SZ-Serie: München natürlich:Die krabbelnden Götterboten

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In der Allacher Lohe soll nächstes Jahr eine Hirschkäferwiege entstehen. Damit soll die Art geschützt werden - denn eigentlich galt sie bereits als ausgestorben.

Von Thomas Anlauf

Sie sind wohl die letzten ihrer Art in München. Genau dort, wo ein zweiter Autobahntunnel durch Allach gebaut werden soll, hat ein vom Bund Naturschutz beauftragter Gutachter nachgewiesen, dass noch die größten Käfer Europas leben. In der Stammhöhle einer alten Eiche fanden sich Reste von Hirschkäfern. Sie galten in München als ausgestorben. Genau drei Jahrzehnte ist es her, dass in der Stadt zuletzt ein Hirschkäfer entdeckt wurde.

Die Lebensbedingungen für den "König der Käfer", wie ihn Naturschützer liebevoll nennen, haben sich seit damals nicht verbessert. Große Teile des einstigen Münchner Lohwaldgürtels im Münchner Nordwesten sind gerodet worden. Nur noch ein etwa eineinhalb Quadratkilometer großer Rest des Allacher Naturschutzgebiets ist übrig. "Es ist erstaunlich, dass wir den Hirschkäfer dort überhaupt gefunden haben", sagt Rudolf Nützel. Der Diplom-Forstwirt und Geschäftsführer des Bund Naturschutz in München beklagt, dass vor allem alte Bäume immer wieder aus Sicherheitsgründen gefällt werden anstatt sie zu erhalten. "Dabei bevorzugt der Hirschkäfer vor allem Eichen, die noch aus der Zeit von Napoleon stammen", so Nützel. Noch gibt es einige sehr alte Bäume in der Allacher Lohe, manche sind sogar mehr als dreihundert Jahre alt. Dort verbringen neben vielen anderen Tierarten die Hirschkäfer ihre verschiedenen, durchaus bemerkenswerten Lebensstadien.

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Am Zaun im Forstenrieder Park kommt es oft zu spannenden Begegnungen: Drinnen leben die Münchner Wildschweine, draußen die wilde Rotte. Ein Besuch.

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Als Käfer, deren Männchen die markanten mächtigen "Geweihe" tragen, sind sie nur wenige Wochen im Jahr zu bewundern. Die mit 3,5 bis acht Zentimeter großen Männchen sind meist zwischen Mitte Mai und Ende Juli aktiv, die letzten Weibchen eines Jahrgangs leben bis nun im Spätsommer. Wenn die Tiere ihr Leben als Larve im Untergrund hinter sich lassen und ausfliegen, beginnt eine hektische Zeit: Die Männchen führen auf Eichenästen Gefechte mit anderen Artgenossen und versuchen, die Konkurrenten mit ihren riesigen Oberkiefern (Mandibeln) entweder auf den Rücken zu werfen oder gleich vom Baum zu schubsen. Gleichzeitig locken die kleineren Weibchen mit Sexualduftstoffen, den Pheromonen, ihre potenziellen Partner an.

Haben sich schließlich zwei gefunden, ist das Männchen ganz auf seine Partnerin angewiesen. Denn das "Geweih" des Hirschkäfers ist bis auf die Rangeleien mit den Rivalen ziemlich nutzlos - sieht man davon ab, dass sie neugierige Menschen in die Finger zwicken können. Die Nahrung beschafft fortan vor allem das Weibchen. Ihre kleineren Oberkiefer sind ziemlich kräftig und dienen als Werkzeug, um unter der Baumrinde an den Saft der Bäume zu gelangen. Den Rest ihrer kurzen Sommerliebe verbringen die Beiden also hauptsächlich damit, an den sogenannten Leckstellen zu schlürfen. Das Weibchen hat jedoch noch eine wichtige Aufgabe: Nach der Paarung gräbt es sich bis zu 75 Zentimeter in den Boden an die Wurzeln von morschen Bäumen und legt dort Dutzende Eier ab.

Daraus schlüpfen nach etwa zwei Wochen ziemlich grotesk aussehende Larven, die sogar größer als ihre längst verblichenen Eltern werden können. Sie wühlen sich durch den Mulm der Bäume, zerfallenes Totholz. Zwischen drei und acht Jahren leben die Larven in ihrem Dämmerreich, bis sie sich eines Tages zu einem faustgroßen Kokon verpuppen. Nach sechs Wochen schlüpfen schließlich die Käfer, überwintern allerdings noch im Erdreich und wühlen sich im Frühjahr ans Tageslicht.

Ganz ungefährlich ist das Leben im Untergrund nicht. Neben Wildschweinen und Mäusen, die nach den Larven und Puppen wühlen, galten die fetten Larven schon auch Menschen zu Zeiten der alten Römer als willkommene Mahlzeit. Die Hirschkäfer hatten übrigens schon vor Jahrtausenden einen göttlichen Ruf. Lucanus cervus, wie der Waldbewohner auf Latein heißt, wird gelegentlich auch als Donnergugi bezeichnet, was auf den Namen Donar zurückzuführen ist, die althochdeutsche Bezeichnung für den Donnergott Thor.

Für den krabbelnden Götterboten mit seinem Geweih will der Bund Naturschutz nun eine Art Kinderstube bieten. In der Allacher Lohe soll im kommenden Frühjahr aus im Boden vergrabenen Eichenstämmen eine sogenannte Hirschkäferwiege entstehen. Dann könnten die streng geschützten seltenen Insekten wieder ausschwärmen wie zu der Zeit, als der Waldgürtel im Münchner Nordwesten noch groß und wild war.

© SZ vom 26.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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