Erziehung:Inklusion von klein auf

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Im Spiel die Motorik schulen: Im neuen Kinderhaus der Stiftung Pfennigparade spielen gesunde und beeinträchtigte Kindern miteinander. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Kinderhaus der Pfennigparade im Prinz-Eugen-Park vereint erstmals einen klassischen Kindergarten und eine Heilpädagogische Tagesstätte unter einem Dach.

Von Ellen Draxel

Nora juchzt. Die Holzkugel, die sie in Richtung Korb geschubst hat, ist tatsächlich in ihr Ziel geplumpst. Jetzt sind Angelina, Bailey, Jakov und Alan an der Reihe. Auch Noras Freunde aus dem Kinderhaus der Stiftung Pfennigparade in Münchens Prinz-Eugen-Park haben Erfolg: Die Kugelbahn ist so konzipiert, dass jedes Kind mit ihr umgehen kann. Gleichgültig, ob es körperlich fit ist oder, wie Alan, motorische Einschränkungen hat. Dass die Kleinen im Moment des Spiels ihre Motorik schulen, merken sie gar nicht. So groß ist der Spaß, dass die fünf gar nicht mehr aufhören wollen. "Wir versuchen, die Förderung in das Alltagsgeschehen einzubauen", sagt Therapeutin Gabriella Gesztesi. "Das funktioniert sehr gut."

Die Kindertagesstätte an der Ruth-Drexel-Straße in Bogenhausen ist ein Modell in der Bildungslandschaft. Ein Projekt, angetreten, Barrieren niederzureißen - bauliche wie mentale: In dem Kinderhaus sind ein klassischer Kindergarten und eine Heilpädagogische Tagesstätte (HPT) unter einem Dach vereint. "Ein solches Zusammenspiel, wie wir es hier seit Herbst praktizieren, gibt es sonst nirgends", sagt die Geschäftsführerin des Bildungsbereichs der Stiftung Pfennigparade, Beate Höß-Zenker. Der Weg dahin allerdings war lang - und manchmal steinig.

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Dass Inklusion von klein auf gelebt werden muss, um im Erwachsenenalter zu einer Selbstverständlichkeit zu werden, wissen sie bei der Pfennigparade. Seit mehr als 70 Jahren begleitet das Unternehmen Menschen mit Körperbehinderung und anderen Beeinträchtigungen - mit dem Ziel der gesellschaftlichen Teilhabe. Doch das Umdenken muss auch auf kommunaler Ebene stattfinden. "Die Stadt hatte für diesen Standort eine normale Kita mit sieben Gruppen geplant. Wir haben dann unsere HPT-Räume dazugesellt", sagt Höß-Zenker.

Wasserbett und Sprudelsäule: Im Kinderhaus gibt es auch einen Raum zum Snoezelen, wo eine ruhige Atmosphäre Wohlbefinden erzeugen soll. (Foto: Stephan Rumpf)

Förderbereiche wie Werkraum, Forscherlabor und ein Raum mit Wasserbett und Sprudelsäule für Ruhe und Entspannung eingeschlossen. Allein die Zusage, zwischen beiden Bereichen Türen zu bekommen, habe aber "mindestens drei Monate" intensiver Debatten erfordert, sagt Höß-Zenker.

Zu erleben ist das unkomplizierte Miteinander dafür nun überall im Haus. In den Gruppenräumen der "Moosdrachen", "Kastanienkobolde" oder "Wurzelwichtel" zum Beispiel: Mit den Sprossenstühlen dort können sich auch Mädchen und Jungen selbständig fortbewegen, die sonst auf fremde Hilfe angewiesen wären. Oder im Forscherraum: Während Erikseld aus der HPT versucht, das Prinzip einer Waage zu verstehen, erkundet neben ihm Charlie die Textur von kinetischem Sand. Einträchtig sitzen die beiden nebeneinander.

Der ganzheitliche Ansatzes geht auf den ungarischen Arzt András Petö zurück

Möglich ist diese Harmonie dank des ganzheitlichen Ansatzes einer von dem ungarischen Arzt András Petö entwickelten Methode. Konduktive Förderung nennt sich diese Erziehung, mit der man bei der Pfennigparade seit Jahrzehnten gute Erfahrungen macht. Im Vordergrund steht dabei der Mensch, der wachsen und sich entwickeln kann - im Idealfall mit Unterstützung all seiner motorischen, aber auch sozialen, emotionalen, sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten.

Wie die sechsjährige Emma. Die Vorschülerin liegt auf einem Rollbrett und lacht. Aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung ist das Mädchen in seinen Bewegungen eingeschränkt, doch diese Cerebralparese bedeutet nicht, dass Emma sich nicht anstrengen will. Im Gegenteil: Mit Unterstützung einer Therapeutin stößt sie sich mit Händen und Füßen ab, um allein vorwärtszukommen. "Wir versuchen, die Kinder zu animieren, selbst etwas zu schaffen", erklärt Konduktorin Gesztesi.

Emmas Eltern sind denn auch "Feuer und Flamme" ob dieser Förderung. "Die Mitarbeiter helfen den Kindern mit einer Engelsgeduld", sagt Katharina Hartmann. "In einem integrativen Kindergarten wäre unsere Tochter total untergegangen, läge nur auf dem Boden oder wäre in einem Stuhl geparkt." Einfach weil dort die Betriebsmittel und das Personal für die Animation fehlten. Hier hingegen erledige sie die Therapie "ganz nebenbei" und genieße das fröhliche Spiel mit den anderen Kindern. "Das Schöne", sagt Kinderhausleiterin Lisa Mag, "ist die Selbstverständlichkeit, mit der alle bei uns miteinander umgehen. Die gesunden Kinder sehen das Handicap, den Rollstuhl oder den Helm zur Sturzprophylaxe ihrer Freunde gar nicht mehr."

Schade nur, dass mangels Personal lediglich fünf der neun möglichen Kindergartengruppen in Betrieb sind - trotz neuer und inklusiv ausgestatteter Räumlichkeiten. "Dabei ist es nicht so, dass die Leute nicht gerne zu uns kommen würden", sagt Bildungsbereich-Chefin Beate Höß-Zenker. "Es gibt nur viel zu wenige." Wer Interesse hat: Bewerber müssen keine heilpädagogischen Vorkenntnisse vorweisen, die Fortbildung übernimmt die Pfennigparade.

Bislang, resümiert Höß-Zenker, sei das inklusive Miteinander noch kein selbstverständlicher Weg. "Deshalb sehen wir es jetzt als unsere Aufgabe an, eine Inklusive Kinderpflegeschule aufbauen." Das nächste, innovative Projekt.

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