Lehrkräftemangel:"Die Mittelschule hat Qualitäten, die andere Schularten nicht haben"

Lesezeit: 3 min

Sabine Binder und Karin Rulka (von links) wollen junge Leute überzeugen, Mittelschullehrer zu werden. Und erzählen auf dem Instagram-Kanal @whatthef_ture unter anderem, wie sie selbst an die Mittelschule gekommen sind. (Foto: Robert Haas)

Zwei Pädagoginnen wollen die Mittelschule zu einem Instagram-Star machen, um junge Leute für den Beruf zu begeistern - ganz offiziell, im Auftrag der Regierung von Oberbayern. Doch wie wirbt man für eine Schulart mit schlechtem Ruf?

Von Kathrin Aldenhoff

Lange weiße Gänge führen durch das ehrwürdige Gebäude der Regierung von Oberbayern zu Büro 2105. Von außen deutet nichts darauf hin - aber immer montags arbeiten hinter dieser Tür zwei Lehrerinnen daran, die bayerische Mittelschule zu einem Social-Media-Star zu machen. Sabine Binder und Karin Rulka sitzen an einem Rechner, setzen Posts und Storys zusammen, nehmen kurze Videos auf, und das tun sie, um junge Leute von der Mittelschule zu begeistern. Sie zu "flashen", wie Sabine Binder sagt. "Wir wollen zeigen, dass die Mittelschule besser ist als ihr Ruf."

Sabine Binder, 39, und Karin Rulka, 29, sind angetreten, den Lehrermangel an bayerischen Mittelschulen zu bekämpfen - via Instagram. Sie machen das ganz offiziell, im Auftrag der Regierung von Oberbayern. Studienplätze gäbe es genug, aber es interessieren sich zu wenige Abiturienten für ein Lehramt an der Mittelschule. Weil sie selbst meist nie eine Mittelschule besucht haben. Weil das für sie immer die Schule war, auf die sie nie gehen wollten. Weil die Mittelschule einen schlechten Ruf hat. Und vielleicht auch, weil Lehrer an den anderen weiterführenden Schularten mehr verdienen.

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Gerade bearbeiten Sabine Binder und Karin Rulka einen Post über Mathias, der mal Lehrer am Gymnasium war und dann an die Mittelschule gewechselt ist. Der 32-Jährige trägt auf dem Foto einen Hoodie mit dem Wort "Lifeguard", Rettungsschwimmer. "Ich bin der Lehrer, der Potenziale entfaltet", steht neben ihm. Wer weiter wischt, sieht einen kurzen Text: "Mach mit und finde auch du heraus, was in unseren Schüler:innen steckt." Als nächstes wollen die beiden Lehrerinnen das Interview mit einer ehemaligen Schülerin einpflegen, und dann noch Infoschreiben, Flyer und Plakate eintüten, die an alle Mittelschulen in Oberbayern gehen sollen. Darin stellen sie ihre Mission vor.

Angefangen hat alles vor etwa einem Jahr mit Spaziergängen. Die beiden Freundinnen überlegten, was man tun könnte, um anderen zu zeigen, was für ein erfüllender Beruf Mittelschullehrer oder Mittelschullehrerin ist. Sie haben recherchiert, einen Maßnahmenfächer erstellt und mit ihrem Schulleiter gesprochen. Dann mit einer Vertreterin des Staatlichen Schulamtes und mit jemandem von der Regierung von Oberbayern. Die waren begeistert, und aus den verschiedenen Maßnahmen, die Sabine Binder und Karin Rulka vorschwebten, wurde der Instagram-Kanal auserkoren.

"Als Klassleiterinnen begleiten wir die Kinder und sehen sie wachsen."

