Kreisverwaltungsreferat:"Gnadenloses Bürokratieversagen" in der Ausländerbehörde

Kreisverwaltungsreferat: Jeden Morgen warten viele Menschen auf dem Weg zur Ausländerbehörde vor dem Kreisverwaltungsreferat.

Jeden Morgen warten viele Menschen auf dem Weg zur Ausländerbehörde vor dem Kreisverwaltungsreferat.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wer ein Visum will, braucht in München momentan schier unendliche Geduld. Die Politik reagiert nun auf die Zustande bei der Verwaltung.

Von Julian Hans

Die Situation in der Ausländerbehörde des Kreisverwaltungsreferats beschäftigt jetzt die Parteien im Rathaus und den Oberbürgermeister. Die Fraktion aus FDP und Bayernpartei richtete am Donnerstag eine Anfrage mit elf Punkten an Dieter Reiter. Sie soll klären, wie es dazu kam, dass Anträge über ein halbes Jahr nicht bearbeitet wurden und niemand für Auskünfte erreichbar war, während sich schon vor dem Morgengrauen vor dem Notschalter in der Ruppertstraße lange Warteschlangen bildeten.

Die SZ hatte von jungen Wissenschaftlern berichtet, die ihre Aufenthaltstitel nicht rechtzeitig erhalten hatten und darum ihre Stellen an Münchner Forschungsinstituten nicht antreten konnten. Dozenten und Hochschulen befürchten, dass sich diese Erfahrungen herumsprechen könnten und der Ruf des Forschungsstandorts leidet. Anwälte kritisieren, dass die Ausländerbehörde ihre Schreiben monatelang ignoriere.

"Dass München, die Weltstadt mit Herz, hier ihren Markenkern aufgrund von gnadenlosem Bürokratieversagen zu verlieren droht, ist nicht hinnehmbar", heißt es in dem Schreiben von FDP und Bayernpartei an Oberbürgermeister Dieter Reiter. Die Fraktion möchte unter anderem wissen, wie viele Mitarbeiter der Behörde fehlen, was das KVR bisher getan hat, um die Missstände zu beheben, und was der Oberbürgermeister tun wird, "um für Fachkräfte akzeptable Bedingungen zu schaffen".

In der Vergangenheit hätten sich immer wieder Personen an ihn selbst und die FDP gewandt, weil sie Probleme mit der Ausländerbehörde hatten, erklärte der Fraktionsvorsitzende Jörg Hoffmann. Als Ursache vermutet er eine allgemeine Personalknappheit beim KVR, die sich in der Ausländerbehörde besonders stark auswirke. "Ich vermute, dass Ausländer die kleinste Lobby haben. Wenn sich Deutsche beklagen, passiert schneller etwas", sagte Hoffmann und fordert: "Wenn die Stadt lebenswert sein will und weltoffen, dann muss das flutschen".

Christian Vorländer, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende von SPD/Volt und Sprecher im Kreisverwaltungsausschuss, kündigte an, das Thema in dieser Woche in der Koalition zu besprechen. Außerdem plane er einen Besuch vor Ort, um sich einen Eindruck zu verschaffen, was verbessert werden könne. Der SPD-Stadtrat erklärte, seine Fraktion stehe in einem "intensiven Austausch" mit der KVR-Leitung.

Bei einem Ortstermin vor Beginn der Pandemie habe er den Eindruck gewonnen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Behörde mit großem Einsatz bei der Sache seien. "Ich habe große Wertschätzung für die Behördenleitung und die Mitarbeiter", sagte Vorländer. Die Herausforderungen durch den Corona-Lockdown seien in der Ausländerbehörde "außergewöhnlich hoch".

Die Arbeit habe sich im ersten Lockdown angestaut

Auch die Grünen wollen in den nächsten Monaten mit dem KVR erörtern, "woran es liegt und wie eine Verbesserung erreicht werden kann", kündigte Fraktions-Vize Dominik Krause an. Grundsätzlich habe man den Eindruck, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörde sehr bemüht seien. Aber München sei "eine Stadt, die von der Internationalität lebt, da dürfen solche Fälle nicht vorkommen".

Oberbürgermeister Dieter Reiter verwies auf eine Erklärung des Kreisverwaltungsreferenten Thomas Böhle vom Donnerstag und erklärte: "Unser Ziel ist es natürlich, lange Schlangen vor der Ausländerbehörde und allen anderen Ämtern zu vermeiden. Ich bin hierzu in engem Austausch mit meiner Behörde."

Der Behördenleiter Böhle hatte Bearbeitungszeiten von einem halben Jahr und mehr mit einer "Bugwelle" von Vorgängen aus der Zeit der siebenwöchigen Behördenschließung im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 begründet. Dass "in Einzelfällen Fehler passieren", sei "in hohem Maße unerfreulich", lasse sich "angesichts des großen Gesamtvolumens" aber leider nicht vermeiden, teilte Böhle am Freitag mit.

Alle geschilderten Beispiele seien in einer Ausnahmesituation entstanden. Der Rückstau aus dem ersten Lockdown sei auch im Dezember noch nicht abgearbeitet gewesen. "Inzwischen ist die Situation eine andere. Es muss sich niemand um drei Uhr morgens vor das Gebäude stellen, es muss auch kein Mensch stundenlang bei Minusgraden auf der Straße verbringen."

Der Migrationsbeirat bietet Unterstützung an

Bei der Bearbeitung der Rückstände würden "die verschiedenen Fallgestaltungen nach Dringlichkeit priorisiert", um Notsituationen nach Möglichkeit zu vermeiden oder so schnell wie möglich aufzulösen. "Die Ausländerbehörde ist sich der Eilbedürftigkeit im Zusammenhang mit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder dem Wechsel einer Arbeitsstelle selbstverständlich bewusst", beteuerte Böhle. Ihm zufolge sind derzeit im Bereich "Ausländische Studierende" vier von 22 Stellen nicht besetzt. Das "Service-Center für internationale Fachkräfte" sei mit etwa 30 Vollzeitstellen ausgestattet. Ob davon alle besetzt sind, ließ der KVR-Chef offen.

Die FDP hatte schon Anfang März eine ganz ähnliche Anfrage an den Oberbürgermeister gestellt, nachdem es in der Ausländerbehörde zu chaotischen Szenen gekommen war, als etwa 250 Studenten dort warten mussten. Und ein Arbeitskreis von Fachanwälten für Migrationsrecht hatte wegen der schlechten Erreichbarkeit und Verzögerungen bereits Anfang 2019 um ein Gespräch mit der Behördenleitung gebeten, das dann Ende 2019 stattfand. Beides vor dem Lockdown.

Derweil bot der Migrationsbeirat Unterstützung an, sollte es zu Problemen mit Behörden kommen. "Uns erreichen diesbezüglich fast täglich Anfragen mit der Bitte um Vermittlung", teilte die Vorsitzende Dimitrina Lang in einer E-Mail mit. "Unserer Erfahrung nach wurden die Anfragen, die wir an die Ausländerbehörde weitergeleitet haben, zeitnah, zuverlässig und sehr wohlwollend bearbeitet." Betroffene können sich unter der Nummer 233-92454 melden oder eine E-Mail an migrationsbeirat@muenchen.de schicken.

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