Biotopia Museum:Der Bildungsauftrag der Museen wird wichtiger

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Gerhard Haszprunar sagt, er hätte es lieber gesehen, "alle naturkundlichen Disziplinen vereint zu sehen. Sie begreifen die Evolution nicht ohne Fossilien." Haszprunar ist Generaldirektor aller Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen und ein renommierter Zoologe - an seiner Staatssammlung laufen international hochrangige Forschungen wie das Barcoding-Projekt, einer Art genetischer Bibliothek der Fauna in Bayern. Der gebürtige Österreicher hat auch etwas von einem Universalgelehrten, der seine Leidenschaft für die Schöpfung gerne mit Menschen außerhalb des akademischen Elfenbeinturms teilt.

Aber auch Haszprunar weiß, dass Museen weltweit vor der Frage stehen: Wie lockt man junge Besucher an, die das Weltwissen im Smartphone mit sich herumtragen? Kann sie ein baumhohes Dinoskelett überhaupt noch beeindrucken? Braucht es ein Dutzend Schädelformen, um Darwins Evolutionstheorie zu verstehen?

"Es reicht längst nicht mehr zu sagen: Schaut her, wir zeigen euch unsere schönen Tiere und Pflanzen, wie das im 19. Jahrhundert der Fall war", sagt er. Je dringender die Umweltprobleme, desto größer sei der Bildungsauftrag nicht nur für Schulen, sondern auch für Museen. "Wir müssen die Menschen beteiligen." Andererseits bestätigten Umfragen immer wieder: "Die Besucher sind fasziniert von Originalen, das gilt für die Mona Lisa ebenso wie für den Tyrannosaurus-Rex." Auch eine gewisse Systematik hält er für wichtig. "Wenn Abiturienten nur mehr vier Vogelarten kennen. Woher sollen sie dann wissen, dass es viel mehr gibt und dass man sie schützen muss?"

Gorman sieht das ähnlich. Er setzt allerdings mehr auf Projekte wie Dawn Chorus: Bürger waren in diesem Frühling aufgerufen, Vogelstimmen mit dem Handy aufzunehmen und auf eine Website hochzuladen. Mehr als 3500 Menschen machten mit - und hörten zum ersten Mal ganz bewusst auf das vielstimmige morgendliche Konzert vor ihren Fenstern. Das Max-Planck-Institut für Ornithologie will die Daten auswerten. Die Aktion wurde von der UN-Dekade Biologische Vielfalt ausgezeichnet.

Gorman weiß sich im Einklang mit Kollegen der berühmtesten Naturkundemuseen in London, Washington, New York. Sie alle denken gerade über neue Konzepte nach. Das Berliner Naturkundemuseum wird derzeit für 660 Millionen Euro renoviert. "Biotopia kann mit seinem neuen Ansatz eine Vorreiterrolle in der öffentlichen Auseinandersetzung mit den Biowissenschaften übernehmen", sagt dessen Generaldirektor Johannes Vogel.

Neben Gorman ist es vor allem Auguste von Bayern, selbst promovierte Biologin und Expertin für das Verhalten von Krähen, die Biotopia mit Leidenschaft voranbringt. Sie leitet den Förderkreis, sammelt unermüdlich Spenden für das neue Museum und ist bei den meisten öffentlichen Terminen dabei. Die Welt soll auf Biotopia blicken, sagt sie. Fast zehn Millionen Euro hat der Förderkreis nach eigener Aussage bis heute eingesammelt. Allein der Pharmakonzern Merck spendete mehr als eine Million Euro, die Baywa-Stiftung 800 000 Euro. Dafür werden sie dann auch an prominenter Stelle genannt. Das Kuratorium des Vereins leitet Augustes Bruder, Ludwig von Bayern.

Im September soll in den Räumen des Botanischen Instituts ein Laboratorium eröffnet werden, als Übergangslösung für die Zeit ohne Museum. Im ersten Jahr wird sich dort alles um das Thema Essen drehen. Es gibt Mikroskope, eine Küche zum Experimentieren, und "mit freundlicher Unterstützung der Postcode Lotterie" konnten Hochbeete im Botanischen Garten angelegt werden, erfährt man auf der Homepage.

Wo der Staat nicht genügend Mittel für Kultur zur Verfügung hat, werden Mäzene zunehmend wichtig. Eine inhaltliche Einflussnahme, sagt Auguste von Bayern, sei damit aber auf keinen Fall verbunden. Randolf Rodenstock, ihr Stellvertreter im Förderkreis, sieht in dem Engagement für das neue Museum einen weiteren Grund, nämlich "den gravierenden Engpass an Nachwuchs in den naturwissenschaftlichen Disziplinen für die bayerischen Unternehmen mittelfristig zu verkleinern". Klimawandel, Ernährung, Gesundheit, Ressourcenknappheit, Gentechnik seien Herausforderungen, zu deren Bewältigung Unternehmen einen entscheidenden Beitrag leisten können, schreibt er in seinem Statement.

Michael John Gorman geht es auch um die Verbindung von Wissenschaft und Kunst. Er hat in Dublin die Science Gallery gegründet, die allerdings kein Museum ist, sondern eine Spielwiese für Experimente rund um Naturwissenschaften und Technologie. In München sah sich der Physiker und Philosoph vor größere Aufgaben gestellt. Er muss seit seinem Antritt 2015 ein Museum planen, einen Lehrstuhl an der LMU für Life Sciences in Society leiten, sich mit Anwohnern herumschlagen und die unterschiedlichen Interessensgruppen bei der Ausgestaltung von Biotopia befrieden. Keine leichte Aufgabe für den 48-jährigen Iren, der mit seiner Familie nach Bayern zog und in Windeseile perfekt Deutsch lernte. Es scheint ihn aber nicht zu stören. Er ist ständig auf der Suche nach neuen Ideen. "Wir leben in einer Zeit, in der die Dramatik von Artensterben, Klimawandel oder Plastikverschmutzung allen bewusst wird. Wir müssen auch als Museum schneller auf diese Probleme reagieren."

Zwei Festivals haben bisher angedeutet, wohin die Reise geht. "Hautnah" hieß das erste, da konnte man sich einen Tausendfüßler über die Hand krabbeln lassen. Designer, die aus Algen Leder machen, waren eingeladen und Forscher, die künstliche Spinnenseide züchten, und eine Modenschau gab es auch. Beim "Eat"-Festival lernte man Tricks fleischfressender Pflanzen, wie der Geschmackssinn bei Vögeln funktioniert und was die Leibspeise der eiszeitlichen Höhlenbären war. Man konnte geröstete Grillen probieren und Kunstfleisch-Burger. Das Interesse war groß.

"Wir wollen die Menschen durch Perspektivwechsel dazu bringen, Empathie zu entwickeln", sagt Gorman. Mit Helmen, zum Beispiel, die das eigene Blickfeld auf das einer Maus reduzieren. Oder mit einer Virtual-Reality-Brille auf dem Kopf, mit der man sich in einen schwingenden Simulator legt, um wie ein Vogel durch die Luft zu schweben. Oder man schnallt sich Prothesen an die Arme wie der britische Designer Thomas Thwaites, der auf allen Vieren über eine Alm lief und mit Ziegen graste. "Urlaub vom Menschsein" nannte er sein Projekt. Zum Schutz vor seinen Mitziegen trug er allerdings einen Helm, und statt im Freien zu schlafen, zog er sich nachts lieber in ein Zelt zurück. Vielleicht hätte ein Hirte da mehr zu sagen. Aber ein Festival ist ein Festival und kein Museum. Es soll neugierig machen auf Wissenschaft und zum Wiederkommen animieren. Wenn das auch im späteren Museum gelingt, umso besser.

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