Hochhaus-Debatte:"Wie man mit Vierkantbolzen den Blick zerstören kann"

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Eine Ausstellung beschäftigt sich mit Hochhäusern in Neuhausen - und greift damit die hochpolitische Debatte über die geplanten Zwillingstürme auf dem Areal der Paketposthalle auf.

Von Lea Hruschka, Neuhausen

Wolfgang Czisch zeigt auf eine Aufnahme des Fotografen Heinz Gebhardt. Sie zeigt das Alpenpanorama, vor dessen Kulisse sich München aufbaut. Czischs Finger landet auf dem Olympiadach. "Was man eigentlich mit moderner Architektur machen kann", schwärmt er. Sein Finger wandert weiter zum O₂-Tower, der aus der flachen Silhouette Münchens herausragt. Czisch, Mitglied des Münchner Forums, urteilt: "Wie man mit Vierkantbolzen den Blick zerstören kann."

Er steht zusammen mit Ingeborg Staudenmeyer, der Vorsitzenden des Stadtteilkulturvereins Neuhauen-Nymphenburg, im Bistro des "Trafo 2", des nagelneuen Kultur- und Bürgerzentrums an der Nymphenburger Straße 171a. Um die beiden herum hängen Fotografien, die die Brücke vom ersten Hochhaus in Neuhausen hin zu den geplanten 155 Meter hohen Zwillingstürmen auf dem Areal der Paketposthalle an der Friedenheimer Brücke schlagen.

Die erste Ausstellung im neuen Kultur- und Bürgerzentrum, die von diesem Donnerstag, 9. September, an zwei Wochen lang zu sehen sein wird, stürzt sich damit in die hochpolitische Debatte rund um die Pläne des Projektentwicklers Ralf Büschl. Stadtteilkulturverein und Münchner Forum positionieren sich klar gegen neue Hochhäuser für München.

Gründe für ihre Abneigung können die Ausstellungsinitiatoren zuhauf aufzählen. Czisch stört die "Unverschämtheit", zwei so hohe Türme zu planen, nachdem ein Bürgerentscheid im Jahr 2004 Häuser mit einer Höhe von mehr als 100 Metern abgelehnt hatte. "Zu behaupten, dass das nicht stört", setzt er an und schüttelt den Kopf. Münchens Nähe zu den Alpen sollte weiter herausgearbeitet werden und nicht durch Hochhäuser zerstört werden, so Czisch. Die Ausstellung nehme jedoch nicht alleine die Ästhetik in den Fokus, betont er, sondern auch die Frage der sozialen Gerechtigkeit. Denn die Türme hätten "keine Sinnstiftung", so wie Frauenkirche oder Olympiagelände. Die elementare Frage laute: "Wer beherrscht die Stadt?"

Die geplanten Hochhäuser an der Friedenheimer Brücke sind ein Politikum. Für Kritiker geht es auch um die Frage: "Wer beherrscht die Stadt?" (Simulation: Herzog de Meuron / Stand Juni 2021) (Foto: Herzog de Meuron)

Die 1100 Wohnungen und die Büros für 3000 neue Arbeitsplätze, die die Hochhäuser schafften, finden in der Stadtgesellschaft aber auch Zustimmung. Beispielsweise befürwortet die Mehrheit der Mitglieder des Bezirksausschusses (BA) Neuhausen-Nymphenburg den geplanten Mix aus Büro, Wohnen, Hotel und Gastronomie.

Wie das Areal an der Paketposthalle letztendlich bebaut wird, entscheidet der Stadtrat. Zuvor soll ein Bürgergutachten zu den strittigen Fragen Stellung nehmen. Die Gutachter sind 100 zufällig ausgewählten Münchnerinnen und Münchnern, die in vier Planungszellen diskutieren. Die ersten Treffen dafür sollen im Oktober stattfinden, sodass das Gutachten im Dezember vorliegt.

Diese zufällige Auswahl von Bürgerinnen und Bürgern aus ganz München kritisiert Ingeborg Staudenmeyer. Immer wieder betont sie, dass es die Neuhauser seien, die am Ende mit den Türmen und ihren Auswirkungen leben müssten, wie dem Schatten, den die Hochhäuser werfen, und dem Verkehr, den sie auf der Friedenheimer Brücke und der Arnulfstraße anziehen werden. Deshalb sollten die Stadtviertelbewohner nach Ansicht Staudenmeyers auch mehr Mitspracherecht erhalten als jemand aus Bogenhausen. "Die Möglichkeit, ein Votum abzugeben", wünscht sich Staudenmeyer für alle Neuhauser.

Der Ort der Fotografie-Ausstellung im neuen Kultur- und Bürgerzentrum im Herzen Neuhausens sei passend gewählt, betont die Vereinsvorsitzende. Das Ziel sei, ein Problembewusstsein zu schaffen, damit es eine breite Bürgerbeteiligung gebe. "Ich hoffe, dass die Leute ein Bild vom Ganzen bekommen. Pläne schauen immer gut aus, aber man muss auch das Menschliche und das Außenrum in Betracht ziehen."

Zur Meinungsbildung über die Zwillingstürme soll auch die erste öffentliche Veranstaltung im "Trafo 2" beitragen. Am Mittwoch, 15. September, werden von 18 Uhr an Stadtplaner Dierk Brandt und die BA-Vorsitzende Anna Hanusch (Grüne) im Saal des Kultur- und Bildungszentrums über das Pro und Contra der Türme diskutieren. Die Moderation übernimmt Hilmar Sturm, der sich viel mit Bürgergutachten beschäftigt. Eine Anmeldung zur Podiumsdiskussion ist nicht notwendig. Es gilt die 3-G-Regel.

Einen allgemeineren Blick auf die Stadtbebauung wird der "Jugend forscht"-Preisträger Nikolas vom Scheid bei einem Workshop für Schüler am Dienstag, 21. September, werfen. Von 17 Uhr an stellt der 15-Jährige sein Programm zur Berechnung des ökologischen Fußabdrucks von Gebäuden vor.

Damit wagen Staudenmayer und Czisch den Blick auf das große Ganze. Denn die beiden Türme in Neuhausen sind nicht die einzigen Hochhäuser, die München aus Sicht der beiden drohen. Wolfgang Czisch zieht einen Stadtplan aus seinem Rucksack, der die erlaubten Hochhaushöhen je nach Stadtbereich zeigt. "Wir werden alles tun, dagegen vorzugehen." Mit Blick auf die Fotos an der Wand sagt er: "Hier fangen wir an."

© SZ vom 09.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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