Fachkräftemangel:Der Pflege-Nachwuchs sitzt in Mexiko fest

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In München fehlt das Personal in der Krankenpflege (Symbolbild). (Foto: dpa)

Viele neu angeworbene Pflegekräfte aus dem Ausland können zurzeit nicht nach München kommen, dabei würden sie in den Heimen gerade jetzt dringend gebraucht. Auch die Behörden in der Stadt tragen nicht zur schnellen Einstellung bei.

Von Julian Hans, München

Wäre alles nach Plan verlaufen, dann würden in den Einrichtungen von Münchenstift heute hundert Hände mehr mit anpacken. Betten machen, Senioren waschen und ankleiden, Medikamente ausgeben, mit den Bewohnern essen, mit ihnen sprechen und sie mit Aktivitäten herausfordern. Aber was ist im vergangenen Jahr schon so gelaufen, wie geplant? 50 vielversprechende Pflegekräfte hatte Münchenstift in Albanien und Tunesien angeworben. Menschen, die bereit waren, ihre Heimat zu verlassen, um in München Senioren zu pflegen.

Aber dann kam die Pandemie, Konsulate gaben keine Visa mehr aus, Sprachkurse wurden abgesagt, Grenzen geschlossen. Am Ende kam von den 50 nur eine Handvoll. Bei anderen Trägern sieht es nicht besser aus: Die Sozialservicegesellschaft des Bayerischen Roten Kreuzes hatte 50 Pflegerinnen und Pfleger aus Mexiko angeworben, die Caritas wartet auf Nachwuchs von den Philippinen. Ausgerechnet dann, wenn Pflegekräfte besonders dringend gebraucht werden, sind sie noch schwerer zu bekommen.

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Die Ausbildung in Deutschland kann den Bedarf schon seit Jahrzehnten nicht mehr decken. "Ohne Zuwanderung würde Pflege nicht mehr funktionieren", sagt Siegfried Benker, Geschäftsführer von Münchenstift. Die gemeinnützige Gesellschaft der Landeshauptstadt ist mit 100 Auszubildenden nach eigenen Angaben größter kommunaler Ausbilder in Deutschland. In ihren Einrichtungen arbeiten 1300 Menschen aus über 80 Nationen in der Altenpflege. Wenn die Zuwanderung stockt, geraten Gesundheitssystem und Altenpflege in Deutschland als erstes in Not.

Vor einem Jahr ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) in Kraft getreten. Es erlaubt qualifizierten Bewerbern aus Nicht-EU-Staaten, in Deutschland zu arbeiten. Doch gleichzeitig mit Inkrafttreten des Gesetzes brach im März 2020 die Pandemie aus. "Corona hat die Fachkräftezuwanderung nach Deutschland teilweise deutlich erschwert", sagt Anne Beck, Sprecherin der Agentur für Arbeit in München. Derweil bleibe "der Bedarf an qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland auch trotz Pandemie hoch".

Er habe ein Dreivierteljahr auf Mitarbeiter warten müssen, weil diese kein Visum bekamen, berichtet Benker. "Die Arbeitsverträge waren fertig, die Unterkünfte waren reserviert, aber die Leute konnten nicht kommen." Wenn Bewerber es doch nach München schafften, waren hier die Behörden überlastet. Für die Anerkennung der Ausbildung der Heimatstaaten ist die Regierung von Oberbayern zuständig. Mehr als 1500 Anträge im Jahr wurden dort vor der Pandemie bearbeitet. Außerdem muss die Ausländerbehörde im Kreisverwaltungsreferat die Aufenthaltstitel vergeben, damit ein Arbeitsvertrag geschlossen werden kann.

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Aber auch dort stockte die Bearbeitung. "Eine ganze Reihe von Mitarbeitern konnte hier nicht mit der Ausbildung beginnen, weil sie ihre Arbeitserlaubnis nicht rechtzeitig bekamen", sagt Benker. "Wir hatten große Probleme beim Erstellen der Dienstpläne, weil Mitarbeiter zwar da waren, aber nicht eingesetzt werden durften." Teilweise zahlte Benker den Mitarbeitern in spe Vorschüsse, damit sie in München überhaupt über die Runden kamen. Derweil war die Situation in den Heimen ohnehin schon angespannt, weil Pflegerinnen und Pfleger in Quarantäne mussten, nachdem sie mit Infizierten in Kontakt gekommen waren.

Der Behördenchef Thomas Böhle begründete die schleppende Bearbeitung von Anträgen in der Ausländerbehörde mit einer "Bugwelle", die sich während der mehrwöchigen Schließung des Kreisverwaltungsreferats im ersten Lockdown aufgestaut hatte. Diese sei inzwischen weitgehend abgebaut.

Trotzdem beklagen sich weiter Betroffene darüber, dass bei der Ausländerbehörde niemand zu erreichen sei, dass ihnen keine Ansprechpartner genannt werden und dass sie keine Termine bekommen können. Stephan Kesenheimer wirbt weltweit um Fachkräfte für die Pflege. Über das Online-Portal seiner Agentur edu.care erfasst er Bewerberinnen und Bewerber, organisiert deren Immigration und Weiterbildungen und vermittelt sie an Arbeitgeber im ganzen Bundesgebiet. Das FEG ist zwar ein Bundesgesetz, die Anträge müssen aber in den Regierungsbezirken bearbeitet werden. Nordrhein-Westfalen habe das gut gelöst, findet Kesenheimer. Statt Bezirkslösungen gibt es eine Zentralstelle für die Fachkräfteeinwanderung.

Wenn er dort einen Antrag für einen Bewerber stellt, bekommt er am selben Tag eine Mail mit Namen seines Ansprechpartners, Durchwahl und Aktenzeichen. "Einen Tag später kam eine Mail mit einer Liste der Unterlagen, die noch fehlten." Seitdem er die eingereicht hat, prüft die Behörde. Das könne aufgrund der komplizierten Verfahren und Vorschriften im Ausländerrecht schon zwei Monate dauern, sagt Kesenheimer. Von der Münchner Ausländerbehörde habe er derweil nur eine automatisierte Mail bekommen: Man befinde sich derzeit wegen Corona im "eingeschränkten öffentlichen Betrieb. Bitte sehen Sie von weiteren Sachstandsanfragen ab."

Nachdem eine Studie 2018 dramatische Lücken bei der Versorgung mit Pflegekräften in München aufgezeigt hatte, hat die Stadt eine auf drei Jahre angelegte "Pflegekampagne" gestartet. Eine Werbeagentur produzierte ein Image-Video für den Pflegeberuf, die Website pflege-in-muenchen.de ging online - beides ausschließlich in deutscher Sprache. Anfang 2020 wurde im Gesundheitsreferat eine Stelle angesiedelt, die Pflegekräfte aus dem Ausland bei ihrem Weg nach München beraten soll. Deren Internet-Auftritt ist immerhin zweisprachig. Wie viele Interessierte dort seitdem beraten wurden, kann das RGS nicht sagen. Auf Nachfrage teilt eine Sprecherin mit, die Anwerbung ausländischer Pflegekräfte sei aufgrund der Corona-Pandemie "ins Stocken geraten".

Im Dezember 2020 hat in Bayern ebenfalls eine Zentralstelle für die Einwanderung von Fachkräften ihre Arbeit aufgenommen - neun Monate nach Inkrafttreten des FEG. Seine ersten Erfahrungen mit der in Nürnberg angesiedelten Behörde seien positiv, sagt Stephan Kesenheimer. Schon nach zwölf Tagen habe ihn ein Mitarbeiter zurückgerufen.

© SZ vom 10.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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