Hood-Training:"Wenn man gemeinsam schwitzt, hat man gleich eine Verbindung"

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Durchhalten und Disziplin sind wichtig beim Training. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Im Hood-Training versuchen Betreuer, Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen von der Straße zu holen. Beim Sport lernen sie eine wichtige Lektion.

Von Kathrin Aldenhoff

Es hat fast eine Stunde gedauert. So lange saß er mit zwei Kumpels auf der Bank im Innenhof des Clubs Hasenbergl und hat zugeschaut. Turnschuhe, ein bisschen Bart und viel von dem, was Eric Cordes Unzugänglichkeit nennt. Die drei schauen zu, wie neun Kinder und Jugendliche Kniebeugen und Liegestütz machen; wie Eric Cordes ihnen zeigt, wie sie beim Boxen die Arme bewegen - immer auf dem kürzesten Weg schlagen. Dann machen sie Klimmzüge. Und da steht er auf und stellt sich zu ihnen.

"Irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo sie mitmachen", sagt Eric Cordes. Manche erst beim zweiten oder dritten Training. Er kennt das, kennt die Jungs mit ihren 14, 15 Jahren, weiß, dass es nicht leicht ist, von dieser Bank aufzustehen, aus dieser Haltung herauszukommen. "Was geht ab, ich bin Eric vom Hood Training", so hat er die Jungs und Mädchen begrüßt, sie hockten im Kreis und er erklärte ihnen: die einzige Regel, die sie beim Hood Training haben, sei Respekt. Respekt vor anderen, vor dem Trainer. Und vor sich selbst. Wenig später hüpfen alle im Hampelmann im Innenhof - aufwärmen fürs Training.

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Dienstag am frühen Abend, es ist immer noch heiß. Zwei Stunden Workshop im Club Hasenbergl, einem Kinder- und Jugendzentrum im Norden der Stadt. Zwei Trainer sind gekommen, um mit den Mädchen und Jungs Sport zu machen. Es ist der äußerste Rand Münchens, 500 Meter sind es vom Club zum Autobahnring.

Mit Randgebieten kennen sie sich aus beim Hood Training. Die Initiative kommt aus Tenever, einem Viertel am Rand Bremens, auch nicht weit von der Autobahn. Tenever mit seinen Hochhäusern war lange Problemviertel, viele dort sind auf Sozialleistungen angewiesen, vier von fünf Kindern haben einen Migrationshintergrund. Der Gründer von Hood Training, Daniel Magel, ist dort aufgewachsen. Als Zwölfjähriger kam er mit seinen Eltern aus Kasachstan nach Bremen. Ärger mit der Polizei, Ärger in der Schule. Und dann doch: Abitur, Pädagogikstudium. Gegen Gewalt, Einbrüche und Perspektivlosigkeit setzte er den Sport. Klimmzüge statt Drogen, das war die Idee, bei ihm hatte es gewirkt. 2010 hat er Hood Training gegründet, der 36-Jährige arbeitet dafür, Kindern und Jugendlichen ein Ziel zu geben. Das kann am Anfang sein: einen Klimmzug schaffen.

Hip-Hop, Muskeln und eine Sprache, die die Jugendlichen verstehen. Ihnen eine Perspektive geben, Vorbild sein, ihnen vorleben: Wer im Sport seine Ziele erreicht, der schafft das auch in der Schule, im Job. Im Leben. Das ist das Konzept von Hood Training, und das gibt es nun auch in München. Als Workshop zum Beispiel im Club Hasenbergl und als festes Angebot seit Juli im Treff Mosaik in Nymphenburg.

Das große Ziel: die Jungs von der Straße holen. Einer, bei dem das geklappt hat, ist Eric Cordes. "Ich bin sitzen geblieben und fast von der Schule geflogen", erzählt der 23-Jährige. Mit 16 war er zum ersten Mal beim Hood Training, er hatte gehört, da gehen die harten Jungs hin. Heute ist er selbst Trainer bei Hood Training, studiert Pädagogik. "Daniel hat mich inspiriert. Dank ihm hab ich mein Abi geschafft", sagt er. Diese Woche ist er aus Bremen nach München gefahren, um Workshops wie den im Hasenbergl zu geben. Um die Idee vom Hood Training nach München zu bringen.

