Transplantationsmedizin:Die quälend lange Wartezeit auf eine neue Niere

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Wer auf Dialyse angewiesen ist, muss bis zu dreimal in der Woche zur Behandlung kommen. (Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

Tausende Menschen hoffen auf ein Organ - im Schnitt neun Jahre lang. Um das nachhaltig zu ändern, braucht es mehr als eine Gesetzesänderung. Am Klinikum rechts der Isar gibt es trotzdem Erfolgsgeschichten.

Von Nicole Graner

Sie strahlt. Eva, 63, schmiegt sich eng an ihren Mann. Gregor, 50, legt seinen Arm um seine Frau. Immer wieder tut er das. "Mein Schatz", sagt er dann und streichelt ihren Rücken. Beide wirken wie ein frisch verliebtes, junges Paar.

Gregor hat Eva im September vergangenen Jahres eine Niere gespendet. Zweieinhalb Jahre haben sie auf diesen Augenblick hingearbeitet. Und dann, erzählt er, habe er einfach große Angst gehabt, dass mit seiner Niere doch irgendetwas nicht stimmen könnte. "Aber alles hat gepasst", sagt er.

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Ärzte, Pflegefachkräfte, Besucher - alle hören ihnen auf der Station M1a zu, erfreuen sich am Glück des Paares. Auch Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU), die am Dienstag das Transplantationszentrum am Universitätsklinikum rechts der Isar besucht hat. Sie will noch mehr von den beiden wissen. "Was war es für ein Gefühl nach der Transplantation?", fragt sie. "Ein unglaublich befreiendes", antwortet Eva kurz und klar. "Mir ist so viel geschenkt worden." Wie sehr er sich jetzt in seinem Leben einschränken müsse, fragt Gerlach den Spender Gregor. "Ich soll nicht Motorrad fahren", erklärt er und lacht. "Ist nicht schlimm, habe ich ja vorher auch nicht getan."

90 000 Menschen in Deutschland müssen an die Dialyse

Zehn Millionen Menschen in Deutschland haben eine chronische Nierenerkrankung. "Viele wissen es oft gar nicht, weil die Beschwerden zunächst nicht wehtun", erklärt Uwe Heemann, Leiter der Abteilung Nephrologie. 90 000 Menschen in Deutschland haben aktuell eine so starke Nierenschädigung, dass sie zur Dialyse müssen, also eine Blutwäsche brauchen. Rund 7000 Menschen hoffen laut Heemann auf ein Spenderorgan und stehen auf der Warteliste von Eurotransplant, einer Vermittlungsstelle für Organspenden. Die Wartezeit für ein Organ: ungefähr neun Jahre.

Organspende-Empfängerin Eva mit ihrem Mann Gregor, ihrem Organspender. (Foto: Florian Peljak)
Dialyse-Patient Jörg Schiemann im Gespräch mit Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach. Er wartet schon zum zweiten Mal auf ein Spenderorgan. (Foto: Florian Peljak)

Wie lang diese Wartezeit sein kann, weiß Jörg Schiemann nur allzu gut. Auch er erzählt der Gesundheitsministerin von seinem Schicksal. Er braucht zum zweiten Mal eine neue Niere. Die erste hat der heute 56-Jährige 2004 transplantiert bekommen, sie funktionierte 15 Jahre lang. Nun muss er wieder an die Dialyse. Wie schon einmal. Viereinhalb Jahre dauerte es damals, bis ein passendes Organ für ihn gefunden wurde. Fünf Jahre wartet er schon wieder. Schiemann, der in der digitalen Gesundheitsförderung arbeitet und sogar Vorträge über seine Erkrankung hält, weiß, dass es wohl noch eine Weile dauern wird, bis eine Niere für ihn gefunden wird. "Ich versuche, den Augenblick zu genießen", sagt er. Fährt, wenn er nicht zu müde ist, viel Fahrrad.

2100 Nieren wurden im Rechts der Isar transplantiert

Seit 1985 gibt es das Transplantationszentrum am Universitätsklinikum rechts der Isar. Im April 2023 wurde es renoviert. Sechs Zimmer, die nach Stadtvierteln Münchens benannt sind, und zwölf Betten stehen zur Verfügung. Mehr als 2100 Nieren sind in mehr als 40 Jahren transplantiert worden, davon 500 Lebendspenden. "Die größte Herausforderung", sagt Lutz Renders, "sind die fehlenden Organe." Der Leiter des Nierentransplantationsprogramms erklärt die Gründe, warum es einfach zu wenig Spenderorgane gibt. Die Menschen würden immer älter, aber damit auch immer kränker. Die Qualität von Spenderorganen nähme damit auch ab.

Ärzte und Patienten sind sich an diesem Nachmittag einig: Es müsse mehr Spender geben. Die Lösung könnte nur die sogenannte Widerspruchslösung sein. Bedeutet: Jeder ist potenzieller Spender, es sei denn, er hat zu Lebzeiten ausdrücklich einer Organentnahme widersprochen. In Deutschland gilt aktuell die erweiterte Zustimmungslösung. Eine Organspende ist demnach nur dann möglich, wenn der Spender zu Lebzeiten eingewilligt oder aber sein nächster Angehöriger zugestimmt hat. Das sei in der Realität sehr schwer umzusetzen, sagt Heemann. "Soll man zum Beispiel den Angehörigen, der gerade einen geliebten Menschen verloren hat, sofort danach fragen, ob man Organe entnehmen darf?"

Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach und Martin Siess, der Ärztliche Direktor des Klinikums rechts der Isar. (Foto: Florian Peljak)
Die Spezialisten, hier Oberarzt Volker Aßfalg (links) und Lutz Renders, arbeiten auch mit sogenannten Rescue-Organen. (Foto: Florian Peljak)

"Wir brauchen einfach die Widerspruchslösung, die es in vielen Ländern bereits gibt", betont Ministerin Gerlach. "Wir müssen alles daran setzen, die Spendenbereitschaft zu erhöhen." Auch sollte man sich wenigstens einmal im Leben mit dem Thema Organspende beschäftigen. "Es kann uns doch alle treffen." Sie jedenfalls trage ihren Organspendeausweis immer bei sich.

Im Transplantationszentrum am Universitätsklinikum rechts der Isar arbeiten die Ärzte inzwischen auch mit sogenannten "Rescue-Organen". Also mit Organen, die in anderen Ländern nicht gebraucht werden, weil es entweder mehr Spender gibt oder weil keine Empfänger gefunden wurden. "Sie kommen meist", erklärt Oberarzt Volker Aßfalg auf Nachfrage der Ministerin, "aus dem angrenzenden Ausland nach Deutschland." Dazu habe man spezielle Algorithmen entwickelt, die helfen würden, passende Spender zu finden. "96 Prozent lehnen auch wir ab", sagt er, "aber vier Prozent können wir akzeptieren und auch erfolgreich transplantieren."

Passend zu ihrer pinkfarbenen Jacke trägt Eva Stiefel mit hohen Pfennigabsätzen. Die könnten Gregor beim Salsa-Tanzen ordentlich zu schaffen machen. Eva lacht. Passiere aber nicht. Zusammen etwas zu unternehmen, ist seit der erfolgreichen Transplantation das größte Glück von Eva und Gregor. "Endlich geht es mir wieder gut", sagt die 63-Jährige. Bald will sie wieder tauchen gehen. Aber zuerst geht es in die Stadt der Liebenden, nach Venedig.

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