Prozess gegen Messerstecher:"Wie in einem schlechten Horrorfilm"

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Ein Mann ist im vergangenen Frühjahr nach einer Messerstecherei in einem Hostel gestorben. (Foto: dpa)

Von einem Messerstecher verfolgt und schwer verletzt: Daniel B. berichtet vor Gericht, was ihm am Ostermontag vor einem Jahr in einem Hostel widerfuhr.

Von Susi Wimmer

Gerichtssaal BZ 64 liegt im Untergeschoss des Justizzentrums an der Nymphenburger Straße, und über dem ohnehin trostlosen und unterkühlten Raum liegt an diesem Nachmittag Trauer und Verzweiflung. Es sind Opfer und Hinterbliebene des sinnlosen Messermassakers geladen, das der 23 Jahre alte Romuald D. am Ostermontag vor einem Jahr in ein Hostel an der Arnulfstraße angerichtet hatte. Der 61 Jahre alte Joachim L. erlag noch am selben Tag seinen schweren Verletzungen. Daniel B., 32 Jahre alt, erzählt vor dem Landgericht München I, wie er blutend "wie in einem schlechten Horrorfilm" durch das Hostel um sein Leben rannte, ihm dicht auf den Fersen der immer wieder zustechende und grinsende Romuald D.

"Ich habe noch nie darüber gesprochen, ich tue es heute zum ersten Mal. Dann werde ich niemals wieder darüber sprechen. Ich möchte das abschließen." Daniel B. fällt es sichtlich schwer, das Geschehene abzurufen, er zögert, stockt, windet sich unruhig auf dem Zeugenstuhl. Die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl stellt zur Auflockerung allgemeine Fragen, und der blonde Mann beginnt zu erzählen. Dass er seit dem Sommer 2018 als Anlagenmechaniker "beim Bau von vier Türmen am Vogelweideplatz" tätig war, und ab und an am Wochenende nach Berlin heimfuhr. "Ich hab auch längere Zeit in einer Ferienwohnung in Grafing gewohnt", sagt er. Aber zu Messezeiten oder bei Festen seien in München die Mietpreise so angestiegen, dass er immer wieder ins Hostel an der Arnulfstraße wechselte. "Aber sogar dort zahlen sie während des Oktoberfestes 200 Euro für eine Nacht im Mehrbettzimmer."

Prozess
:"Break him, break him"

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Von Susi Wimmer

Am 22. April 2019 checkte B. erneut an der Arnulfstraße ein. Er wusste, dass seine Bekannten, der Ingenieur Joachim L. und Dauergast Heino S., ebenfalls dort weilten und man teilte sich ein Vierbettzimmer. Schon beim Einräumen seiner Sachen, sagt Daniel B., sei ihm im Eingangsbereich Romuald D. aufgefallen. Dieser habe nur unfreundlich Platz gemacht und sich gestört gefühlt. "Er verhielt sich auf dem Zimmer unfreundlich und unsozial", erzählt Daniel B. Insgesamt habe er "höchstens fünf Minuten" mit dem Franzosen zu tun gehabt. Einmal lagen Sachen von D. auf seinem Bett, die habe er weggeräumt, einmal habe er einen Disput zwischen Romuald D. und Heino S. bemerkt. "Aber wir hatten keinen Streit", sagt er, "für mich war das nicht der Rede wert."

Romuald D. sagte vor Gericht, er sei kein geselliger Mensch, andere Menschen interessierten ihn nicht. Er habe keine Freunde, hatte nie eine Freundin. Und er behauptete, von Dämonen verfolgt zu werden, zu halluzinieren. An jenem Tag habe ihm eine Stimme stundenlang befohlen, Daniel B. zu töten.

