Streaming:Die Welt erobern - aber lässig

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Netflix-Gründer Reed Hastings verbirgt seinen Welteroberungswillen hinter betonter Lässigkeit. (Foto: Tobias Hase/AFP)

Netflix-Gründer Reed Hastings hat mit seinem Streaming-Portal die Kulturgeschichte revolutioniert. Den Aktieneinbruch seines Konzerns dürfte er entspannt sehen.

Von Andrian Kreye

Netflix-Gründer Reed Hastings gehört zu der Sorte Multimilliardäre, die ihren Welteroberungswillen hinter betonter Lässigkeit verbergen. Dabei ist sein bekanntestes Zitat, dass der größte Konkurrent seines Streamingdienstes der Schlaf sei. Inzwischen hat er sich korrigiert. Erst gab er zu, der eigentliche Konkurrent sei das Onlinespiel Fortnite. Und als nun die Aktie seines Unternehmens am Mittwoch mehr als elf Prozent an Wert verlor, nannte er Googles Videoplattform Youtube.

Da schließt sich ein Kreis. Youtube hatte ihn Mitte der Nullerjahre dazu inspiriert, seinen DVD-Versand in einen Abo-Service zu verwandeln, mit dem man Filme und Serien über das Internet ansehen kann. Die Konkurrenz zu all den anderen Streamingdiensten, den existierenden wie Amazon Prime und Hulu, und zu denen, die sich gerade auf den Start vorbereiten, wie Disney, Apple, WarnerMedia, und NBC Universal, sieht er übrigens als Belebung des Geschäfts.

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In anderen Gesprächen und Interviews gibt er zu, dass er sich vorstellen kann, dass es Netflix irgendwann einmal gar nicht mehr gibt. Er teilt diesen Fatalismus mit vielen Titanen des Silicon Valley. Die haben den eigenen Aufstieg in Hochgeschwindigkeit als Vergleichsmodell. Der gesunde digitale Menschenverstand geht davon aus, dass der Konkurrent, der einen mal vom Markt vertreibt, irgendein chinesischer Teenager ist, der irgendwo im Keller seiner Eltern gerade die nächste große Idee ausbrütet.

Vorerst braucht sich Hastings keine Sorgen zu machen. Auch der Aktieneinbruch gehört in seinen Sphären zum Alltag. In einem Geschäft, in dem es keine zweiten Sieger gibt, erreichen Konzerne wie Facebook, Google oder eben Netflix irgendwann einmal die absolute Marktsättigung. Da wird die wachstumsfixierte Börse dann nervös. Bei Netflix heißt das ganz konkret, dass sie in den 190 Ländern, in denen es den Dienst gibt, im zweiten Quartal 2019 statt fünf nur 2,7 Millionen neue Abonnenten anwerben konnten. Im Heimatland USA verloren sie nach einer Abopreiserhöhung sogar 130 000 Mitglieder. Aber da kann der Dienst eh nicht mehr expandieren. Weswegen er kurz nach dem Kurseinbruch auch den Plan vorstellte, in Indien einen billigen Dienst anzubieten, mit dem man für fünf Dollar alle Filme und Serien auf Mobiltelefonen abspielen kann. Fernsehgeräte sind in solchen Weltgegenden und in vielen Jugendzimmern der westlichen Welt sowieso nur noch ein Relikt aus dem 20. Jahrhundert.

Geboren wurde der 58-Jährige in Boston. Nach dem College unterrichtete er für die staatliche Entwicklungshilfstruppe Peace Corps in Swasiland Mathematik. Seine erste Firma Pure Software stellte Programme für Fehleranalysen her. 1997 verkaufte er die Firma und gründete gemeinsam mit dem Unternehmer Marc Randolph Netflix. Zunächst verstanden sie sich als Herausforderer von Amazon. Dann kam die Idee zu streamen. Heute liegt Netflix' Anteil am gesamten weltweiten Datenverkehr bei um die 15 Prozent.

Hastings sah bald, dass die reine Dienstleistung an Grenzen stößt. Deswegen begann er, Netflix zum Studio zu erweitern. Der erste Erfolg war die Politthriller-Serie "House of Cards". Es folgten "Orange is the New Black", "Narcos" und "Stranger Things". Für ihre Filmproduktionen gewinnt die Firma die gesamte A-Liga der Stars und macht Hollywood das Leben schwer. 2020 wird das Unternehmen fast 18 Milliarden Dollar für Eigenproduktionen ausgeben. Das lohnt sich. Netflix brachte Menschen dazu, für Inhalte im Netz wieder zu bezahlen.

Gleichzeitig perfektionierte die Firma das "Binge Viewing", das suchtähnliche Seriengucken, nicht nur durch gute Drehbücher, sondern auch mit technischen Tricks wie Autoplay. Wenn Reed Hastings also mit Rückschlägen lässig umgeht, dann tut er das mit dem Bewusstsein, dass er nicht nur Milliarden verdient, sondern auch die Kulturgeschichte revolutioniert hat.

© SZ vom 19.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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