SZ-Serie: München natürlich:So eine Sau

Lesezeit: 3 min

Das Schwarzwild gilt als besonders intelligent, robust und anpassungsfähig. Und die Tiere fressen alles, was ihnen vor den Rüssel kommt. (Foto: Bayerische Staatsforsten)

Am Zaun im Forstenrieder Park kommt es oft zu spannenden Begegnungen: Drinnen leben die Münchner Wildschweine, draußen die wilde Rotte. Ein Besuch.

Von Thomas Anlauf

Manchmal treffen sie sich, die von draußen und die von drinnen. Es müssen spannende Begegnungen sein, wenn sie an dem langen Zaun stehen und sich gegenüberstehen. Drinnen, das sind die Wildschweine vom Forstenrieder Park, die dort schon seit Jahrhunderten isoliert von den Artgenossen leben. Draußen steht die wilde Rotte, sie ist aus den westlichen Wäldern eingewandert. Und plötzlich ist da dieser Zaun, an dem es nicht mehr weitergeht. Doch dahinter riecht es auch nach Wildschwein. "Es kommt vor, dass die, die drin sind, versuchen rauszukommen - und umgekehrt", sagt Wilhelm Seerieder, der Herr der Münchner Wildschweine.

Der Leiter der Forstbetriebe kennt die Schweine ziemlich gut, er arbeitet mit seinem Team seit 15 Jahren in den staatlichen Wäldern im Münchner Süden. Seitdem er den Job übernommen hat, wächst die Zahl der Wildschweine an. "Über die letzten fünf Jahre breitet sich das Schwarzwild hier schon stark aus", sagt Seerieder. Die Schweine kommen aus dem Westen. Erst vermehrten sie sich fast explosionsartig im Großraum Augsburg, wenige Jahre später zogen viele weiter über die Wälder bei Landsberg, dann tauchten sie im Schöngeisinger Forst im Landkreis Fürstenfeldbruck und weiter südlich im Kerschlacher Forst zwischen Ammer- und Starnberger See auf.

SZ PlusMensch und Natur
:Was tun mit "Elsa", der Berliner Wildsau?

Die jüngsten Wildschweinangriffe in Deutschland sind weltweit ein großes Thema. Das könnte an der Berliner Bache "Elsa" liegen, am nackten Mann mit Laptop oder der Gewalt gegen ein Meerschwein an der Ostsee. Eine Spurensuche.

Von Martin Zips

Vor einigen Jahren trieben sich bereits vereinzelt Wildschweine in Großhadern und Fürstenried mitten auf der Straße herum, eine Frau wurde angegriffen und verletzt. Späher waren das, weiß Seerieder, sie wollten die Gegend erkunden. Aber die Vorgärten im Münchner Südwesten waren offenbar doch nicht das Richtige für die schwäbischen Schweine. Sie zogen sich in die nahen Wälder zurück und rückten dort weiter vor. Bis sie vorläufig an ihre Grenzen stießen: die Garmischer und die Salzburger Autobahn und den Zaun um den Forstenrieder Park.

Dort finden Seerieder und seine Förster immer wieder Löcher in der Absperrung. Mal brechen die Wildschweine in das weitläufige Waldstück ein, mal brechen welche aus und suchen die Freiheit in der vermeintlichen Wildnis jenseits des Zauns.

Es sind extrem schlaue Tiere. Sie wissen, wenn ein Förster zur regelmäßigen Maisfütterung kommt und wann er auf sie Jagd machen will. "Die Bejagung ist sehr anspruchsvoll", sagt Seerieder. Die Tiere sind im weitläufigen Park mit seinen alten Eichenbeständen zwar relativ zutraulich und akzeptieren es meist, wenn Menschen in der Nähe sind.

Nur Hunde sollten Besucher möglichst nicht in den Park mitnehmen. Im vergangenen Jahr wurden drei Hunde von angreifenden Wildschweinen schwer verletzt. Wenn ihnen der Jäger nachstellt, tauchen sie aber lieber ins Unterholz ab. Trotzdem werden im Park jährlich zwischen einhundert und zweihundert Tiere erlegt, um den regulären Bestand von etwa einhundert Wildschweinen zu halten. Wildschweine können theoretisch das ganze Jahr über Nachwuchs bekommen, angesichts des Klimawandels fühlen sich die Tiere, die wegen der Kälte im Winter ungern im Gebirge leben, im Umkreis der aufgeheizten Stadt wohl.

Wilhelm Seerieder ist der Herr der Münchner Wildschweine. (Foto: Catherina Hess)

Normalerweise bekommen Bachen sechs Junge, das können aber auch durchaus mal doppelt so viele sein im Jahr. Doch viele sterben bald nach der Geburt, vor allem bei Kälte. "Die können am Anfang ihren Wärmehaushalt schlecht regulieren", sagt Seerieder, jeder zweite Frischling stirbt. Wenn sie aber die Kinderstube gut überlebt haben, sind Wildschweine nahezu unverwüstlich.

Denn sie gelten nicht nur als besonders intelligent, sondern auch als robust und anpassungsfähig. Eigentlich fressen sie alles, was ihnen vor den Rüssel kommt. Im vergangenen Jahr gab es viele Eicheln, es war ein sogenanntes Eichelmastjahr. Da futterten sich die Schweine vor allem mit den Nüssen einen Wanst für den Winter an. Es kann allerdings auch passieren, dass sie kleine Rehkitze fressen. "Die sind da Opportunisten", sagt Seerieder. Gefressen wird, was leicht zu haben ist. Er hat sogar ein Indiz dafür, dass die Münchner Wildschweine relativ häufig kleine Rehe reißen. "Wir schießen im Forstenrieder Park durchschnittlich 1,5 Rehkitze pro Jahr." Das sei die mit Abstand niedrigste Quote weit und breit. Absolute Zahlen, wie viele kleine Rehe von Schweinen gefressen werden, hat Seerieder allerdings nicht parat. Er ist schließlich Jäger und betrachtet die Angelegenheit, nun ja, von einer etwas anderen Warte aus.

Die erlegten Wildschweine und Rehe verkauften die Forstbetriebe übrigens direkt in dem stattlichen Haus an der Forstenrieder Allee 182 in Solln, Mitte September geht der Verkauf wieder los. Der Direktverkauf im "Wild-Stadl" an Wirte und Privatleute habe sich in den vergangenen Jahren herumgesprochen.

Normalerweise seien die Tiere auch nicht mehr so stark radioaktiv belastet wie nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986. Nur wenn sich die Wildschweine im Park mal vorzugsweise von frischen Schwammerln ernähren, kann die Strahlenbelastung von Radiocäsium deutlich steigen.

Natürlich können die Tiere auch lebend im Forstenrieder Park bei einem Spaziergang betrachtet werden. Allerdings muss man dazu früh aufstehen. Gegen 5 Uhr früh füttert der Jäger die Wildschweine nahe Unterdill mit Mais. Wer sie nicht zu Gesicht bekommt, wird mit Glück Spuren von ihnen finden: entweder in Kuhlen, in denen sie sich suhlen, oder an sogenannten Malbäumen, an denen sie sich scheuern und ihr borstiges Fell von lästigen Insekten befreien. So ein Wildschwein ist schließlich ziemlich reinlich.

Die bisher erschienenen Folgen der Serie finden Sie unter sz.de/natuerlich

© SZ vom 24.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ-Serie: München natürlich
:Familienstress in der Biberburg

Die Nachwuchsnager müssen sich im Frühjahr ein neues Zuhause suchen - doch in München herrscht Wohnungsnot.

Von Thomas Anlauf

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: