Milbertshofen:Münchens müffelndes Stadtviertel

Lesezeit: 3 min

Schaut idyllisch aus, müffelt aber oft: Milbertshofen, hier die Pommernstraße. (Foto: Catherina Hess)

Immer wieder stinkt es in Milbertshofen. Neu ist das nicht, die Anwohner klagen schon seit Jahrzehnten darüber, der Misthaufen der Stadt zu sein. Industrieunternehmen stehen im Verdacht, die Luft zu verpesten. Warum es so schwierig ist, Gestank offiziell nachzuweisen.

Von Lea Kramer

"Dieser unmögliche Zustand, vollständige Verpestung der Luft, bei dem sich Pettenkofer noch im Grabe umdrehen muß, gefährdet bereits — ohne Übertreibung — die Gesundheit der Bewohner dieses Stadtteiles in erheblichem Maße, es ist ganz einfach unzumutbar", schreibt ein Leser im Jahr 1959 an die Süddeutsche Zeitung. Bei Nordostwind sei die Geruchsbelästigung in Milbertshofen, ausgelöst durch die städtische Mülldeponie auf dem Gut Großlappen, am stärksten. Gut ein halbes Jahrhundert später ist Großlappen als Fröttmaninger Berg ein Naherholungsgebiet - doch den Gestank gibt es im Münchner Norden noch immer. Woher er kommt, ist nicht so leicht auszumachen.

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Pommernstraße, Konstanzer Straße, Riesenfeldstraße - immer wieder riecht es dort unangenehm, besonders bei Wind aus Richtung Westen. "Anfangs war's ein eher öliger Geruch, dann roch es wie ein alter Duftbaum im Auto", so beschreibt ein Anwohner das Aroma, das regelmäßig durch den Stadtteil wabert. Er hatte sich bei der Bürgerversammlung im Juni dafür ausgesprochen, dass die Stadt mehr unangemeldete Messungen vornimmt. Der Grund: In Milbertshofen gibt es viele Industriebetriebe, die mit Chemikalien und Schadstoffen arbeiten.

Schon in den Siebzigern klagten die Milbertshofener, Münchens Misthaufen zu sein

Immer wieder gibt es Beschwerden über übelriechende Schwaden. Bereits Mitte der 1970er-Jahre klagten die Milbertshofener darüber, Münchens Misthaufen zu sein, der mit Industrie überschwemmt werde. Von den 1990er- Jahren an war man sich einig, dass der größte Gestank ("wie Katzendreck") von der Lackiererei der Bayerischen Motorenwerke (BMW) ausgeht. Beim Auftragen der Lacke verdampften Lösungsmittel, die dann durch den Stadtteil zogen. 2017 hat der Autobauer seine Lackiererei umgebaut und verwendet seitdem neue Technik, durch die weniger Luft abströmt - und so auch die Umgebung weniger durch Gerüche belastet.

Generell ist es schwierig, Gerüche zu reglementieren. Was der eine als wohlriechend empfindet, kann dem anderen schlimm in die Nase fahren. Durch das gestiegene Bewusstsein für Schadstoffe in der Umwelt beunruhigen unangenehme Gerüche viele Menschen. Doch: "Nicht einmal bei giftigen Substanzen sagt eine Geruchswahrnehmung verlässlich etwas darüber aus, ob tatsächlich toxische Wirkungen zu erwarten sind", heißt es in einer Broschüre des Bayerischen Landesamts für Umwelt (BLfU) aus dem Jahr 2020. So könne man etwa Schwefelwasserstoff schon in sehr geringen Mengen riechen, wenn er noch nicht giftig sei. Tödliche Dosen anderer Gase jedoch können für Menschen geruchlos sein.

Eine chemische Analyse hilft bei der Geruchsbestimmung nur bedingt weiter. In der Regel braucht es mehrere Begehungen und auch dann ist es schwierig, den einzelnen Verursacher in einem größeren Industriegebiet zu ermitteln. Im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen gibt es in Bayern keine eigene Richtlinie, mit der Gerüche in der Luft bewertet werden. Die sogenannte Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) aus NRW werde aber auch im Freistaat häufig herangezogen, schreibt das Bayerische Landesamt für Umwelt. Darin gibt es die Messgröße "Geruchsstunden". Diese dürfen in Wohngebieten einen Anteil von zehn Prozent pro Jahr nicht überschreiten, in Gewerbe- oder Industriegebieten sind es 15 Prozent. "Wichtig: Es darf riechen, aber nicht zu oft. Je belästigender der Geruch, umso seltener", heißt es beim BLfU.

"Seit ich weiß, welche Stoffe die Firma dort annimmt, ist mir unwohl."

Das sieht auch die Stadt München so und nutzt die GIRL in der Bewertung von Gerüchen, meist wenn es um Gastronomie oder Geschäfte geht. Bei Industrieanlagen gilt das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG). "Die Einhaltung wird im Rahmen des Genehmigungsverfahrens überprüft und beurteilt", sagt eine Sprecherin des Referats für Klima- und Umweltschutz (RKU). Zusätzlich kontrolliere die Stadt regelmäßig, ob die Anlagen ordnungsgemäß betrieben würden, nehme Messungen vor oder überwache Entsorgungswege. "Die aktuelle Beschwerdesituation wird bei der Festlegung des Überwachungsturnus berücksichtigt, das heißt: Problematisch erscheinende Betriebe werden engmaschiger überwacht", so die Sprecherin.

In Milbertshofen, so berichtet der Anwohner, würden die zulässigen Geruchsstunden überschritten. Er hat mehrere Monate lang ein umfangreiches Geruchsprotokoll angefertigt, in das auch seine Arbeitskollegen ihre Wahrnehmungen zu Windrichtung, Wetter und Geruchsstärke eingetragen haben. Der Mann wohnt nämlich nicht nur im belasteten Bereich, sondern arbeitet auch dort - und zwar bei einer städtischen Stelle. Das Klimareferat ist der Beschwerde schon nachgegangen. Der verdächtigte Betrieb, der Altöle, Emulsionen und flüssige Abfälle aufbereitet, sei zu einer Stellungnahme aufgefordert worden. "Die Firma wies die Vorwürfe entschieden zurück, erneuerte aber als vorbeugende Maßnahme den installierten Abluftfilter", so die RKU-Sprecherin. Bei einer unangekündigten Kontrolle habe es keine weiteren Beanstandungen gegeben.

Dass das Geruchsproblem damit beseitigt ist, hält der Anwohner für fraglich. Er hat aufgehört, die Wäsche draußen zu trocknen. "Seit ich weiß, welche Stoffe die Firma dort annimmt, ist mir unwohl. Ich sorge mich, was man da täglich wegschnauft." Er wünscht sich, dass die Stadt mehrfach Messungen vornimmt, um eine Gesundheitsgefährdung auszuschließen. Denn schon früher hatten sich die Milbertshofener in Sicherheit gewogen, bis die nächsten Luftverübler in der Nachbarschaft einzogen.

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