Daniel B. stand gerade im Bad und putzte sich die Zähne, als der Mitbewohner kam und ihn mit beiden Händen umarmte. "Er wollte irgendetwas klären, für mich war da nichts und ich sagte so etwas wie ,alles okay'." D. ging, kam wieder und habe ihm Pfefferspray in die Augen gesprüht. Dann spürte er heftige Schmerzen im Nacken und am Kopf, "wie Schläge". Der Angreifen wandte sich ab, verließ das Zimmer und sagte Joachim L., der zu Hilfe eilen wollte, er solle sich nicht einmischen. Dann habe er Kampfgeräusche gehört. Erst jetzt konnte er die brennenden Augen öffnen und sah sein Blut. Romuald D. kam zurück ins Bad und stach weiter auf ihn ein, "als gäbe es kein Morgen mehr". Dann setzte der Angreifer dem über den Balkon flüchtenden Joachim L. nach. Daniel B. realisierte das viele Blut im Bad, überlegte, ob er sich einschließen sollte, "aber dann dachte ich, wenn ich nicht bis in die Lobby komme, sterbe ich".

Also raffte er sich auf, rannte über den Gang zur Treppe. Plötzlich sei Romuald D. wieder hinter ihm gewesen, habe ihn attackiert und er sei die Treppe hinuntergefallen. Im ersten Stock habe D. weitergemacht, "zwischendrin hat er mal aufgehört, stark geschnauft, sich erholt und dann wieder zugestochen". Dabei habe er "erleichtert gelächelt". Irgendwie schafft es Daniel B. in die Lobby. "Ich sah Joachim am Tresen lehnen, er sah nicht gut aus. Wir sahen uns an und es war für ihn eine Erleichterung, mich zu sehen." Dann sackten beide zu Boden. Joachim L. starb wenig später in einer Klinik.

Bei Daniel B. zählten die Ärzte 18 Stichverletzungen. "Aus jeder Pore kam Blut, ich hatte starken Durst, ich dachte, ich sterbe." Selbst an die Klinik kann Daniel B. sich erinnern. Er sei auf der Trage gelegen und habe gehört, dass der OP belegt sei. Eine Stimme sagte, man könne einen anderen OP nehmen. Die andere antwortete: "Nein, das schafft er nicht mehr."

Für Daniel B. ist der Albtraum bis heute nicht beendet. Über ein halbes Jahr nahm er Opiate gegen die Schmerzen, konnte nicht Duschen, weil die Stichwunden zu tief waren. Er kann nicht mehr als Anlagenbauer arbeiten, weil seine rechte Hand nicht mehr als drei Kilo halten kann, "dann geht sie einfach auf". Er musste seine Wohnung aufgeben, zurück zu den Eltern ziehen, die sich um ihn kümmerten. Nach einem Jahr stellte die Krankenkasse die Krankengeldzahlungen ein, den Unterhalt für seine Kinder kann er nicht mehr begleichen. Daniel B. verlässt kaum noch die Wohnung, hält sich nicht gerne im Dunkeln auf, meidet Menschenmassen und fühlt sich "nicht mehr so sicher". Er hat Schlafstörungen und Albträume, dass er "wegrennt voller Furcht und Schmerzen".

Dann dreht sich Daniel B. nach hinten zu der Zuschauerbank, wo die Kinder des getöteten Joachim L. sitzen. Er habe es nicht geschafft, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, sagt er. "Es tut mir leid. Es ist beschämend, dass ich hier sitzen kann und Joachim nicht." Dann weint er, und die Kinder mit ihm. Später liest eine Tochter von Joachim L. einen Text vor über ihren Vater, einen liebevollen, reiselustigen und aufgeschlossenen Menschen, der sich in der Flüchtlingshilfe engagierte. Als Ingenieur hätte er sich leicht ein Hotelzimmer leisten können, "aber er wollte im Hostel bleiben, weil er die Begegnungen mit Menschen aus aller Welt mochte." Der Prozess wird an diesem Montag fortgesetzt, ein Urteil für Ende Juni erwartet.

© SZ vom 18.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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