Die Ausgangslage ist ein Vorstellungsgespräch. Harmlos, könnte man meinen. Und läge damit grundverkehrt, vorsichtig ausgedrückt. Was in der ersten Szene von Joe Ortons "Was der Butler sah" passiert, würde die "Me Too"-Debatte mindestens neu befeuern.
Geraldine Barclay bewirbt sich darin bei Dr. Prentice, dem Leiter einer psychiatrischen Einrichtung, als Sekretärin. Der möchte von der jungen, naiven Frau allerdings etwas anderes. Es beginnt damit, dass er sie bittet, die Strumpfhose auszuziehen. Und das ist das noch am wenigsten Anzügliche. Gestört wird der Psychiater von seiner Ehefrau, "eine Art extremer Nymphomanin", die irgendwann nur in einem großen hohlen Ypsilon beerdigt werden kann, prognostiziert ihr Mann. Trotzdem möchte sich Dr. Prentice seinerseits nicht erwischen lassen bei seinen außerehelichen Tätigkeiten, weshalb er sich in Lügen verstrickt. Von da an wird alles immer schlimmer und schlimmer.
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1969 wurde "Was der Butler sah" in England uraufgeführt. Joe Orton war zu diesem Zeitpunkt schon tot, erschlagen von seinem Lebensgefährten Kenneth Halliwell. Er galt als ein Enfant terrible, provozierte und schockierte gerne. Drei abendfüllende Theaterstücke hat er hinterlassen. "Was der Butler sah", sein letztes, wird nun im Marstall zu sehen sein. Die Premiere ist am Samstag, 19. Juni, Regie führt Bastian Kraft.
Für Kraft ist es nach seiner Bearbeitung von "Lulu" die zweite Inszenierung am Residenztheater. Den Geschmack des Münchner Publikums hat er zudem am Volkstheater getroffen: Zweimal gewann er dort beim Festival "Radikal jung" den Publikumspreis. Für seine Inszenierung von Ortons Stück hat er sich einen Kniff überlegt: Er besetzt die Männerrollen mit Frauen und die Frauenrollen mit Männern. So wird etwa Juliane Köhler als Dr. Prentice auf die Bühne treten, Florian von Manteuffel gibt die nymphomanische Gattin, als schüchterne Sekretärin tritt Christian Erdt auf.
"Es ist erbarmungswürdig. Du bumst so atemberaubend wie ein Tischfeuerwerk"
Durch diese Besetzung werden alle Geschlechterzuschreibungen und Klischees, mit denen Orton unverfroren spielt, sich über sie lustig macht, noch brüchiger. Und das in einem Stück, das sich die rasanten Mittel der Boulevardkomödie zunutze macht und sie zugleich parodiert. Den Soundtrack dazu liefert die Münchner Band Pollyester, die damit bereist zum vierten Mal bei einer Produktion am Bayerischen Staatsschauspiel mitwirkt. Die Übersetzung, die definitiv nicht jugendfrei ist, stammt von dem Dramatiker und Regisseur René Pollesch, perfekt in Tempo und Schlagfertigkeit.
Auf Dr. Prentices Einschätzung zum Beispiel, dass seine Frau nur in einem "großen hohlen Ypsilon" beerdigt werden könne, gibt Mrs Prentice zurück: "Der ganze Ärger kommt von deiner Unfähigkeit als Liebhaber. Es ist erbarmungswürdig. Du bumst so atemberaubend wie ein Tischfeuerwerk." Das kann ja heiter werden.
Joe Orton: Was der Butler sah, Premiere: Sa., 19. Juni, 20 Uhr, Marstall, Marstallplatz 4, Telefon 21851940