Nach dem Hampelmann sind Liegestütz und Ausfallschritte dran, Eric Cordes hat die Musik aufgedreht, Hip-Hop dröhnt in den Innenhof. Nach zehn Minuten leuchten die Backen der Kinder rot, Haare und Goldkettchen fliegen, die ersten atmen schwer. "Tiefer runter", brüllt Eric Cordes. "Es ist mir egal, wie fit ihr seid, was ihr könnt. Gebt 100 Prozent!" Felix Städele, der zweite Trainer, stellt sich vor einen Jungen, macht mit ihm Kniebeugen, dann schlagen sie ein, High Five, durchgehalten, gut gemacht.

Felix Städele ist der Hood Trainer für München, trainiert beim Club Mosaik zwei Mal die Woche mit den Jugendlichen, baut die Klimmzugstange zum Beispiel an der Skateanlage im Hirschgarten auf. "Es ist megacool mit den Kids Sport zu machen. Ich sehe, dass ich ihnen eine Aufgabe gebe. Eine andere, als Scheiße zu bauen", sagt der 27-Jährige. "Wenn man gemeinsam schwitzt, hat man gleich eine Verbindung." Felix Städele macht selbst seit Jahren Calisthenics. Den Sport also, bei dem sie vor allem mit ihrem eigenen Körpergewicht arbeiten, Klimmzüge machen, auch mal nur mit einem Arm. Der Sport, den man vor der eigenen Haustür machen kann, auf der Straße, auf dem Spielplatz.

Felix Städele arbeitet neben Eric Cordes auch als Hood-Trainer. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Genau das wünscht sich Benedikt Kämmerling vom Club Hasenbergl für seine Kinder und Jugendlichen. Dass sie die Spielplätze für sich nutzen, von denen es im Viertel so viele gibt. Fit werden, Sport machen, und zwar ohne teure Mitgliedsbeiträge im Fitnessstudio. "Ich wünsche mir, dass die älteren Jugendlichen eine alternative Beschäftigung am Abend finden", sagt der Sozialpädagoge.

Im Hasenbergl leben überdurchschnittlich viele Kinder. Mehr als die Hälfte von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Das Hasenbergl galt mal als sozialer Brennpunkt, als Ghetto. An die gelbe Wand des Jugendzentrums hat jemand in lila Farbe gesprayt: "Welcome in Bunny Hill. Cops are not welcome." Ein paar Schritte weiter spielt eine Gruppe Kleinkinder, ihre Mütter stehen mit den Kinderwägen daneben und schauen ihnen zu. "Von einem Ghetto kann man schon lange nicht mehr sprechen", sagt Benedikt Kämmerling. Ja, die Bevölkerungsgruppen im Viertel hätten bestimmte Merkmale und die bringen Problemlagen mit sich - "aber dafür sind wir ja da". Wir, damit meint er sich und seine Mitarbeiter im Club. Die mit den Kindern und Jugendlichen chillen, ihnen auch drei Mal erklären, dass sie ihre Getränke nicht mit in die Sporthalle nehmen dürfen. Die sich neben die Kinder setzen, wenn sie ein Video auf dem Handy angucken. Bei denen sie Gitarre spielen lernen, breakdancen. Und Konflikte lösen.

"Wer von euch kann einen Klimmzug?", fragt Eric Cordes im Innenhof. "Ich", ruft ein Junge, springt zum Trainer und zieht sich an den Ringen nach oben. Ein anderer, schwarze Haare, Undercut, schwarze Jogginghose, goldene Uhr - macht jetzt auch mit, schafft sieben Klimmzüge, strahlt, als er den nächsten an die Ringe lässt. Inzwischen sind es 14 Jugendliche, die nacheinander Klimmzüge machen. 14 Jugendliche, die Eric Cordes und Felix Städele anfeuern. Danach dürfen alle eine Minute lang auf einen Boxsack schlagen. Zwei sitzen auf der Bank.

Am Freitag gibt Eric Cordes im Club Hasenbergl noch einmal einen Workshop. Eine zweite Chance für die Jungs auf der Bank.

© SZ vom 26.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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