"Skills Lab" der Evangelischen Pflegeakademie:Helena und der Horror-Raum

Lesezeit: 3 min

Simulationspuppe im Schlafanzug: An Helena können die Schülerinnen und Schüler praxisnah üben. (Foto: Stephan Rumpf)

In der Evangelischen Pflegeakademie können zukünftige Pflegefachkräfte in Simulationsräumen an High-Tech-Puppen praxisnah lernen. Das soll helfen, den Arbeitsalltag zu reflektieren - und Ängste abzubauen.

Von Nicole Graner

Helena liegt im Krankenhausbett. In einem schönen, bordeauxfarbenen Schlafanzug. Ein bisschen warm angezogen für die Sommertemperaturen draußen, doch Helena ist das egal. Sie ist ein Simulationspatient, eine High-Tech-Puppe, die sprechen kann. Und das tut sie dann auch: "Hallo", sagt sie. Etwas blechern, etwas künstlich.

Helena liegt im Skills Lab, so nennt sich der moderne Simulationsraum, den die Evangelische Pflegeakademie - eine von sechs Pflegeschulen in München - vergangene Woche eröffnet hat. 234 Schülerinnen und Schüler werden an der Berufsfachschule in Sendling, die zur "Hilfe im Alter GmbH" der Diakonie München gehört, zu Pflegefachkräften ausgebildet. Und sie alle werden Helena häufig Besuche abstatten, werden praxisnah lernen, wie man unter anderem Blutdruck misst, Herzdruckmassagen durchführt oder Katheter legt. Eine Kamera fängt alles ein, auf dem Bildschirm können die Pflegepädagogen alles verfolgen, Anweisungen geben und Helena sogar steuern.

Erhofft sich viel von Skills Lab: die stellvertretende Schulleiterin Antje Krömeke. (Foto: Stephan Rumpf)

Vier Settings hat die Schule nun zur Verfügung. In unterschiedlichen Räumen gibt es Betten im Bereich der stationären Akut- und Intensivpflege, der stationären Langzeit-Pflege, der Pädiatrie, also Kinder- und Säuglingspflege, sowie der ambulanten Pflege. Jeder Bereich ist entsprechend eingerichtet. Auf dem Nachttisch einer anderen Puppe ohne Namen steht ein Hochzeitsbild, und ein Bild der Angehörigen hängt an der Wand. Sie liegt im Bereich der Langzeit-Pflege. Alles soll so echt aussehen wie möglich. Die Realität ins Klassenzimmer holen, ist das Ziel.

Viel üben hilft und baut Ängste ab - auch im Bereich der Kinder- und Säuglingspflege. (Foto: Stephan Rumpf)

Im Februar 2021 hätten die Planungen für die neuen Räume begonnen, berichtet Dirk Spohd, Geschäftsführer der Hilfe im Alter GmbH. Und die Freude, dass die Stadt München das Skills Lab mit 150 000 Euro gefördert hat, ist groß. Denn er und die stellvertretende Schulleiterin, Antje Krömeke, sind überzeugt davon, dass sich mit den Simulationsräumen die Qualität der Ausbildung verbessern wird. "Die angehenden Pflegefachkräfte machen nicht nur praktische Erfahrungen, sondern sie lernen, sich besser wahrzunehmen, zu reflektieren", sagt Spohd. Und sie verlieren die Angst, von einem Tag auf den anderen plötzlich am realen Patienten zu arbeiten. In den Siebzigerjahren kam das Skills-Lab-Konzept in den USA auf. Über die Niederlande kam diese Förderung der Handlungskompetenz als Ausbildungsförderung nach Deutschland.

Überwachung am Bildschirm: Im Technikraum kann Pflegepädagoge Belmin Mesic genau sehen, was die Schülerinnen und Schüler machen - und via Mikrofon eingreifen. (Foto: Stephan Rumpf)

"Das ist sehr wichtig", sagt Lehrer Belmin Mesic, 33. Jeder könne sich jetzt bei Unterrichtseinheiten an den Puppen ausprobieren und, so sagt Mesic, der selbst an der Pflegeakademie Schüler war, "auch Fehler machen". Im Technikraum erklärt der Pflegepädagoge, wie eine Szenerie aussehen kann, die meistens nicht länger als fünf Minuten dauert. Dem Schüler wird die Situation des Patienten beziehungsweise Helenas Situation erklärt und er bekommt eine klare Aufgabe gestellt. Zum Beispiel, die Vitalfunktionen genau zu überprüfen.

Die Kamera nimmt die Szene auf, die Schüler im Klassenraum verfolgen sie auf der Leinwand. Der Lehrer im Technikraum kann Anweisungen geben, die Funktionen der Puppe steuern. "Manchmal", sagt der 33-Jährige, "ist die Situation dann doch eine andere." Plötzlich muss Helena intubiert werden. Akute Atemnot. Danach wird mit allen Schülern über die Szene gesprochen. Alle Daten gelangen übrigens nicht nach außen. Alles, was aufgenommen wird, dient nur zu Übungszwecken und wird wieder gelöscht.

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"Werde ich sterben", hört man durch das Mikrofon. Dieses Mal ist die Stimme echt. Eine Schülerin hat sich zu Demonstrationszwecken ins Krankenbett im Setting der akuten stationären Pflege gelegt, eine andere ist Pflegefachkraft und untersucht sie. Kopfweh hat die Patientin. Ihr ist schwindlig und sie hat ein Summen im Ohr. Der Blutdruck wird gemessen. Freundlich, aber bestimmt forscht die Pflegefachkraft. "Haben Sie ihre Tabletten auch genommen?", fragt sie irgendwann. "Oh, nein", sagt die Patientin.

Im "Horror-Raum" müssen die Schüler Fehlerquellen erkennen: Dieser Katheterbeutel hängt nicht richtig. Er müsste im Sitzen oder Liegen unterhalb der Harnblase hängen. (Foto: Stephan Rumpf)

Und es gibt noch einen Raum. Eine zusätzliche Einheit, die Lehrer und Schüler den "Horror-Raum" nennen. Hier ist bei dieser Übung so ziemlich alles falsch. Der Patient liegt in dreckiger Bettwäsche, eine Tablette, Handschuhe und Kanülen liegen auf dem Boden. Der Katheterbeutel hängt völlig falsch, und die Schale des Toilettenstuhls ist nicht geleert. "Urin ist in diesem Fall Apfelsaft", erklärt Lehrer Alois Geisperger und schmunzelt. Seit 2017 ist er an der Schule und hofft, dass die Auszubildenden am nächsten Tag auch alle Fehlerquellen erkennen.

Drei Jahre dauert die Ausbildung zur Pflegefachkraft. Helena und ihre Kollegen werden zukünftig auch in den Prüfungen eine Rolle spielen. Gerade werde überlegt, sagt Skills-Lab-Trainerin Gabriele Altherr, wie die Simulationseinheiten in die Prüfungsverordnung der Schule "gut integriert" werden.

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