Vertretung von 180 Nationen:Welche Bedeutung hat der Migrationsbeirat für München noch?

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Immer wieder bunt: Der Münchner Migrationsbeirat veranstaltet regelmäßig das Fest der Kulturen, hier ein Foto aus dem Westpark aus der Zeit vor Corona. (Foto: Florian Peljak)

Der Beirat vertritt etwa ein Viertel der Münchner Bevölkerung - aber kaum jemand interessiert sich für ihn. Eine Reform soll das Gremium aufwerten, doch die Pläne sind heftig umstritten.

Von Andrea Schlaier

Die Entscheidung im Stadtrat ist noch nicht gefallen, da dringt bereits kernige Kritik ins Rathaus: "Paternalismus" wirft die Arbeitsgemeinschaft der Ausländer, Migranten und Integrationsbeiräte Bayerns (AGABY) den Fraktionen von Grünen/Rosa Liste und CSU/Freie Wähler vor, sollten sie an diesem Mittwoch mit ihrer Mehrheit im Stadtrat einen gemeinsamen Antrag beschließen. Der sieht im Kern vor, statt bisher 40 künftig nur noch 30 ehrenamtliche Mitglieder des Migrationsbeirates direkt von den Münchnern mit migrantischen Wurzeln wählen zu lassen. Die übrigen "gleichberechtigten" zehn soll der Stadtrat bestimmen, die Rede ist von "in diesem Themenfeld zivilgesellschaftlich engagierten Personen".

Damit, so kritisiert AGABY, gebe man vor, besser wissen zu wollen, "was für Migrantinnen gut ist", und erhebe sich über den aktuellen Beirat. Der geißelt den Vorstoß als "undemokratisch". Die SPD stößt ins selbe Horn und spricht von einer "massiven Zerstörung historisch gewachsener Integrationsstrukturen". Außerdem geben sich die Sozialdemokraten brüskiert, dass ihr grüner Koalitionspartner mit CSU/Freie Wähler fremdgeht, um die eigenen Ziele bei der seit zwei Jahren laufenden Reformdebatte um den Migrationsbeirat durchzudrücken.

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Als bei der vergangenen Wahl des Migrationsbeirats 2017 die ohnehin schon chronisch niedrige Wahlbeteiligung auf 3,62 Prozent absackte, war man sich im Rathaus und im Beirat einig, dass es einer Reform bedarf, um der Vertretung von 180 Nationen, die in dieser Stadt leben, demokratische Relevanz und Sichtbarkeit zu sichern.

Grüne/Rosa Liste und SPD/Volt haben eine grundlegende Umgestaltung in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten. Seit zwei Jahren, sagt Grünen-Fraktionschef Dominik Krause, diskutierten Politik und Migrationsbeirat nun darüber, wie diese Reform aussehen könnte. "Wir wollen das Gremium stärken und haben verschiedene Modelle diskutiert." Die SPD aber habe keinem davon zugestimmt, "was bedeutet, dass sie den Status quo gerne wahren wollen". Daraufhin habe man sich eine andere Mehrheit gesucht - mit der CSU.

"Viele Migranten haben lange dafür gekämpft."

Der gemeinsame Antrag, der an diesem Mittwoch im Rathaus verhandelt wird, sieht nun als "bessere Verzahnung" von Migrationsbeirat und Stadtrat vor, nur noch 30 Mitglieder direkt wählen zu lassen und ihnen zehn Menschen zur Seite zu stellen, die sich bereits in dem Bereich engagieren. Diese Personen könnten aus der bestehenden Stadtratskommission für Integration stammen, die den Stadtrat berät. Dort sitzen unter anderem Vertreter von Religionsgemeinschaften, Migrantenorganisationen, der Rathausfraktionen und auch die Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD). Grünen-Fraktionschef Krause nennt das eine "Doppelstruktur", die zugunsten eines "zentralen Gremiums" aufgelöst werden solle. Der neue Migrationsbeirat hätte dann einen "höheren Stellenwert im Rathaus".