"Whatthef_ture" heißt dieser Kanal, weil es darum geht: Was zur Hölle soll ich mit meiner Zukunft machen? Sabine Binder und Karin Rulka stellen dort seit Anfang November Mittelschullehrer vor, interviewen Schülerinnen und erzählen, wie sie selbst an die Mittelschule kamen und warum sie ihren Beruf so lieben. Sie drehen kurze, bunte Videos, arbeiten viel mit Musik, schreiben aber auch einen ausführlichen Text mit zehn Gründen, warum man sich für das Lehramt Mittelschule entscheiden sollte.

"Als Klassleiterinnen begleiten wir die Kinder und sehen sie wachsen", sagt Karin Rulka. "Meine Schüler sind für mich der Grund, morgens aufzustehen." Karin Rulka ist den klassischen Weg gegangen, hat nach dem Abitur Lehramt Mittelschule studiert, weil ihr Gerechtigkeit wichtig ist, wie sie sagt. "Ich wollte da arbeiten, wo es wichtig ist. An der Mittelschule kann ich mit gutem Unterricht einen Unterschied machen."

Ihre Kollegin Sabine Binder ist über einen kleinen Umweg Lehrerin geworden. Sie war selbst mal an der Mittelschule, die damals noch Hauptschule hieß, hat ihre Mittlere Reife an der Wirtschaftsschule und eine Ausbildung als Rechtsanwaltsfachangestellte gemacht. Dann hat sie festgestellt: Die nächsten 50 Jahre will sie das nicht machen. Sie war als Au-Pair in den USA, hat sich von dort an der BOS eingeschrieben, Abi gemacht und studiert. "Ich kann jetzt mit Kindern am Fundament arbeiten und sie auf ihrem Weg in den Beruf begleiten", sagt Sabine Binder. Das sei wichtig, denn welcher 14-Jährige wisse schon, was er später mal machen wolle?

Zielgruppe der Posts und Videos sind 18- bis 24-Jährige

"Die Mittelschule hat Qualitäten, die andere Schularten nicht haben", sagt Karin Rulka. Und dann zählen die beiden auf: Das Klassleiterprinzip. Die Vielzahl der Fächer. Hervorragende Einstellungschancen. Dass man seine Schüler bis in den Beruf begleitet. Dass sie nah dran sind an der Persönlichkeitsentwicklung. "Wir kennen die Kinder und ihre Familien. Und die Kinder kennen uns", sagt Sabine Binder. Und so gelinge es ihnen, Potenziale zu entdecken. Eine Schülerin sei mit einem Notendurchschnitt von 4,0 an die Schule gekommen. Sie hatte Schwierigkeiten mit der Sprache, familiäre Probleme. Und hat die Schule inzwischen als Jahrgangsbeste abgeschlossen.

Neben der Arbeit an ihrem Instagram-Kanal arbeiten Binder und Rulka weiter als Lehrerinnen. "Das Wichtigste ist für uns, dass wir authentisch bleiben", sagt Sabine Binder. Und das geht nur, wenn sie weiter unterrichten und von ihrem Alltag erzählen können. Karin Rulka ist Klassleiterin an der Mittelschule Fürstenrieder Straße in Laim. Dort arbeitet eigentlich auch Sabine Binder. Im Moment ist sie aber in der sogenannten Mobilen Reserve; sie wird dort eingesetzt, wo Lehrer fehlen.

Die beiden Lehrerinnen sind gerade mal ein paar Wochen online mit ihrem Instagram-Account. Bisher haben sie 274 Abonnenten, haben 30 Beiträge gepostet und zwei Interessenten über den Weg ins Mittelschullehramt beraten. Das soll mehr werden. Sie wollen die 18- bis 24-Jährigen erreichen, die sind ihre Zielgruppe, die wollen sie für die Mittelschule gewinnen. Sie wollen auf Messen gehen und in Schulen von der Mittelschule erzählen, wollen vernetzen und eine zentrale Plattform entwickeln. "Wir wollen die Schönheit des Berufs zeigen", sagt Karin Rulka. Daran arbeiten sie. Post für Post, Story für Story.

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