Zeitzeuge Max Mannheimer:"Ich konnte nie hassen"

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Mahner und Versöhner: Max Mannheimer. (Foto: Toni Heigl)
  • Der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer war eine der wichtigsten Stimmen für die Juden, die im Nationalsozialismus ermordet wurden.
  • In der gesamten Region München sind Schulen, Straßen und Plätze nach ihm benannt.
  • Mannheimer starb im September 2016, am heutigen 6. Februar wäre er 100 Jahre alt geworden.

Von Helmut Zeller, München

Schulen in der ganzen Münchner Region, Plätze in Dachau, in Oberschleißheim oder vor dem NS-Dokumentationszentrum in der Landeshauptstadt, das Bürgerhaus in Poing, auch die Kulturtage in Bad Aibling - alle tragen den Namen Max Mannheimers. Und die Aufzählung ist damit nicht am Ende. Viel Ehre für den Mann, über den alles gesagt zu sein scheint, zu dem man in Google fast zwei Millionen Einträge findet. Als einer der bedeutendsten Zeitzeugen, als Mahner und Versöhner bleibt er über seinen Tod am 23. September 2016 hinaus in Erinnerung. Er wurde 96 Jahre alt. Das alles war er - und noch viel mehr. Menschen, das unterscheidet sie von anderen Primaten, erzählen sich Geschichten über sich selbst. Diese Narrative prägen ihre Kultur, ihr Selbst- und Weltbild. Einer der wichtigsten - und begabtesten - Erzähler der Geschichte des 20. Jahrhunderts war Max Mannheimer.

Tausenden von Schülern hat er seit den 1980er Jahren von dem industriellen Massenmord an den europäischen Juden erzählt, faktenreich wie ein Historiker und aus eigenem Erleben hat er den Jugendlichen die Lehre aus dem Zivilisationsbruch vermittelt, für den der Name Auschwitz steht. Redegewandt wie er war, charmant, humorvoll, aufrichtig, erweckte er ihre Faszination und Zuneigung. So wurde er zur unverwechselbaren Stimme der liberalen Demokratie, der offenen Gesellschaft - gegen Antisemitismus, Rassismus und Hass. Er sagte von sich: "Ich konnte nie hassen." Dabei hätte er allen Grund gehabt. Böse wurde er nur, wenn diskriminierende Worte über Menschen anderer Nationen fielen. Dann erhob er, mit seiner weißen, lodernden Haarmähne erschien er wie ein zürnender Gott, laut seine Stimme.

Nachruf
:Max Mannheimer lebte, um zu erzählen

Der Holocaust-Überlebende war einem Abgrund von Hass und Gewalt entstiegen. Und wurde zum Erzähler der Geschichte der sechs Millionen ermordeten Juden.

Nachruf von Helmut Zeller

Max Mannheimer freute sich über seine vielen Auszeichnungen und Orden, kokettierte damit - "Jetzt habe ich schon mehr als der Göring". Er stand unermüdlich gegen das Vergessen ein, als Präsident der Lagergemeinschaft Dachau (seit 1988), als Vizepräsident des Comité International de Dachau (CID). Aber das wichtigste war ihm das Gespräch mit jungen Menschen. Seine Wirkung auf sie erklärte er so: "Ich nehme sie ernst." Das Erzählen fiel ihm schwer, der Schmerz war zu stark, am Anfang musste er Beruhigungsmittel nehmen.

Als "ben jakov" (Sohn des Jakobs) hat er schon seit den 1950er Jahren abstrakte Gemälde geschaffen. In der Sprache der Farben drückte er den Schrecken und die Trauer aus. Später dann zur Ferienzeit, allein in seinem Haus in Haar versank er fast in eine Depression, weil er keine Termine an den Schulen hatte. Dann stieß ihn die Erinnerung zurück, in den Abgrund, dorthin, wo ihm niemand folgen konnte, außer vielleicht diejenigen, die wie er überlebt hatten. Seine Heimatstadt Neutitschein im heutigen Tschechien. Das Jahr 1933. Der pfiffige Max trägt seiner Lehrerin die Aktentasche nach Hause. Er verehrt sie. Der 13-Jährige schwärmt für Fußball, Autos und etwas später auch für Mädchen. Vor dieses Bild schiebt sich ein anderes: Die Rampe in Auschwitz-Birkenau. 2. Februar 1943, Mitternacht. Seine Frau Eva, Brüder, Schwester und Eltern werden ermordet - weil sie Juden sind. Nur er und sein Bruder Edgar überleben: Theresienstadt, Auschwitz, Warschau, Dachau. Am 30. April 1945 befreien ihn US-Soldaten bei Tutzing.

Seit Jahren schon die Diskussion: Wie geht es weiter, wenn die Zeitzeugen nicht mehr sind? Max Mannheimer ist nicht zu ersetzen. Der Sozialdemokrat hat auch politisch kräftig mitgemischt. Drei Beispiele: Die KZ-Gedenkstätte Dachau, das Internationale Jugendgästehaus in Dachau und - nach einer Unterredung mit dem damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) - der Gedenkort für das Außenlager Mühldorf. An ihm kamen die Politiker nicht vorbei, schon gar nicht jene, die einen Schlussstrich ziehen würden.

Max Mannheimer hat Bücher geschrieben. Sein "Spätes Tagebuch" wurde weltweit übersetzt, sogar ins Japanische, 2012 folgte "Drei Leben". Die Regisseurin Carolin Otto zeichnete in ihrem Film "Der Weiße Rabe" ein ergreifendes Portrait des Überlebenden und Künstlers. Er war "a mentsch". Das jiddische Wort meint einen, der Güte und Menschlichkeit besitzt.

Rechtsruck, Wiederkehr des Judenhasses, Angriffe auf die Demokratie - heute wären seine klaren Worte so dringend nötig, sagt Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, über ihren Freund und Wegbegleiter während vieler Jahrzehnte. An diesem Donnerstag, 6. Februar, wäre Max Mannheimer 100 Jahre alt geworden. "Er fehlt uns allen jeden Tag."

© SZ vom 06.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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