Umstrittenes Theaterstück "Vögel":"Die ursprünglichen Probleme sind erkennbar noch nicht vollständig ausgeräumt"

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Wahida (links) und Eitan (Mitte) verlieben sich ineinander: Das ist der Ausgangspunkt des Theaterstücks "Vögel" von Wajdi Mouawad. (Foto: Jean-Marc Turmes)

Politik, Kultur und Israelitische Kultusgemeinde reagieren auf die Ankündigung des Metropoltheaters, das Stück "Vögel" nach Antisemitismus-Vorwürfen in leicht veränderter Form wieder zu zeigen.

Von Heiner Effern, René Hofmann und Yvonne Poppek

Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), hat sich in der Debatte um das Theaterstück "Vögel" nicht oft geäußert. Im November, als das Metropoltheater alle noch geplanten Aufführungen des Stückes absetzte, nachdem die Jüdische Studierendenunion Deutschland und der Verband jüdischer Studenten in Bayern Antisemitismus-Vorwürfe gegen es erhoben hatten, sagte Knobloch der Jüdischen Allgemeine: Abwägungen rund um Fragen der Kunstfreiheit seien "nie einfach - aber bei Inhalten, die verletzen oder beleidigen, ist eine Grenze überschritten". Entsprechend zurückhaltend fällt nun auch ihre Reaktion aus auf die Ankündigung des Theaters, das Stück mit leicht modifizierten Dialogen vom 26. März an wieder aufzuführen: "Die ursprünglichen Probleme rund um das Stück sind erkennbar noch nicht vollständig ausgeräumt", so die IKG-Präsidentin. "Ich lege jetzt große Hoffnungen auf die begleitenden Veranstaltungen."

Theaterintendant Jochen Schölch hatte die Wiederaufnahme im SZ-Interview begründet und angekündigt, dass es am 23. April begleitend eine Lesung von Ronen Steinke aus seinem Buch "Terror gegen Juden" geben soll und am 22. Juni eine Diskussion zwischen Kulturwissenschaftlerin Stella Leder und Meron Mendel, dem Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. Kulturbürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) begrüßt, "dass sich das Theater mit den kritischen Passagen auseinandergesetzt hat und auch zwei Diskussionsabende mit Fachleuten veranstaltet". Genau eine solche Debatte hätte sie sich gewünscht.

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Ludwig Spaenle (CSU), Antisemitismus-Beauftragter der Staatsregierung, nennt die Wiederaufnahme des Stückes unter diesen Voraussetzungen "durchaus vertretbar". Die Vorwürfe seien "gravierend" gewesen, eine "Phase der Reflexion" sei deshalb sinnvoll gewesen.

Der Verband der jüdischen Studenten in Bayern will sich nicht äußern, ohne die überarbeitete Inszenierung gesehen zu haben.

Andreas Beck, Intendant am Bayerischen Staatsschauspiel, findet die Wiederaufnahme "gut, richtig und mutig". Sie sei "ein entscheidender Beitrag zur Debatte, wie sehr Kunst auch kontroversiell sein darf". Marian Offman, städtischer Beauftragter für den interreligiösen Dialog, begrüßt die Wiederaufführung. Dass Szenen mit Bezug auf den Holocaust herausgenommen werden, weil sie falsch interpretiert werden könnten, findet er gut. Die Antisemitismus-Vorwürfe hält er aber "für unbegründet oder von Missverständnissen geleitet". Die Geschichte handele von dem Versuch einer Liebe zwischen der arabischen Frau Wahida und dem Juden Eitan vor dem Hintergrund eines fast aussichtslosen Konflikts. Am Ende verspricht Eitan am Grab seines Vaters sinngemäß, dass er bis zur Aussöhnung beider Völker keinen Trost finden würde. "Das ist für mich der Kerngedanke des Stücks und die Wiederaufführung Anlass genug, darüber zu diskutieren. Auch mit Blick auf die aktuelle politische Entwicklung in Israel", so Offman.

Manuel Pretzl, Fraktionsvorsitzender CSU/Freie Wähler im Stadtrat, nennt die Überarbeitung einen "guten Schritt" - "ob es reicht, wird sich mit der Neuinszenierung zeigen". Julia Schönfeld-Knor, kulturpolitische Sprecherin der SPD/Volt-Fraktion, sagt: "Wir finden es richtig, dass das Stück überdacht wurde und jetzt wieder gespielt wird. So wird man sowohl der ausführlich geführten Debatte als auch der Freiheit der Kunst gerecht."

Kulturreferent Anton Biebl ist der Meinung, die Aussetzung des Stücks hätte "zu Recht eine kontroverse Diskussion" über die Grenzen der Kunstfreiheit ausgelöst. Die Wiederaufnahme könne "dazu einen wichtigen Beitrag leisten, wenn die Kontextualisierung und die geplanten Diskussionsveranstaltungen gelingen".

Dem Grünen-Vorsitzenden Dominik Krause ist es wichtig klarzustellen, dass es keine Pläne für eine Kontrollkommission gebe. Unwidersprochen lassen will er eine Aussage Schölchs nicht: Der Theaterintendant hatte im SZ-Interview gesagt, er habe mit dem Begriff des israelbezogenen Antisemitismus "tatsächlich ein Problem": "Natürlich muss es immer möglich sein, die israelische Regierung zu kritisieren dafür, was für eine Politik sie gerade durchzusetzen versucht." Krause findet diese Aussagen "überraschend und empathielos": "Dass es israelbezogenen Antisemitismus gibt, ist Stand der Forschung, ein nicht umstrittener Fakt. Wenn man mit jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern spricht, erfährt man: Das haben sie alle schon mal erlebt."

Dass es entlang dieser Bruchlinie auch künftig zu Verwerfungen kommen könnte, deutet Jerzy Montag an. Der Grünen-Politiker, der von 2002 bis 2013 im Bundestag saß, hatte sich in der Debatte mit einem offenen Brief an seine Parteikollegen gewandt. Die Wiederaufführung findet er "großartig": "Die Pression gegenüber dem Theater war nicht unerheblich. Dass das Theater dieser widerstanden hat, ist richtig und wichtig." Gleichzeitig weist Montag aber darauf hin, dass es unglücklich sei, dass in der Diskussion ein Gutachten der städtischen Fachstelle für Demokratie eine Rolle gespielt habe, das nicht öffentlich einsehbar sei.

Auch habe die Stadt den Grundsatzbeschluss vom Dezember 2017, wonach in städtischen Räumen niemand auftreten dürfe, der in die Nähe der Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) gegen den Staat Israel gerückt werden könne, nie zurückgenommen oder präzisiert, obwohl gerichtlich festgestellt wurde, dass dies Grundrechte unzulässig beschränkt. Montag fordert deshalb: "Die beteiligten politischen Kreise in der Stadt sollten wirklich Klarheit schaffen in der Debatte: bestimmte Vorwürfe zurücknehmen, Fehler eingestehen. Aber dieses Pfriemelige, dieses Schwammige, das tut der Diskussion nicht gut."

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