Gewalt gegen Polizei:"Warum machen die das?"

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Immer mehr Polizeibeamte werden in München beleidigt, bespuckt, mit Gegenständen beworfen oder körperlich angegangen. Warum die Täter zuschlagen, ist oft schwer zu sagen. Aber eines belegt die Statistik: Alkohol spielt sehr oft eine Rolle.

Von Bernd Kastner, München

Der Polizist spricht von Angst. Wenn Dutzende Flaschen auf einen fliegen, dann dürfe man zugeben, dass man Angst spüre, sagt Jakob S., der an jenem Samstagabend Anfang Mai im Englischen Garten war, als die Gewalt eskalierte. Er ist Zugführer in einer Einsatzhundertschaft, die sich in einem Routineeinsatz unterhalb des Monopteros wähnte. Tausende Menschen waren da, es gab eine Schlägerei und den Verdacht auf ein Sexualdelikt. Reingehen in die Menge, reden, klären, beruhigen und festnehmen - das ist das Normale. Dann aber wurde es plötzlich sehr gefährlich. Das wird immer mehr zur neuen, beängstigenden Routine für die Polizei.

Jetzt sitzt Jakob S., der seinen Nachnamen aus der Öffentlichkeit raushalten will, im Medienzentrum des Präsidiums an der Ettstraße und berichtet, wie es ihm und seinen Kolleginnen und Kollegen erging. Sie hatten anfangs keine Helme auf dem Kopf, als sie einer "Front" von geschätzt 200 vorwiegend jungen Männern gegenüberstanden. Dutzende Flaschen flogen, ohne Grund, sagt S. Bei dem vermeintlichen Routineeinsatz wurden 19 Beamte leicht verletzt, sie hatten Glück.

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S. ist auch deshalb gekommen, um den Zahlen aus der Polizeistatistik ein Gesicht zu geben. Gut 3300 Münchner Beamtinnen und Beamten wurden im vergangenen Jahr durch physische und verbale Gewalt geschädigt. Das ist laut Präsidium ein Anstiegt von gut zehn Prozent zum Vorjahr. Gut 460 Polizisten wurden verletzt, das ist ein leichter Rückgang um fünf Prozent.

Der Abend im Englischen Garten und seine Folgen sind noch nicht in die Statistik eingeflossen. Umso mehr beschäftigt er nicht nur die Einsatzplaner, sondern auch Polizisten wie S., die im Flaschenhagel standen. "Fassungslosigkeit" spüre er immer noch, wenn er daran denke, wie junge Männer, mit denen die Polizei bis dahin nichts zu tun hatte, plötzlich angriffen. Nicht mit Plastikflaschen, sondern mit Bier, Wein- und Sektflaschen. "Warum?", fragt S. "Warum machen die das?" Seine Frage bleibt ohne Antwort.

Auch sein Chef, neben ihm sitzend, hat keine griffige Erklärung. "Schwierig" sei eine Antwort, sagt Polizeipräsident Thomas Hampel. Sicher sei nur, dass der Alkohol eine große Rolle spiele; mehr als jeder zweite Verdächtige im Jahr 2020 war alkoholisiert, deutlich mehr als in der Statistik der Gesamtkriminalität. Aber ansonsten? Von "falsch verstandener Zivilcourage" ist immer mal die Rede, wenn sich eigentlich unbeteiligte Beobachter in einen Polizeieinsatz einmischen, mal filmend, mal verbal oder tätlich.

Sicher dürfte nur sein, dass Gewalt gegen Einsatzkräfte stetig zunimmt, auch Sanitäter oder Feuerwehrleute sind betroffen, alles Menschen, die helfen wollen. Dass selbst 2020, als München wegen Corona lange ziemlich stillstand und viele konfliktträchtige Großveranstaltungen ausfielen, die Deliktzahlen weiter stiegen, sei "erschreckend", sagt Hampel. Aggressiv verhielten sich insbesondere Leute aus der Querdenker-Szene: Bei den zahlreichen Demos gegen die Corona-Politik werde die Polizei immer wieder angegangen, mitunter auch angespuckt - ein besonderes Einsatzrisiko in Pandemiezeiten.

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Beim Thema der Gewalt gegen Polizisten liegt vieles noch im Nebel, auch die Statistik liefert nicht immer eindeutige Antworten. So steigt zwar die Zahl der registrierten Delikte seit 2017 kontinuierlich, von knapp 1200 auf zuletzt 1476. Über zehn Jahre betrachtet aber ist, von leichten Wellen abgesehen, diese Zahl recht konstant. Ein gutes Zeichen, schließlich ist die Bevölkerungszahl gewachsen? Nicht wirklich, denn insgesamt geht die Kriminalität seit Jahren zurück - von Ausnahmen abgesehen.

Zur Unschärfe trägt die Konzeption der Statistik bei. Unter der Überschrift "Gewalt gegen Polizeibeamte" zählt die Polizei nicht allein Attacken wie im Englischen Garten, sondern auch "Beleidigungen". Diese Taten machen mit knapp 39 Prozent den größten Teil der "Gewalt"-Delikte aus, es folgen die tätlichen Angriffe (28,5 Prozent) und Widerstand gegen Polizisten (gut 22 Prozent). Warum wird eine gewöhnliche Beleidigung mit Körperverletzungen (knapp sieben Prozent) in einen Topf geworfen? Man wolle rüberbringen, sagt Hampel, dass auch Beleidigung eine Form von Gewalt sei, "verbale Gewalt" eben, und ebenfalls nicht tolerierbar.

Manche Zahlen aus der Statistik sind eindeutig: Unter den Verdächtigen sind gut 83 Prozent Männer; neun von zehn Verdächtigen waren polizeibekannt. Was aber bedeutet es, wenn Hampel beiläufig erwähnt, dass 60 Prozent der Verdächtigen deutsche Staatsbürger sind? Mit 40 Prozent sind Ausländer, die in Münchens Bevölkerung knapp 30 Prozent ausmachen, einerseits überrepräsentiert. Aber eben längst nicht so eindeutig, erklärt Hampels Sprecher, wie Rechtspopulisten wohl vermuten würden, und wie es in manch anderem Kriminalitätsbereichen sei.

So sehr die Ursachenforschung für die Gewalt gegen Polizisten am Anfang zu stehen scheint, eine Botschaft Hampels ist klar: Es könne immer und überall passieren. Nicht nur bei Einsätzen, sondern im Polizeialltag. So wie neulich, als ein junger Polizist - in Uniform auf dem Weg zur Arbeit - in einem U-Bahnhof angegriffen wurde, einfach so. Der Täter schlug ihm mehrfach mit der Faust ins Gesicht.

Jakob S., der Zugführer aus dem Englischen Garten, sagt über sein Gewalterlebnis: "Das beschäftigt einen schon sehr." Man höre immer, die Gewalt richte sich gegen den Staat. Es falle ihm aber schon schwer, da zu differenzieren, weil: "Der Staat" - das sind in solchen Fällen dann er und seine Kollegen. Da nehme er solche Flaschenwürfe schon irgendwie persönlich.

Präsident Hampel sagt: "In jeder Uniform steckt ein Mensch." Offenbar brauchen immer mehr Menschen diese Erinnerung.

© SZ vom 28.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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