Andreas Becks Sommerferien dürften nur zur Hälfte entspannt gewesen sein. Bis zu dem Zeitpunkt nämlich, als der neue Intendant des Residenztheaters die Nachricht erhielt, die Eröffnungspremiere könne nicht wie geplant stattfinden. Eigentlich sollte am 18. Oktober im Cuvilliéstheater "Wir sind hier aufgewacht" uraufgeführt werden, eine Stückentwicklung des angesagten australischen Regisseurs Simon Stone. Dass der so angesagt ist, war nun genau das Problem: Stone erhielt für ein lange geplantes Filmprojekt kurzfristig finanzielle Unterstützung, ausgerechnet von dem mächtigen Produzenten Netflix. Weil die Dreharbeiten noch im September starten sollten, musste Stone die Premiere in München absagen, obwohl die Proben dazu schon vor den Theaterferien begonnen hatten.
"Schweren Herzens habe ich diese Entscheidung getroffen", ließ er die Münchner in einer Nachricht wissen. Er habe lange auf die Finanzierung gewartet, das Projekt mehrfach verschieben müssen, bis Netflix nun die entscheidende Summe bot. Aus dem Residenztheater heißt es, Netflix habe die stattliche Summe von 15 Millionen Pfund beigesteuert und ist neben Filmproduzentin Gabrielle Tana nun Co-Produzent. Das Historiendrama heißt "The Dig" und spielt gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in London. Erzählt wird die Geschichte einer Witwe, die vermutet, dass auf ihrem Land Reichtümer vergraben sind. Stone konnte dafür Ralph Fiennes gewinnen, die weibliche Hauptrolle spielt Carey Mulligan. Mulligan wurde mit dem Schnelle-Autos-Film "Drive" bekannt, in "The Great Gatsby" spielte sie an der Seite von Leonardo Di Caprio die Daisy.
Diesem finanziellen und personellen Aufgebot konnte und wollte man am Residenztheater nun nichts entgegen setzen. Simon Stone und Andreas Beck kennen sich lang. Stone hatte an Becks alter Wirkungsstätte, dem Theater Basel, inszeniert: "Die drei Schwestern", was von Ende Oktober an auch in München zu sehen sein wird. Der Regisseur war demnach auch angetan von der Idee, Becks Intendanz am Residenztheater zu eröffnen. Rein rechtlich wäre er zwar dazu auch verpflichtet, Ingrid Trobitz, Pressesprecherin und stellvertretende Intendantin aber sagt: "Dass seine Absage die Eröffnungspremiere betrifft, war eine herbe Enttäuschung. Aber wir sind Simon Stone so verbunden, dass wir ihm das Projekt nicht verwehren und letztlich zerstören wollten."
Natürlich seien die Schauspieler der nun verschobenen Produktion enttäuscht, und natürlich sorge man sich auch um einen etwaigen Imageverlust noch vor Beginn der Spielzeit. Stone habe aber versprochen, die Uraufführung nachzuholen. Wann das sein wird, ist noch nicht klar. Man wolle terminlich nichts erzwingen. Sollte "Wir sind hier aufgewacht" erst zu Beginn der Spielzeit 2020/2021 realisiert werden können, dann sei das eben so. "Meine Verbundenheit dem Residenztheater gegenüber ist ungemindert", schreibt Stone in seinem Statement und, um es noch klarer zu machen: "Ich lebe in dieser Stadt, im Freistaat Bayern und habe die volle Absicht, die Arbeit zu präsentieren, die wir dem Theaterpublikum versprochen haben."
Dass es ausgerechnet Stone ist, den Netflix jetzt finanziert, ist nicht weiter verwunderlich. Er gilt als Grenzgänger der Genres, seine Art, Regie zu führen, ist sehr filmisch. Er ist ein Freund von schnellen Schnitten und lauter Musik, in München war das zuletzt 2015 an den Kammerspielen in "Rocco und seine Brüder" zu sehen. Er hat bereits einige Filme gedreht, "The Dig" aber ist sein bisher größtes Projekt.
Weil kein anderer Regisseur an Stones Platz einspringen konnte, zieht das Residenztheater nun Antonio Latellas "Die drei Musketiere" von Februar 2020 auf den 20. Oktober vor, eine Übernahme aus Basel. Das heißt, das Ensemble ist bereits eingespielt und das Bühnenbild fertig. Zur Eröffnungspremiere wird nun spontan die ursprünglich zweite Premiere: "Die Verlorenen" am 19. Oktober. Ein Stück von Ewald Palmetshofer, das die Hausregisseurin Nora Schlocker im Schauspielhaus inszeniert.