Für SPD-Stadtrat Cumali Naz, der von 1998 bis 2010 selbst Vorsitzender des Beirats war, hinkt der Vergleich: "Der Migrationsbeirat ist eine Interessenvertretung wie der Seniorenbeirat, die Kommission ein beratendes Gremium." Beide beschäftigten sich mit demselben Thema - aber aus unterschiedlicher Perspektive. Die Zahl der direkt gewählten Beiräte zu verringern, werde in vielen Verbänden als Bevormundung interpretiert. "Die werden sagen, der Stadtrat vertraut uns nicht und sagt, ihr könnt nicht richtig wählen."

Bis 1991 sei der damalige Beirat vom Stadtrat bestellt worden, erst seither wird die Gruppe gewählt. "Viele Migranten haben lange dafür gekämpft." Der Umkehrschwung sei ein fatales Signal, das die Akzeptanz des Gremiums nicht steigern werde. Im Gegenteil. Helfen würde etwas ganz anderes, sagt Dimitrina Lang, die aktuelle Vorsitzende des Migrationsbeirats: "Wir brauchen Entscheidungsmacht, die wir nicht haben. Es ist schwer, unseren Communities zu erklären, warum sie dann für den Beirat abstimmen sollen."

Die amtierende Vorsitzende Dimitrina Lang kritisiert die Reform. (Foto: Stephan Rumpf)

2017 zog die Wahl zudem Kritik auf sich wegen des Verdachts auf versuchte Manipulation durch türkisch-nationalistische Gruppen. "Wir beobachten das mit Sorge", sagt Grünen-Chef Krause. Auch Manuel Pretzl, Chef der CSU/Freie Wähler-Fraktion, die den Migrationsbeirat 2017 noch gänzlich auflösen wollte, nennt diesen Umstand als einen wesentlichen Grund für die Reform. Der aktuelle Beirats-Vorstand sei mit Demokratinnen und Demokraten besetzt, so Krause, "aber uns beunruhigt die Zunahme von diesen Kräften - von der Stadt darf es keine Zusammenarbeit mit türkischen Rechtsextremen geben".

Auf dieses Problem habe man längst reagiert, kontert Dimitrina Lang, die auf der Liberalen Liste kandidiert hatte. "Im Vorstand und im erweiterten Vorstand darf keine Nationalität zweimal vorkommen." Andere Bereiche seien ebenfalls entsprechend reglementiert, darauf verweist auch das Positionspapier, das der Beirat für die Stadtratssitzung verfasst hat. "Ich wünsche mir auch einen Migrationsbeirat, in dem nur demokratische Gruppierungen sitzen", sagt SPD-Stadtrat Naz. Aber was für die AfD im Stadtrat oder im Bundestag gelte, greife eben auch bei der Münchner Migrantenvertretung: "In Deutschland können sie eine Gruppe nicht von der Wahl ausschließen, die nicht verboten ist."

Der Migrationsbeirat vertritt etwa ein Viertel der Münchner Bevölkerung, nach aktuellen Zahlen sind das 387 448 Menschen. 204 000 davon haben keinen deutschen Pass und stammen nicht aus EU-Staaten, das heißt: Bei den Kommunalwahlen dürfen sie weder ihre Stimme für den Stadtrat noch für die Wahl des Oberbürgermeisters abgeben. Ihre einzige Möglichkeit, politischen Einfluss auszuüben, ist damit die alle sechs Jahre stattfindende Wahl zum Migrationsbeirat. Wahlberechtigt sind in der Stadt lebende ausländische Staatsangehörige, Doppelstaater mit deutscher Staatsangehörigkeit und Eingebürgerte, die diesen Status am Wahltag nicht länger als zwölf Jahre innehaben. Das Gremium mit seinen 40 ehrenamtlichen und direkt gewählten Mitgliedern besteht seit 1974 und hieß bei der Gründung noch Ausländerbeirat. Die Beteiligung bei der letzten Wahl 2017 lag bei nur 3,62 Prozent.

Der Migrationsbeirat berät den Stadtrat und die Verwaltung in allen Fragen, die die migrantische Bevölkerung in München betreffen. Außerdem hält er Kontakt zu interkulturell aktiven Vereinen und Organisationen. Die Gruppierungen können beim Migrationsbeirat auch finanzielle Unterstützung beantragen. Dafür verfügt er über ein städtisches Budget von jährlich 160 000 Euro. Vorsitzende des Migrationsbeirats ist seit 2017 die 44 Jahre alte Diplom-Sozialpädagogin Dimitrina Lang, eine gebürtige Bulgarin.

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