass der Senior mitbekommen hatte, wie Grzegorz W. seine Abreise plante.

Dagmar W. weint und erzählt, dass ihr Schwager immer Angst hatte, beraubt oder umgebracht zu werden. Und am Ende will sie Grzegorz W. noch etwas fragen, aber das Gericht erlaubt es nicht. "Ich wollte nur wissen, warum er das gemacht hat", sagt sie später der SZ. "Franz hat ihm nichts getan. Und er war doch nur zwei Tage da."

© SZ vom 14.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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